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Davias

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  1. Also, vor dem nächsten Kapitel, versuche ich einmal, einen kurzen Überblick über die Spiele der Secret of Mana Reihe zu geben ( so weit sie mir bekannt ist und soweit sie meine Geschichte betreffen ) 1. Mystic Quest ( Seiken Densetsu 1 ) - für den GB ( es gibt ein Remake mit namen Sword of Mana für den GBA ) 2. Secret of Mana ( Seiken Densetsu 2 ) - für SNES 3. Secret of Mana 2 ( Seiken Densetsu 3 ) - für SNES ( nur in Japan! ) Es gibt noch mehr Spiele, aber meine Geschichte setzt sich im wesentlichen aus diesen drei Spielen zusammen. So, und hier das 5. Kapitel Kapitel 5 - Blutige Audienz Die Nordstadt war die größte Stadt der bekannten Welt. Seit die Stadt vor etwa zweihundert Jahren von Händlern und Fischern aus dem kleinen Hafen Palo gegründet worden war, hatte sie sich von einer kleinen Handelssiedlung im Nordwesten des Kontinentes Glaive zur mächtigsten und bevölkerungsreichsten Stadt der gesamten Welt entwickelt. Durch den Warenaustausch mit den benachbarten Freien Städten und kleinen Königreichen reich geworden, beherrschte sie bald die umliegenden Gebiete und die Handelsfürsten der Stadt errichteten ihren eigenen Staat. Nach der Gründung der Südstadt, die ihren Anfang als Handelsposten weiter im Süden machte, breitete sich das Gebiet dieses neuen Staates bis an Grenzen der Freien Städte aus, nachdem noch nicht einmal ein Jahrhundert vergangen war. Viele Jahre lang herrschte reger Handel zwischen dem neuen Imperium und den Freien Städten. Das war zu der Zeit, als die Herren der Freien Stadt Byzel in ihrem Hochmut und in Überzeugung ihrer unglaublichen Reichtümer die Goldene Straße quer über den Kontinent erbauten; eine Straße, deren Pflastersteine mit reinem Gold überzogen wurden. Bewacht von den Söldnern der Freien Städte und den Soldaten der Handelskarawanen aus der Südstadt, nahm der Handelsverkehr deutlich zu. Man tauschte Gold gegen Seide aus dem Norden Glaives, Gewürze gegen Fische aus dem Roten Meer und tausende von anderen Waren. Das war vor dem Krieg gegen die Tiermenschen aus den Schwarzen Bergen gewesen. Bevor das Imperium mit Hilfe des Schattenlords die schrecklichen Bestien wieder in die finsteren Kavernen unter dem östlichen Gebirge verbannte. Jetzt, zweihundert Jahre nach der Gründung der Nordstadt, befand sich ganz Glaive unter der Herrschaft des Imperiums. Obwohl sich sogar die reiche Südstadt zeitweise vom Imperium abgespalten und sich mit den Freien Städten verbündet hatte, hatte das nichts geändert. Byzel, die letzte Freie Stadt des Kontinentes, war vor zwei Monaten gefallen. Es gab keinen Rat der Händler und Fürsten mehr, der das Land jetzt regierte. Die Befehlsgewalt lag nun in den Händen eines einzigen Mannes, des ehemaligen Fürsten Ocaphun, der sich vor einem Jahr zum Kaiser ernannt hatte. Die Nordstadt war das Herz des neuen Imperiums und breitete sich in einer gewaltigen Tiefebene aus. Ihre Lichter erstrahlten in der Nacht so zahlreich, daß die Ebene mit Myriaden von gelben Sternen übersät zu sein schien. Im Mittelpunkt der Metropole stand der gigantische Kaiserpalast, den Ocaphun für sich hatte errichten lassen. Im Gegensatz zu den wehrhaften Trutzburgen und kleinen Schlössern der anderen Königreiche, strahlte dieses Bauwerk eine unglaublich pure Größe und Macht aus. Würdig einem Kaiser, der einen ganzen Kontinent beherrschte und über eine Armee aus zehntausenden von Soldaten gebot. Die wuchtigen Türme mit den glitzernden Spitzen strebten dem Nachthimmel entgegen, als könnte man von dort oben aus die Sterne berührten. Hunderttausende von Lampen beschienen hohe Mauerwerke, halbrunde Erker und blinkten in zahlreichen Fenstern aus buntem Glas. Aber der Palast strahlte nicht einfach nur Größe und Herrschaft aus, er verursachte dem Betrachter auch ein seltsames, ungutes Gefühl in der Magengrube, ob es jetzt tiefste Nacht oder hellichter Tag war. Von vielen Türmen und Erkern blickten die Gestalten unheimlicher Wasserspeier und noch gräßlicheren Figuren herab. Der Stein aus dem der Palast bestand, war von einem matten Grau, das die Lichter der Lampen aufsaugte. Die Thronhalle des Palastes war an diesem Abend überfüllt, obgleich sie Platz für mehr als eintausend Menschen bot. Dichtgedrängt standen die Adligen und niederen Fürsten der Nordstadt zwischen den wuchtigen, bedrohlich wirkenden Säulen aus Granit. Zwischen den Säulen hingen die schwarzen Banner mit dem goldenen Phönix, dem Wahrzeichen des Imperiums. Der hohe Thronsitz aus schneeweißem Marmor im hinteren Ende des langen Saales schien so gar nicht zu dem düsteren Grau des übrigen Raumes zu passen, doch gleichzeitig hob dieser Unterschied den hochlehnigen Sitz deutlich hervor. Regungslos saß Ocaphun der I., Kaiser von Glaive und gottgleicher Herrscher des Imperiums, in seinen golddurchwirkten Gewändern auf dem Thron. Seine von unbarmherzigem Stolz gefüllten Augen waren geradeaus auf das Eingangsportal des Saales gerichtet. Loki konnte den Kaiser von seiner Position am Fuße der langen Treppe, die zum Thronsitz führte, nicht sehen, da er ebenfalls den Blick aufs Portal gerichtet hatte. Aber er ahnte, wie unnahbar und überragend Ocaphun über der Menge thronte. Er selbst beobachtete im Schein der Fackeln an den Wänden und der gewaltigen Kronleuchter an der hohen Decke die Adligen, die sich zum Empfang der Botschafter versammelt hatten. Fanfaren schmetterten in abklingenden Stößen, die durch die Halle dröhnten, und dann öffneten sich die gewaltigen Flügeltüren des Eingangs, die ebenfalls mit einem goldenen Abbild des imperialen Phönix geschmückt waren. Loki spannte sich unwillkürlich ein wenig an, als die Gesandtschaft aus Tasnica den Thronsaal betrat. Zum ersten Mal war er froh, daß sein Gesicht hinter dem meisernen Visier seines Helmes halb verborgen blieb. Die schwarze Rüstung war ihm wie eine zweite Haut geworden und er legte sie nur zum Schlafen ab. Manchmal bemerkte er gar nicht, daß er sie überhaupt trug. Heute jedoch fühlte er sich einfach sicherer damit. Sie war der Stoff, der sein unruhiges Selbst an diesem Abend stärkte. Denn heute würde er Gemma-Ritter treffen. Kameraden und Brüder, mit denen er vor fünfzehn Jahren zusammen in Jadd gegen das Imperium gefochten hatte. Brüder, die jetzt zu seinen erbittertsten Feinden geworden waren. Die Gesandtschaft aus Tasnica bestand aus zwei weißgekleideten Priestern mit blumenumrankten Stäben in den Händen, die zuerst die Halle betraten. Hinter ihnenen schritten vier Ritter in silbernen Rüstungen herein, flankiert von einer Abteilung imperialer Speerträger in pechschwarzen Wappenröcken. Gemma-Ritter. Wie immer, wenn Loki auf seine ehemaligen Ordensbrüder traf, suchte er in den kantigen, Weisheit und Macht ausstrahlenden Gesichtern nach etwas Bekanntem. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da hatte er mit diesen Männern gemeinsam gestritten, auch wenn er sich nicht mehr daran erinnern konnte. Beim Anblick der vier Ritter, kamen ihm wieder jene fürchterlichen Augenblicke in Jadd zu Bewußtsein, die sein Leben für immer verändert hatten. Jadd war die mächtigste der Freien Städte in Glaive gewesen. Zwar konnte die Stadt sich nicht mit dem unerhörtem Reichtum Byzels und den Kunstakademien Maias messen, doch sie war ohne Zweifel die am stärksten befestigte Hafenstadt des gesamten Kontinentes. Ein halbes Jahr hatte das Imperium die Stadt bereits belagert, und die Handelsherren und Fürsten Jadds hatten ihre Schiffe in die ganze Welt entsandt, um Beistand zu ersuchen. Das antike Reich von Tasnica war das einzige Land, das darauf reagierte. Sie schickten eine Gesandtschaft heiliger Gemma-Ritter nach Jadd. Zuerst, um über einen Waffenstillstand zu verhandeln. Doch Ocaphun, damals noch der oberste Fürst der Nordstadt, lehnte ab und griff die Stadt schon am nächsten Tag mit einem gewaltigem Sturmangriff seiner Armee an. Der Sturm wurde vom Schattenlord angeführt, einem Hünen in schwarzer Rüstung, der über Hexenkräfte verfügte und von dem niemand genau wußte, wo er hergekommen war. Loki, desse Name damals noch Landur lautete, war einer der Gemma-Ritter gewesen, die in Jadd zwischen den verfeindeten Parteien verhandelten, und er stand mit seinen elf anderen Gefährten auf den Mauern Jadds gegen die Imperialen, als Ocaphun den Angriffsbefehl gab. Vielleicht hätte die Stadt mit ihrer Hilfe gegen das Imperium verteidigt werden können, doch der Verrat des Fürsten Davias, einem Handelsherren Jadds, öffnete den Imperialen einen Geheimweg durch die Küstenklippen ins Innere der Stadt, und damit war alle Hoffnung verloren. Landur kämpfte mit den überlebenden Ordensbrüdern und den letzten Stadtwachen Jadds auf der Mauer, als alles verloren schien. Er war dem Schattenlord persönlich entgegengetreten. Der namenlose Gigant in schwarzer Rüstung war erfüllt von mächtiger, lange vergessener Magie der Unterwelt und schwang einen Morgenstern, dessen eiserne Kugel in unheiligen Flammen waberte. Landur hatte gegen ihn gekämpft und sein Langschwert durch das geschlossene, eiserne Visier des Helmes gestoßen, im gleichen Moment, als der Morgenstern seine silberne Brustplatte mit dem ziselierten Zeichen des Mana-Baumes darauf zerschmetterte und knochenbrechend in seinen Brustkorb malmte. In diesem Moment, als sich seine letzten Gedanken mit einem Gebet an die Göttin widmeten, hatte der Schattenlord ihn in seinem Todeskampf mit all seiner Magie angegriffen. Eine zerstörende Macht wurde von dem sterbenden Hexer entfesselt und spülte den Widerstand des Gemma-Ritters beseite, gleich der unaufhaltsamen Sturmwoge eines mitternächtlichen, alles verschlingenden Meeres. Die finstere Macht überwältigte ihn, als der Geist des Schattenlords mit Landurs Geist rang. Die Hexerkraft des Lords stärkte den sterbenden Körper des Gemma-Ritters jedoch auch in gleichem Maße, indem sie seinen schwindenden Geist niederrang. Und dann war es vorbei. Der Schattenlord stürzte tot auf die blutbespritzten Steine von Jadds Stadtmauer. Landur sank schmerzerfüllt neben dem Feind nieder und öffnete das zerstörte Visier. Doch dahinter kam kein Gesicht zum Vorschein, sondern nur wirbelnde Schatten, die sich verflüchtigten und die Rüstung als leere, lichtlose Hülle zurückließen. Aber das Wissen und die unheilige Macht des Schattenlords hatten Landurs Geist erschüttert und sich darin festgesetzt, was den Ritter in den Wahnsinn trieb. Eine nie gekannte Wut, die finstre Seele des Schattenlords überkam den Gemma-Ritter, und er packte sein Langschwert fester, als er sich erhob und sich wieder in den Kampf um die Stadt warf. Sein Ordensbruder Heldan war der erste der starb, als Landurs Schwert ihm das Rückrat zerschlug. Er begriff nicht einmal, was ihm geschehen war, bevor er tot zusammenbrach. Der nächste war Ferris, dann Phald und Gernadol. In seinem Irrsinn metzelte sich Landur durch seine eigenen Brüder, bis nur noch Bogard übrig war, sein Lehrmeister und Freund über lange Jahre hinweg. Dann hatte sich die Wut und die unheilbringende Energie des Schattenlords in ihm verbraucht und Landur ließ entsetzt sein Schwert fallen, als er begriff, was er getan hatte. An seinen Händen klebte das Blut seiner gefallenen Brüder. Landur war bereit gewesen, sich von seinem Meister Bogard töten zu lassen, doch soweit war es nicht gekommen. Das Kampfgetümmel hatte sie voneinander getrennt. Er war einfach an einer Zinne, direkt neben seinen toten Brüdern zusammengesunken und hatte sein Schwert fallengelassen. Ihm war klar, daß er alle seine Schwüre gebrochen hatte. Er hatte zugelassen, daß seine Seele von der Unterwelt überwältigt worden war, und das hatte ihn gebrochen. Er hatte das Blut seiner Brüder vergossen. Alles, was nach der Schlacht geschah, war ihm nur noch bruchstückhaft bewußt. Den einzigen klaren Gedanken, den er fassen konnte war derjenige, daß er nun den blutigen Pfad zuende gehen mußte, den er eingeschlagen hatte. Er hatte die Rüstung des Schattenlords angelegt und war vor dem Herrscher des Imperiums niedergekniet, um ihm seine Dienste anzubieten. Die Rüstung trug immer noch den Makel ihres ehemaligen Herrn in sich, doch sie machte Landur auch ein Geschenk: Sie schenkte ich ihm Vergessen. Mit jedem Tag, den er sie am Leib trug, wurde sein altes Leben als Gemma-Ritter immer mehr aus seinem Gedächtnis verdrängt und gegen seltsame und unheimliche Träume eingetauscht. Träume von Blut, Schatten und Tod. Aber das war das Vergessen wert. Und nun stand er im Thronsaal des Kaisers, als dessen höchster Leibwächter, gewappnet in seinen neuen Namen Loki und die nachtschwarze Rüstung und blickte den Gemma-Rittern entgegen, die den roten Teppich entlangschritten und kurz vor ihm anhielten. Einen der Gemma-Ritter erkannte er. Es war Bogard, sein alter Lehrmeister. Der Ritter war um fünfzehn Jahre gealtert und sein schneeweißer Bart und das lange Haupthaar waren noch länger geworden. Mehr Runzeln und Falten zeigten sich im seinem Gesicht, doch die blauen Augen waren noch ebenso wach und hart, wie damals. Er mußte jetzt fast siebzig Jahre zählen und dennoch trug er die immer noch stolz seine glänzende Rüstung mit dem Emblem des Mana-Baumes auf der Brustplatte und den langen, weißen Umhang, mit einem grünen Blumenmuster am Saum. Um den halboffenen Helm rankten sich ein immergrüner Kranz aus Blättern, der mit dem Stahl verwachsen zu sein schien und von dem ein heller Glanz ausging. Loki zweifelte nicht daran, daß der Alte das beidhändige Schwert an seiner Seite so gut zu führen wußte, wie ein zwanzig Jahre jüngerer Mann. Unbewußt krampfte er seine behandschuhte Hand um sein eigenes Schwert, als er Bogards stolzem, aber eisigem Blick begegnete. Er hoffte, daß der Ritter ihm durch die Augenschlitze des Visiers nicht die Unsicherheit ansah, die er selbst fühlte. In diesem Moment vollzog der Herold am Eingangsportal mit lauter Stimme das Protokoll. »Sir Bogard, Hochmeister des Ordens der Gemma-Ritter, Behüter des Heiligen Rates von Tasnica und Träger der weltlichen Macht der Göttin kniet im Angesicht der Macht des Imperiums vor dem allmächtigen Kaiser und erfleht eine Audienz, auf das der gottgleiche Herrscher ihm eine Bitte gewähre!« Weder Bogard, noch seine Ritter machten Anstalten, vor der Treppe des Thrones niederzuknien. Die beiden Priester hatten sich demütig an die Seiten der Gesandtschaft zurückgezogen. Loki bemerkte das unwillige Stirnrunzeln Bogards, als der Herold seine Worte aussprach. Ein Moment verging. Zulrik, ein Oberst der Leibwache des Kaisers trat wütend vor und senkte drohend seinen Speer, als die Ritter weiterhin stehenblieben. Er sagte zischend:»Kniet nieder vor der göttlichen Macht des Kaisers, oder man wird Euch auf die Knie zwingen.« Bogard erhob unbeugsam seine Stimme und würdigte Zulrik keines Blickes, während er zu Ocaphun oben auf dem Thron starrte. »Ich verneige mich nicht vor der imperialen Macht, denn sie ist den Regeln und Traditionen meines Ordens zuwider. Ich bin gekommen, um mit dem Kaiser zu verhandeln und nicht, um etwas zu erbetteln.« »Dann wird man Euch auf die Knie zwingen, Ritter!« erwiderte Zulrik und rief mit einer Handbewegung die Leibwachen herbei. Im Nu waren die beiden Priester, sowie Bogard und seine Ritter von einem Ring aus stählernen Speerspitzen umgeben. Aber Loki wußte, daß diese Anwendung von Gewalt nichts fruchten würde. Er warf keinen Blick nach oben zum Thron, um auf eine Reaktion des Kaisers zu warten, sondern trat entschlossen einen Schritt vor. Zulrik verabscheute die Gemma-Ritter schon seit Jahren, und er wollte kein Blutbad hier riskieren, nur weil dieser ungestüme Dummkopf sich nicht beherrschen konnte. »Zurück in die Reihen. Laßt ihn sprechen.« Er hatte nicht sehr laut gesprochen, doch der unheimliche, metallene Widerhall, den seine Stimme hinter dem Visier erzeugte, genügte vollauf. Augenblicklich wichen die imperialen Leibwachen mit ihren Speeren zurück. Obwohl man Zulrik seinen Unmut anmerkte, sagte er kein Wort mehr und fügte sich. Auch der arrogante Oberst kannte Lokis Reaktion auf Ungehorsam. Bogard trat vor und richtete den Blick hoch zum Kaiser. »Ich grüße Euch, Ocaphun«, begann der Hochmeister der Gemma-Ritter. »Der Heilige Rat von Tasnica schickt mich, um in seinem Namen mit Euch zu verhandeln. Die Priester sendet Euch Grüße und hofft darauf, daß der Frieden zwischen Tasnica und dem Imperium von Dauer sein wird.« Loki drehte sich zur Seite, damit er den Kaiser und Bogard gleichzeitig beobachten konnte. Die folgende Unterhaltung würde sehr interessant werden. Und auch Gefahren in sich bergen. Natürlich war nicht nur ihm die kaum verhohlene Herausforderung in Bogards Stimme entgangen. Der Hochmeister hatte den Kaiser weder mit dem gebührenden Titel angesprochen, noch sich verneigt. Ocaphuns relativ helle, aber gebieterische Stimme erklang machtvoll im Thronsaal, als er dem Hochmeister antwortete. Bei seinen Worten verzog er keine einzige Miene und neigte nicht einmal den Kopf in Bogards Richtung am Fuße der Treppe. »Ich, Ocaphun, Kaiser des Imperiums, Beschützer Glaives und Herrscher über die ehemaligen Freien Städte, grüße Euch, Meister Bogard. Es sei Euch erlaubt, das Anliegen des Heiligen Rates vorzutragen, und den Grund dieser Verhandlungen zu erläutern.« »Seit die letzte Freie Stadt Byzel gefallen ist, herrscht eine gewisse Spannung unter den Hohepriestern von Tasnica«, begann Bogard. »Die Annektierung aller neutralen Gebiete Glaives durch das Imperium wird nicht sehr begrüßt. Es wäre von Vorteil für alle Parteien, wenn Ihr einen Teil der eroberten Provinzen wieder an die Handelsfürsten abgebt und sie ihr Land eigenmächtig verwalten laßt, Euer Majestät.« Lokis Blick sah hinauf zum Kaiser, und selbst auf diese Entfernung konnte er den aufflackernden Zorn in den Augen seines Herrschers sehen. Ocaphun erhob seine Stimme. »Das Imperium beherrscht nun Glaive, zum Wohle aller Völker, die auf diesem Kontinent leben. Wir werden keine Gebiete abtreten, oder unter eine Verwaltung der Handelsfürsten stellen, denn zu teuer haben unsere Soldaten um diesen neuen Frieden in Glaive zu gekämpft.« »Damit werdet Ihr Euch den Unwillen des Rates zuziehen, Herrscher«, erwiderte Bogard ohne Umschweife. Loki hörte noch mehr aus den Worten heraus, als sein ehemaliger Lehrmeister verlauten ließ. Ocaphun würde sich nicht nur den Unmut des Rates von Tasnica zuziehen, sondern darüber hinaus ebenfalls den Zorn der Gemma-Ritter, was Loki für wesentlich gefährlicher hielt. Doch er war sich sicher, der Kaiser war sich dessen ebenso bewußt. Die Frage war nur, ob er das Risiko eines Krieges gegen Tasnica und den Orden der Gemma-Ritter eingehen würde. Alles entschied sich hier und jetzt in diesem Augenblick. Bogard und seine Ritter begleiteten nicht nur die Gesandten des Rates in einer einfachen, diplomatischen Mission hierher in die Nordstadt. Es ging um Krieg. »Das bekümmert mich sehr, verehrter Bogard«, sagte der Kaiser nach einem Moment milde. Aber seine eiserne Stimme strafte seine sanften Worte lügen. »Doch aufgrund der zukünftigen Sicherheit des Imperiums von Glaive sehe ich mich gezwungen, mich diesem Wagnis zu stellen, falls Tasnicas Herren meine Vorherrschaft nicht anerkennen.« »Vorherrschaft?« Bogards Augen blitzten. »Noch gibt es unter dem segensreichen Schatten des wachenden Mana-Baumes freie Länder und freie Völker. Die Göttin möge diesen Zustand auf ewig erhalten. Wollt Ihr Euch etwa zum Herren der ganzen Welt machen?« »Glaive wurde unter meiner wohltätigen Herrschaft in ein neues Zeitalter des Lichtes geführt», meinte Ocaphun stolz. »Meine Architekten und Techniker entwickeln tagtäglich neue Erfindungen, die allen Völkern der Welt zum Wohl gereichen könnten. Es wäre doch sicher im Interesse Eurer Göttin, Frieden und Wohlstand zu allen freien Menschen der Welt zu bringen, oder?« »Es ist auch Eure Göttin, Herrscher.« Bogards Stimme klang nun resigniert. Er wußte, daß Diplomatie hier nichts mehr nutzte. Ocaphuns Worte hatten ihm das Vorhaben des Imperiums bestätigt: Herrschaft über Glaive hinaus. Der Krieg war nun so gut wie beschlossene Sache. »Es gibt andere Mächte, als die der Göttin des Mana. Technik und Fortschritt. Und in der Weite des Universums mag es noch anderen Schutz geben, als den Mana-Baum.« Bei diesen Worten lächelte Ocaphun dünn. Loki konnte deutlich sehen, wie Erschrecken über die Worte des Kaisers in den Augen des Hochmeisters aufkam. Für einen kurzen Moment bemitleidete er Bogard beinahe. Den Gemma-Rittern war bisher noch nicht ganz klar gewesen, wie wenige Anhänger der Göttin es in Glaive noch gab. Sie hatten sich einfach nicht vorstellen können, daß es in irgendeinem Teil dieser Welt einen Ort geben könnte, wo der Glaube an die Macht der Göttin nicht das Leben der Menschen beherrschte. Äußerlich blieb Bogard ruhig, doch man konnte den Aufruhr in seinem Innern an seinen flackernden Augen ablesen. Ocaphun sprach ungerührt weiter. »Es wird Zeit, daß die Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Es ist Zeit, überholte Glaubensvorstellungen abzustreifen und Fortschritt und Entwicklung zu fördern. Die Menschen benötigen weder den Schatten eines magischen Baumes aus der Vergangenheit, noch den zweifelhaften Schutz einer vergessenen Göttin aus der Vorzeit.« Einer der vier Begleiter des Hochmeisters, ein junger Ritter, kaum zwanzig Jahre alt, hatte sich nicht so gut in der Gewalt. Er legte die Hand auf sein Schwert und blickte mit wildem Blick zum Kaiser hoch. »Wie könnt Ihr es wagen, die Göttin zu verleugnen, finstere Kreatur! Die Dämonen der Dunkelheit sollen über Euch und Euer Imperium hereinbrechen. Ihr befleckt die Ehre der Göttin mit Euren Worten!« Loki spannte sich unmerklich an. Den Gemma-Rittern war aus Respekt erlaubt worden, ihre Waffen zu behalten, aber niemand hatte damit gerechnet, daß die Situation im Angesicht von fast einhundert Palastwachen im Saal eskalieren könnte. Der ungestüme Ritter neben Bogard hatte die Hand um seinen geschmückten Schwertknauf gekrampft, bereit, die Waffe jederzeit aus der Scheide zu ziehen. Ein unruhiges Raunen ging durch die versammelte Menge im Thronsaal, und die Wachen ringsum die Gemma-Ritter machten sich kampfbereit. Der Kaiser hatte sich erhoben und ballte mit einer Hand voller Wut die Faust gegen die Ritter und die Priester Tasnicas. »Die Göttin ist seit Jahrtausenden tot, und euer Orden ist nur noch ein Schatten seiner einstigen Macht. Hüte dich, mir zu drohen, du Narr. Niemand fordert den Zorn des Kaisers von Glaive heraus!« »Ritter Kelvan! Beherrsche dich!« peitschte Bogards Stimme durch die Halle. Doch der junge Ritter hörte nicht auf seinen Meister. Er zog sein Schwert und sprang zwei Schritte vor. Die Wachen waren so überrascht über die schnelle, geschmeidige Bewegung des jungen Kriegers in der schweren Rüstung, daß sie ihm nicht mehr rechtzeitig den Weg versperren konnten. »Ich werde die Göttin von Euren befleckten Worten reinwaschen. Ich fordere Euch zum Duell heraus!« rief Kelvan und rammte seine Schwertspitze in einer unmißverständlichen Geste der Herausforderung vor sich auf den Boden. »Kelvan! Zurück!« bellte Bogard und machte Anstalten, seinen Kameraden an der Schulter zurückzuziehen. Loki reagierte schneller als alle anderen. Sein monströses Schwert fuhr aus der Scheide, und im nächsten Moment stand er schon vor dem jungen Ritter. Stahl blitzte, und rotes Blut spritzte auf den Marmorboden der Halle. Langsam, als hätte sich die Zeit gedehnt, stürzte der kopflose Körper Kelvans nach vorne, während das Schwert des Gemma-Ritters klirrend auf den Boden fiel. Stille breitete sich in der Halle aus. Einen Augenblick lang erstarrten alle zu Stein. Auf einen Blick Lokis hin, überwanden die imperialen Speerträger zuerst ihre Überraschung und bildeten rasch einen Ring aus nach innen gerichteten Speeren um Bogard und die anderen Tasnicaner, bereit, jederzeit auf seinen Befehl hin zuzustoßen. Die beiden Gemma-Ritter zogen ihre Schwerter und versuchten, sich zwischen die Speere und ihren Hochmeister zu schieben. Loki sah ihnen ihre Entschlossenheit an. Sie waren ältere und erfahrenere Kämpfer als derjenige, den er gerade getötet hatte. Sie würden sich nicht so leicht überraschen lassen. Aus eigener Erfahrung wußte Loki, wie tödlich die Kampffertigkeitn eines Gemma-Ritters waren. Es würde ein Blutbad geben. »Genug damit! Weg mit den Schwertern!« rief Bogard. »Es wird in dieser Halle heute kein Blut mehr fließen.« Im Gegensatz dem jungen Ritter gehorchten die anderen beiden Ritter sofort und schoben ihre Klingen wieder in die Scheiden. Bogards Blick bohrte sich in den Lokis. Es wunderte ihn, wieviel Überwindung es ihn trotz seiner derzeitigen Überlegenheit kostete, dem Blick seines alten Lehrmeisters standzuhalten. »Das war nicht nötig. Ritter Kelvan hat die Beherrschung verloren, doch du weißt, daß er ein ehrenhaftes Duell verlangte. Niemals hätte er den Kaiser oder jemand anderen in dieser Halle einfach so angegriffen.« »Er hätte sofort Eurem Befehl gehorchen sollen, Hochmeister«, erwiderte Loki nur. »Hüte deine Zunge, Verräter«, knurrte einer der anderen Ritter grimmig. »Sonst gibt es heute doch noch einen Toten in dieser Halle.« »Es wird nicht das erste Mal sein, daß ich das Blut meiner Brüder vergieße«, entgegnete Loki empfindungslos. »Genug, habe ich gesagt.« Bogards Stimme klang nun nicht mehr hart und streng, sondern irgendwie traurig und müde. Mit einem Mal konnte man ihm sein hohes Alter ansehen. Er wandte sich wieder an den Kaiser. »Ich entschuldige mich für die Unbeherrschtheit von Ritter Kelvan, aber er forderte ein ehrenhaftes Duell von Euch, nicht mehr und nicht weniger. Einer Eurer Kämpen hätte ehrenhaft für Euch in einem Zweikampf streiten können. Dieser blutige Akt war vollkommen sinnlos.« »Schweigt, Bogard!« rief der Kaiser ungehalten. »Verlaßt sofort diese Halle und verschwindet rasch aus der Stadt. Keiner meiner Soldaten wird euch behelligen. Und überbringt dem Rat folgende Nachricht: Ihr werdet die Vorherrschaft des Imperiums anerkennen, sonst werden unsere Armeen das Reich von Tasnica vernichten!« Bogard senkte das Haupt. »Dann gibt es nichts mehr zu reden.« Der Hochmeister der Gemma-Ritter drehte sich ohne ein weiteres Wort um. Die anderen beiden Ritter nahmen den Körper ihres toten Bruder auf und folgten ihm. Loki bedeutete den Speerträgern eine Gasse für die drei Ritter und die beiden Priester zum Portal zu öffnen. Bedrängt von wütenden Rufen und Anklagen, die nun aus der Menge des Adels erschallten, verließen die Tasnicaner den Thronsaal. Loki säuberte die blutige Klinge seines gewaltigen Schwertes an einem Tuch, das einer der Wächter ihm reichte. Er spürte die Erregung die im Metall seiner unirdischen Rüstung, die erwachte die Vorfreude auf mehr Schlachten und Tod, der er sich nur schwer entziehen konnte. Das war jedes Mal so, wenn er tötete und die Ausrüstung des Schattenlords trug. Nun, es konnte nicht mehr sehr lange dauern und dieser finstere Durst würde mehr als befriedigt werden. Tasnica und besonders die Gemma-Ritter würden nicht einfach in den Hintergrund treten. Und der Kaiser würde nicht eher ruhen, bevor seine Herrschaft ohne starke Rivalen auf der Weltbühne gefestigt war. Selbst wenn es heute eine friedliche Vereinbarung mit Tasnica gegeben hätte, wären über kurz oder lang ernsthafte Streitigkeiten ausgebrochen, die zweifelsohne im Kampf geendet hätten. Nun geschah es eben etwas früher. Die zwei gewaltigsten Mächte der gesamten Welt würden in absehbarer Zeit aufeinanderprallen. Loki freute sich nicht darauf, aber sein eigener blutbefleckter Pfad war von einem finsteren Schicksal vorgezeichnet worden, seit er damals in Jadd dem Schattenlord gegenübergestanden hatte. Welchen Weg dieses Schicksal noch für ihn bereithielt, wußte er nicht, aber auf jeden Fall würde er dem Tod auf dieser düsteren Straße noch oft begegnen. Es war Krieg.
  2. Und weiter geht's mit dem nächsten Kapitel, viel Spaß damit. Kapitel 4 - Im Tempel der Göttin Am dem Abend nach einem langen Tag auf dem Übungsplatz vor den Kasernen, suchte Tyro für gewöhnlich den Tempel in der Stadt auf. Seit er ein kleines Kind war und seine Ziehmutter Aerian ihm die Gebete zur heiligen Göttin des Mana-Baumes beigebracht hatte, versäumte er eigentlich nicht einen einzigen Tag, an dem er nicht zur ihr betete. Im Quelldorf war die Kraft der Göttin überall spürbar gewesen. Im schwarzen, fruchtbaren Erdboden der kleinen Felder rings um das Dorf, wo die Bewohner Gemüse anbauten. In der reichen Fülle der Tier- und Pflanzenwelt im Quellwald. Und in den Kaskaden, in denen das kristallene Wasser der vielen großen Bergflüsse an einem sonnigen Tag durch die beeindruckende Landschaft der Wälder zum Tiefland hin abflossen. Hier, in Pandoria schien die Mana-Kraft auf den ersten Blick überhaupt nicht vorhanden zu sein. Die Stadt war unglaublich schmutzig, und es gab viele arme Menschen, die vor dem Tempel um ein Stück Brot bettelten oder im Winter in den engen Seitengassen erfroren. Im Sommer stanken die Kloaken oft unglaublich. Der Fluß, der durch die Stadt vor der Burg floß, nahm weiter im Süden eine schlammige, rotbraune Farbe von den Abfällen der Stadt an. Tyro hatte lange gebraucht, bis er sich an diese neue Umgebung gewöhnt hatte, seitdem er vor drei Jahren aus dem Quelldorf hierher gekommen war. Er liebte die Übungsstunden mit seinem Schwert, die Gespräche mit Waffenmeister Victor und den Kameraden aus der Garde. Aber manchmal vermißte er den Anblick und die Gesellschaft seiner Freunde aus dem Quelldorf. Ron, der Schmiedejunge, Aerian, seine Ziehmutter, den Dorfältesten und alle anderen. Die Häuser des Dorfes waren zwar klein, aber im Gegensatz zu den großen, grauen Mietshäusern und Wohntürmen Pandorias sauber und aufgeräumt gewesen. Das Mana, die Urkraft der Welt, die das Leben durchströmte, zeigte sich ihm in Pandoria auf andere Weise. In einem atemberaubenden Sonnenuntergang, wenn das letzte Tageslicht das bewaldete Sumpfgebiet südlich der Stadt schimmern ließ. In den ersten Sonnenstrahlen des Frühlings, die das Gesicht streichelten. Oder in den blauen Blüten der Blumen, die in den Beeten beiderseits der großen Prachtallee wuchsen und ihre zarten Köpfe hoben, um das erste Morgenlicht zu begrüßen. Und natürlich hier, im majestätischen Mana-Tempel der Stadt, der beinahe so hoch aufragte, wie der Bergfried der Burg des Königs. Wo Tyro herkam, gab es keine Tempel. Im Quelldorf war der Dorfälteste soetwas wie ein Priester gewesen, und er besaß in seinem Haus einen kleinen Schrein mit einer Elfenbeinfigur der Göttin. In Pandoria bestand der Tempel der Göttin aus gewaltigen, verzierten Steinblöcken. Der weiße Marmor der geriffelten Säulen und der prächtigen Verzierungen und Arabesken an den Wänden der Hallen hatte ihn beim ersten Mal fast geblendet, als er hierher kam. Und obwohl der Tempel groß war, erschien er auf eine besondere Art und Weise aus klein und heimelig, so daß man sich sicher und geborgen fühlte, sobald man durch das Portal mit der Ziselierung eines silbernen Baumes trat. In diesem Augenblick befand sich Tyro in einem der kleinen Nebenschreine und kniete mit geschlossenen Augen im Licht zweier flackernder Kohlenbecken vor einem Bildnis der Göttin. In den Händen der Marmorstatue lag eine steinerne Schüssel mit brennenden Kräutern, die einen seltsamen aber wohltuenden Duft nach frischem Gras und reifem Obst verströmten. Die Bilder der letzten zwei Tage zogen an Tyros innerem Auge vorüber, reihten sich wohlgeordnet in die anderen Erlebnisse seiner jüngeren Vergangenheit ein. Der Sieg über Nirco im Schwertkampf auf dem Hof gestern, die angeregte Unterhaltung mit den anderen Anwärtern in der Garde. Der anerkennende Blick und die freundlichen Worte des Waffenmeisters Victor. Und auch der abschätzende, eisige Ausdruck in den Augen Hagens. Für alle seine Erinnerungen der vorangegangenen Tage erbat er den Segen der Göttin, dankte ihr für die Kenntnisse und die Erfahrungen, die ihm heute zuteil geworden waren. »Segne meine Erinnerungen, auf daß sie meine späteren Tage erhellen mögen, hohe Göttin. Und lasse den Lebenssaft des ewigen Baumes durch meine Adern fließen, um mich mit Kraft zu erfüllen. Damit ich den Mut finde, meine Zukunft zu gestalten, meine Freunde zu ehren und das Leben zu beschützen.« Nachdem er sein Gebet beendet hatte, blieb er noch eine Weile mit geschlossenen Augen sitzen, atmete den kräftigenden Geruch der Heilkräuter, die in der Schale der Göttin vor ihm verbrannten und lauschte den Schritten der Priester und der anderen Besucher des Tempels, die hinter ihm erklangen. Schließlich, als der Duft der Mana-Kräuter verflog, erhob er sich und ordnete seine Kleidung. Wie immer nach dem Gebet fühlte er sich frischer und kräftiger, auch nach einem harten Tag in der Kaserne der Garde. Es war spät geworden und die Priester hatten sich fast alle zur Nacht Ruhe in ihre Räume hinter dem Altarraum zurückgezogen. Die Schritte waren verstummt. Man konnte nur noch das gedämpfte Rauschen der Flammen aus den Kohlenbecken vernehmen. Als Tyro sich sein Schwert umgeschnallt hatte und sich auf den Weg zum Hauptportal machte, vernahm er leises Weinen aus einer der Betnischen auf der anderen Seite der Halle. Es war kaum zu hören, aber Tyros geschärfte Ohren konnten trotzdem erkennen, daß es sich um das kaum hörbare Weinen einer Frau handelte. Zuerst zögerte er und blickte sich um, ob er nicht einen Mana-Priester sah. Es war die Aufgabe der Priester, sich um die trauernden Tempelbesucher zu kümmern und ihnen mit Worten der Göttin und durch die Kraft des Mana-Baumes Trost zu spenden. Doch es war nirgends jemand zu sehen. Hinter den blattförmigen Glasscheiben der hohen Fenster herrschte tiefste Dunkelheit. Es war schon so spät, daß keiner der Priester mehr im Tempel war. Sie würden erst wieder zum Morgengebet erscheinen. Der Tempel stand zwar auch während der Nacht offen, aber die Priester wurden nur selten von den wenigen Nachtschwärmern geweckt, die spät noch in die Halle kamen, um zu beten. Langsam schritt Tyro in Richtung es Weinens. Er passierte zwei gerillte Marmorsäulen und eine mit weißen Laken überzogene Steinbank, bevor er die Nische erreichte. Obwohl er nicht fest auftrat, konnte man die Schritte seiner Stiefel auf dem Steinboden deutlich hören. Das Weinen verstummte und die Frau erhob sich, um sich zu ihm umzudrehen. Er war überrascht, als er sie erkannte. Es war Prinzessin Sheyla, die Tochter von König Telmas. Er verbarg hastig sein leichtes Erschrecken und verbeugte sich schnell., mit der Hand am Schwertknauf, so wie es sich für einen Gardisten der königlichen Garde von Pandoria gehörte. »Prinzessin«, erklärte er demütig. »Ich entschuldige mich bei Euch. Nichts lag mir ferner, als Euch in Eurem Gebet so unsanft zu unterbrechen. Ich hörte jemanden weinen und dachte...« Er verstummte und hätte sich fast auf die Lippe gebissen. Dummkopf, schalt er sich selbst. Sprichst die Prinzessin auch noch auf ihre Trauer an. Ein schöner Gardist bist du! Doch die Prinzessin schien es ihm nicht übel zu nehmen. Stattdessen wischte sie sich die Tränen aus den Augen und lächelte ihn schwach an. »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, sagte sie. »Es... war sehr freundlich von dir, jemanden in Trauer trösten zu wollen.« Tyro schwieg betreten und wollte sich nach einem Moment mit einer letzten Entschuldigung und einer Verbeugung zurückziehen, da trat die Prinzessin einen Schritt vor. Mit einem Mal kehrte das Schimmern ihrer Trauer wieder in ihren Blick zurück, doch sie faßte sich. »Du bist ein Soldat der Garde«, meinte sie, nachdem sie ihn kurz gemustert hatte. »Ich habe dich auf dem Hof trainieren sehen. Du bist doch Tyro, Sir Victors Schützling aus dem Norden, nicht wahr?« Tyro nickte nervös. Er fühlte sich in Gegenwart der jungen, trauernden Prinzessin unwohl und verfluchte sich insgeheim dafür, ihr Gebet unterbrochen zu haben. Nichts hätte er jetzt lieber getan, als sich schnell aus dem Staub zu machen. Es ziemte sich nicht für einen königlichen Gardisten, mit der Prinzessin so unbeschwert im Tempel zu plaudern. »Mein kleiner Bruder erzählt mir viel von dir«, fuhr Sheyla fort. »Er beobachtet dich oft beim Schwertkampf und schwärmt mir vor, daß er einmal ebenso gut kämpfen möchte, wie du.« »Ich tue nur meine Pflicht gegenüber dem König und Pandoria«, erwiderte Tyro ein wenig steif, weil er nicht wußte, was er daraufhin sagen sollte. »Du brauchst nicht so förmlich zu sein, Tyro«, entgegnete Sheyla lächelnd. »Ich bin nicht der König. Und was machst du denn eigentlich noch so spät hier im Tempel? Ich dachte zu dieser Zeit wäre ich hier alleine.« »Ich liebe die Ruhe zu Beginn der Nacht», antwortete er wahrheitsgemäß. »Gebete zur Göttin sollten von Frieden und Stille erfüllt sein. Beim öffentlichen Morgengebet bei Sonnenaufgang sind mir zu viele Menschen.« »Mir geht es ebenso.« Sheyla sah ihn gutmütig an. Natürlich bemerkte sie seine Nervosität. »Es tut gut, einmal ungestört mit jemandem zu reden, der nicht gleich vor mir auf die Knie fällt, mich um irgendeinen Gefallen bittet, oder um jeden Preis meine Aufmerksamkeit erregen möchte. In letzter Zeit geschieht mir das etwas zu häufig. Ich würde mich freuen, wenn du mir ein wenig Gesellschaft leisten würdest.« Zögernd nickte Tyro. »Wie Ihr wünscht, Prinzessin.« Sheyla machte eine einladende Bewegung zur Bank, die der Betnische benachbart stand und er folgte der Aufforderung und setzte sich ihr gegenüber. Sie setzte sich wieder auf eigene Bank vor der Statue der Göttin und richtete ihre Kleider. Ihre langen, goldenen Haare mit den silbernen Spangen und Bändern darin schimmerten im Licht der Kohlenbecken. »Ich war dabei, als Waffenmeister Victor einmal zu meinem Vater sagte, du wärst sein bester Schüler«, begann die Prinzessin das Gespräch. »Er sagte, könntest einmal zum besten Schwertkämpfer der Garde werden. Das ist eine große Ehre. Noch dazu für jemanden, der nicht zu den Söhnen des Adels gehört und trotzdem in die Garde aufgenommen wird.« »Waffenmeister Victor sorgte für mich, als ich vor drei Jahren hierher kam«, verteidigte sich Tyro. »Er bezahlte meine Ausrüstung und gab mir Obdach.« Sheyla nickte. »Ich meinte dies nicht als Vorwurf. Aber es geschieht selten, daß jemand von außerhalb Pandorias in die Garde aufgenommen wird. Du kommst ursprünglich aus dem Norden?« Er nickte. »Aus dem Quelldorf. Ein kleiner Weiler im Hochwald, wo die Großen Flüsse entspringen.« »Das ist weit entfernt von hier. Was hat dich dazu gebracht nach Pandoria zu kommen?« »Meine Ziehmutter wollte, daß ich Waffenmeister Victor aufsuche, um bei ihm den Schwertkampf zu erlernen. Also reiste ich kurz vor meinem sechzehnten Geburtstag nach Süden. Ich war nicht gerade abgeneigt, obwohl ich meine Freunde sehr vermisse. Aber das Quelldorf ist sehr klein und hat für einen jungen Mann mit großen Träumen nur wenig zu bieten.« Er lächelte bei der Erinnerung an seine Abreise, wenn es ihn auch ein wenig traurig machte. Er bemerkte, daß er zunehmend lockerer im Angesicht Sheylas wurde. Die offene und freundliche Art der Prinzessin regte ihn zum Erzählen an. Zwar hatte er einige Bekannte und Freunde unter den Rekruten der Garde, aber eigentlich war er seit seiner Ankunft hier ein Einzelgänger geblieben. »Der Norden muß schön sein«, sagte Sheyla. »Meine Mutter erzählte mir einst, daß die Magie Undines vom Wasserpalast ausgeht und das Land um die Großen Flüsse segnet. Ihre Kraft und die Aquarias, der Hüterin des Wasserpalastes, erfüllt dort die Gebeine der Erde und erhält die Schönheit der Wälder.« »Das kann ich nur bestätigen. Auf meiner Reise nach Süden begegnete ich nur wenigen Menschen, aber das Land um die Großen Flüsse ist wahrhaft wunderschön. Wild und ungebändigt, aber schön. Ein Zauber scheint über den dortigen Wäldern und Auen zu liegen.« Tyro erinnerte sich bei seinen Worten an die glitzernden Wasserfälle, die hohen, ungezügelt gewachsenen Bäume und das Wild, welches ungestört auf den grünen Lichtungen geäst hatte. Und irgendwo in den Wäldern zwischen den Flüssen lag der sagenumwobene Wasserpalast mit seiner Herrin Aquaria verborgen. »Man sagt, bei den Quellflüssen im Norden wäre die Kraft des Mana-Baumes viel stärker spürbar, als hier in Pandoria. Es gäbe Haine voller unbekannter Heilkräuter, Unberührte Lichtungen und Quellen, die noch niemals ein Mensch zuvor gesehen hat. Quellen, die den Mutlosen Hoffnung verleihen sollen und andere Legenden. Was meinst du, Tyro? Ist es in deinem Quelldorf schöner als hier im Königreich?« Er zögerte. Das war eine schwierige Frage, doch er spürte, daß sich die Prinzessin wirklich sehr dafür interessierte. »Nun, es ist auf jedenfall anders. In gewissem Sinne, soweit es mich betrifft, scheint dort das Mana langsamer, aber stärker durch die Erde zu strömen. Vielleicht sind die Wurzeln des Mana-Baumes dort bereits so uralt, daß sie von lange vergangenen Zeiten flüstern, als es noch keine Menschen gab. Sie sind alt und knorrig, reichen tief unter die Quellen und die Felsen der Berge. Hier in Pandoria sind die Wurzeln des ewigen Baumes jünger und die Kraft des Mana strömt schneller, aber auch flüchtiger durch die Erde.« Sheyla sah ihn neugierig an. »Für einen Jungen aus einem Dorf, scheinst du viel über die Beschaffenheit des Mana zu wissen. So höre ich normalerweise nur Priester reden.« Tyro lachte kurz amüsiert. »Nein, Prinzessin. Ich gebe zu, daß dies nicht unbedingt meine eigenen Worte sind, sondern die meiner Ziehmutter Aerian. Aber... ich glaube es ist die beste Möglichkeit für mich, das Land meiner Herkunft zu beschreiben. Es klingt... wahr.« »Das klingt es wirklich«, meinte Sheyla. »Das die Kraft des Mana hier jünger und wilder ist, beweisen auch die Kräfte der Hexenmeister, die es in Pandoria vereinzelt gibt. Kaum irgendwo auf der Welt gibt es mehr als eine Handvoll Menschen, die die Macht eines Manageistes vollständig beherrschen können. Die Verheerungen welche die vier Hexenmeister des Herrschers von Lorim vor vielen Jahren anrichteten, entfesselten die feurigen Gewalten von Salamander, die sie nicht kontrollieren konnten.« »Davon habe ich gehört«, sagte Tyro, nachdem Sheyla geendet hatte. »Aber meine Ziehmutter sagte mir auch, daß die acht Geister des Mana selbst wilde Geschöpfe sind. Manche sind für die der Bewahrung zuständig, wie Dryad und Gnome andere für die Urgewalt der Zerstörung, wie zum Beispiel Salamander. Letztendlich spielen alle diese Kräfte zusammen, um die Welt zu erhalten, aber trotzdem Änderungen zuzulassen.« »So denke ich ebenfalls. Meine Mutter kennt sich mit den Kräften der Natur aus und hegt engen Kontakt zu allem Lebendigen, das sich in den Wäldern des westlichen Pandoria befindet. Sie lehrte mich viel über die geheimen Kräfte des Mana, die in der Erde schlummern. Es gibt viele Zauber, die man wirken kann, ohne die wilde Urkraft der acht Geister zu beschwören. Nicht so gewaltig und stark, aber dennoch vorhanden.« Tyro dachte bei Sheylas Worten an die Gerüchte, die man sich in der Stadt erzählte. Das die Prinzessin Zauberei bei ihrer geheimnisvollen Mutter Tura erlernt hatte. Der Hexe Tura. Aber Tyro war nicht so einfältig, diese Zauberei zu verdammen, falls Sheyla wirklich darüber gebot. Die Macht des Mana war nicht schlecht. Es waren nur die Menschen, die sie zu unheilvollen Werken nutzten, wenn es ihnen zustatten kam. Und manchmal hatten sich die acht Manageister den Hexenmeistern zur Wehr gesetzt, die mit ihren Kräften unheilvolle Zerstörung anrichten wollten. Das bewiesen die Legenden über das schreckliche Reich von Vandol, als die Menschen versuchten, das Mana zu verderben, um selbst zu Göttern zu werden. Unerwartet erhob sich Sheyla. »Ich muß jetzt gehen. Wenn ich nicht rechtzeitig im Schloß erscheine, schickt General Leart noch ein ganzes Regiment nach mir. Es war schön, sich mit dir zu unterhalten, Gardist Tyro. Ich wünsche dir Glück und den Segen der Göttin. Vielleicht sehen wir uns bald wieder.« Rasch auch stand er auf und verneigte sich. »Gute Nacht, Prinzessin. Die Göttin möge auch Euch segnen.« Nachdem die Prinzessin den Tempel verlassen hatte, ließ Tyro sich noch einmal auf der Steinbank vor der Nische nieder, wo sie gesessen hatte. Er zog sein Schwert und betrachtete es, während er über das Gespräch mit Sheyla nachdachte. Die Prinzessin mußte sehr leide, seitdem ihr Vater krank darniederlag. Niemand wußte so recht, wie es um König Telmas stand, aber Sheylas großer Trauer nach, war es um den König schlecht bestellt. Auf der jungen Frau lastete bestimmt eine schwere Bürde. Besonders wenn sie sich um die Regierungsgeschäfte und ihren kleinen Bruder Beril kümmern mußte. Tyro lächelte, als er an den Prinzen dachte. Beril kam oft zu den Übungskämpfen der Gardisten und versuchte am Rande des Platzes die Schwerthiebe der Kämpfer mit seinem stumpfen Kurzschwert nachzuahmen. Nachdenklich betrachtete er die Klinge seines eigenen Schwertes, das auf seinem Schoß lag. Nichts deutete darauf hin, daß sie etwas Besonderes war. Der lederumwickelte Griff war alt und abgewetzt und die beidseitif geschliffene Schneide war zwar meisterlich geschmiedet, zeigte aber ansonsten keinerlei Auffälligkeiten. Jedoch mußte das Schwert nie geschärft werden. In den drei Jahren, seit er es unter seltsamen Umständen im Verbotenen Wald gefunden hatte, hatte es nicht ein einziges Mal in der Schmiede zum Schärfen gelegen. Waffenmeister Victor war der einzige in der Burg, dem er die Geschichte vom Fund des Schwertes erzählt hatte. Wobei er auch ihm die schrecklichen Visionen verschwiegen hatte, die sich ihm in den Schädel gebrannt hatte, als er die Klinge aus dem Stein gezogen hatte. Und die Stimme, die ihn gerufen hatte. Und die Hitze seines eigenen Blutes, die auf ihre Art darauf geantwortet hatte. Seither hatte er sich bemüht, die Herkunft des Schwertes zu vergessen, auch wenn es ihm niemals gänzlich gelang. Victor hatte ihm gesagt, daß es möglicherweise das Schwert eines Gemma-Ritters war, das jemand vor Urzeiten dort in den Stein versenkt hatte. Dies könnte die unnatürliche Schärfe der Klinge erklären. Das Schwert eines Gemma-Ritters. Ihn schauderte immer bei diesem Gedanken und Ehrfurcht bemächtigte sich seiner, wenn er dann das Schwert berührte. Tyro wußte, daß nur wenige in Pandoria überhaupt an die Existenz dieses Ordens glaubten. Die Gemma-Ritter waren Gestalten aus lange vergessenen Geschichten und Sagen. Doch Tyro war mit den Geschichten seiner klugen Ziehmutter Aerian und des Dorfältesten aufgewachsen, die ihm erklärt hatte, daß selbst in den ältesten Legenden oft viel Wahrheit verborgen war. Es gab ansonsten nur noch ein paar alte Veteranen der Garde Pandorias die behaupteten, im Krieg zwischen dem Imperium und Jadd vor fünfzehn Jahren hätten Gemma-Ritter aus Tasnica auf der Seite der Freien Stadt gekämpft. Vor zwei Jahren war bei König Telmas eine Gesandtschaft des Reiches Tasnica eingetroffen, bei der Gemma-Ritter dabeigewesen waren, aber leider hatte Tyro die Ritter nicht gesehen, über die man soviel geflüstert hatte, bevor sie eine Woche später ungesehen wieder aus der Stadt verschwunden waren, so unauffällig wie sie auch angekommen waren. Seufzend vertrieb er die Gedanken an das Schwert, an Visionen und Geschichten über Gemma-Ritter und stand auf, um die Klinge wieder in die Scheide zu schieben und sich auf den Weg zum Ausgang zu machen. Es war spät und morgen wartete ein weiterer, anstrengender Tag auf ihn. In letzter Zeit schien Victor viel wert auf harte Übungsstunden im Schwertkampf zu legen. Es wäre nicht gut, wenn er morgen unausgeschlafen auf dem Platz vor der Kaserne erschien. Leer lag die Halle des Tempels da, nachdem Tyro den Altarraum verlassen hatte. Der Duft der verbrannten Kräuter verzog sich allmählich und die Flammen in Kohlenbecken brannten niedriger. Hinter einer der Säulen löste sich jäh eine Gestalt in einem dunklen Umhang aus den Schatten. Die ganze Zeit während des Gespräches zwischen Tyro und der Prinzessin hatte sie sich im hinteren Teil der Halle verborgen und gelauscht. Ein hageres, falkenartiges Antlitz mit tiefliegenden Augenhöhlen und blasser Haut leuchtete im Feuerschein. Ein sorgfältig gestutzter schwarzer Bart versuchte vergeblich, dem Gesicht des Mannes so etwas wie Leben einzuhauchen. Ein spöttisches Lächeln teilte die schmalen Lippen, als der Mann vor einer Statue der Göttin stehenblieb. Aber die Augen blieben hart und unnahbar, wie zwei leblose Kugeln aus Eis. »Auch diesmal wirst du den bevorstehenden Untergang nicht verhindern können«, sagte er leise, wie zu sich selbst, blickte aber dabei die Statue aus weißem Marmor an. »Wo sind deine heldenhaften Ritter des Gemma jetzt? Wo deine klugen Priester und die unbezwingbare Kraft deines ewigen Baumes? Nein, kleine Göttin, ich bereue es nicht, mich von dir abgewandt zu haben. Mich nennen die Menschen Verräter und Abtrünniger, aber wie unterscheidest du dich von mir? Ich habe eine einzige Stadt verraten. Du jedoch, hast die ganze Welt verraten. Nicht einmal die Mächte der Unterwelt können grausamer sein, als du. Byzel ist gefallen. Die Schatzkammern des Imperiums quellen über vom Gold der Händler. Der ganze Kontinent Glaive gehört nun uns. Das, was ich vor fünfzehn Jahren vorausgesehen habe, ist eingetroffen. Und auch Pandoria wird fallen. Schon bald. Nichts wird dieses Land mehr retten können. Der Kaiser kennt keine Gnade, kleine Göttin.« Mit diesen Worten, wandte der schwarzgekleidete Mann der Statue den Rücken zu und verließ den Tempel. Endgültige Stille senkte sich danach über die Halle herab. Auf einmal machte der Tempel nicht mehr den Eindruck einer heiligen Städte voller Licht und Wärme. Er wirkte wie ein steinernes Grab.
  3. So, es folgt Kapitel 3 Kapitel 3 - Ein verblassender Traum Der Frühling war normalerweise ihre liebste Jahreszeit. Wenn sich die ersten weißen Glockenblumen aus der Erde streckten und der Jasmin in einem satten, leuchtenden Gelb zwischen den anderen Hecken und Sträuchern erblühte. Die Tage, wenn der kalte Sturmwind, der aus dem Osten vom weit entfernten Drachenmeer her kam, endlich langsam abflaute und sich die ersten Schneedecken von den Bergen im Westen lösten und die Bäche und Flüsse anschwellen ließen, die zur Küste hin strebten. Der erste Tag, an dem man die wärmenden Fellmäntel und Decken nicht mehr benötigte und die klaren, gesunden Strahlen der kräftigen Frühlingssonne den Menschen in die Gesichter schien. Doch an diesem Morgen, zwei Wochen nach ihrem neunzehnten Geburtstag, war es kein schöner Frühlingstag. Wisp, der Manageist des Lichtes, der auch die Kraft der Sonne verkörperte, schien es in diesem Jahr nicht gut mit Pandoria zu meinen. Der kalte Wind des Ostens war noch nicht gänzlich abgeflaut und wehte abends immer streng und kühl über die Stadt und die Zinnen der Burg. Nur zaghaft und zögerlich kamen die frühen Blumen im Wald und auf den Wiesen ans Tageslicht. Auch dieser Morgen zeigte nicht das fröhliche Gesicht des Frühlings, sondern schien ein abklingender Wintertag zu sein. Fröstelnd stand Prinzessin Sheyla in einem wenig wärmenden Kleid auf der Plattform des Bergfriedes, in dem die Gemächer ihrer Familie untergebracht waren. Die Sonne war gerade trüb hinter verschleierten Wolkenfetzen am östlichen Horizont aufgegangen, doch es wurde kaum merklich wärmer. Ihre innere Stimme sagte ihr, daß es gegen Mittag zwar noch wärmer werden würde, doch nicht so, wie es sich für einen Frühlingstag in diesen Breitengraden eigentlich gehörte. »Sheyla, Sheyla!« Ihr kleiner Halbbruder Beril kam die Treppe zur Plattform heraufgestürmt, und sie drehte sich lächelnd zu ihm um, als sie seine Stimme und seine hastig trampelnden Schritte hörte. Beril reichte ihr bereits bis zur Brust, und er würde wohl ebenso groß werden wie sein Vater, wenn er weiter mit solcher Schnelligkeit wuchs. Er hatte sich heute ein weißes, geschnürtes Hemd angezogen und trug lederne Reithosen mit silbernen Schnallen. Das Kurzschwert, welches der Burgschmied extra für ihn geschmiedet hatte, trug er in der rechten Hand und schwang es mit strahlendem Blick hin und her. Es war natürlich stumpf, aber dennoch aus richtigem Stahl geschmiedet. Nichts liebte der Junge mehr, als mit den Wachen im Spiel zu kämpfen, wenn sie einmal für ihn Zeit hatten. »Heute ist ein prächtiger Tag, liebe Schwester!« rief der Zwölfjährige begeistert. Er schien vom kalten Wetter nicht beeindruckt und freute sich wie jeden Tag auf Stunden voller Abenteuer in der Burg und der Umgebung. »Es ist genau der richtige Tag um Räuber zu jagen und Drachen zu töten. Reitest du heute mit mir aus?« Sheyla trat auf ihn zu, strich sich mit einer Hand ihr feines, blondes Haar aus der Stirn und legte die andere Hand sanft auf die Schulter ihres jüngeren Bruders. Lächelnd antwortete sie bedauernd:»Tut mir leid, Beril. Aber du weißt doch, daß es Vater nicht gut geht. Wir müssen in der Burg bleiben und uns um ihn kümmern.« Bei diesen Worten huschte ein Schatten über Berils Gesicht und ein Teil seiner ungebrochenen Fröhlichkeit fiel von ihm ab. »Sheyla, warum redet er nicht mehr mit uns? Er sitzt nur noch auf seinem Stuhl und starrt zum Fenster hinaus, oder liegt bewegungslos in seinem Bett. Er ißt nichts mehr und wird immer dünner. Und diese oberschlauen Heiler, die am laufenden Band zu uns kommen, können ihm auch nicht helfen.« »Beruhige dich, Beril«, tröstete ihn Sheyla, auch wenn die Sorge um ihren Vater ihr selbst das Herz zerfraß, weil sie absolut nichts dagegen unternehmen konnte. »Es kommt schon alles wieder in Ordnung. Ich habe meiner Mutter einen Brief geschrieben, und sie wird bald hier eintreffen, wie ich hoffe. Sie kann ihm bestimmt helfen.« »Du hast der Hexe einen Brief geschrieben?« Beril sah sie stirnrunzelnd an und brachte in seinem Blick alle Skepsis zur Geltung, die ein Zwölfjähriger empfinden konnte. »Einen Brief an Tura?« Sheyla packte ihn ein wenig fester an der Schulter und sah ihn mit strengem Blick an. »Hör auf, so über meine Mutter zu sprechen. Sie ist eine gute Frau, auch wenn sie ein wenig seltsam ist.« Beril senkte leicht den Kopf. »Tut mir leid«, murmelte er beschämt. »Aber sie ist doch wirklich eine Hexe.« Sheyla nickte. »Ja, natürlich. Aber sie ist deswegen nicht schlecht. Ich bin auch eine Hexe. Bin ich deshalb böse?« Er sah sie betreten an. »Nein, aber du bist doch keine richtige Hexe. Du besitzt nur ein paar der Kräfte, die deine Mutter beherrscht. Du kennst dich mit Heilpflanzen aus und kannst flackernde Lichter und silberne Funken beschwören. Und außerdem bist du meine Schwester.« »Die Kleinigkeiten, die du genannt hast, sind schon eine Menge Magie in diesem Land«, sagte Sheyla ernst. »Die Lords unseres Vaters werden zum Beispiel gar nicht gerne daran erinnert, das ich auch über Magie gebiete. In Pandoria steht man der Magie der Manageister nicht so tolerant gegenüber, seit die Hexenmeister des Lords von Lorim im Bürgerkrieg ein schreckliches Blutbad angerichtet haben. Sie benutzten die wilde Macht von Salamander, dem Geist des Feuers, um Vaters treue Soldaten zu Asche zu verbrennen.« »Schon gut, schon gut, Schwester. Ich habe dich verstanden«, sagte Beril seufzend. »Wann wird sie kommen?« »Vielleicht morgen, vielleicht auch erst in einer Woche. Meine Mutter ist viel in den Wäldern unterwegs und verläßt oft ihr Schloß, um Kräuter zu suchen und mit den Tieren zu sprechen. Ich habe ihr einen schnellen Vogel geschickt, der sicher den Weg zu ihr findet, egal wo sie sich aufhält. Wenn sie erfährt, daß Vater krank ist, wird sie so schnell wie möglich kommen.« »Wird sie ihm helfen können?« Sheyla wußte es nicht, aber sie wollte ihren kleinen Bruder nicht enttäuschen und sagte ermutigend:»Sicher, sie ist die beste Heilkundige in ganz Pandoria, auch wenn die Heiler aus der Stadt dies wohl leugnen würden. Sie wird wissen, was Vater fehlt.« Beril nickte erleichtert. »Da bin ich aber froh. Charine sieht wieder so traurig aus heute morgen, und sie hat heute kaum ein Wort mit mir gesprochen.« Das hatte Sheyla geahnt. Seitdem ihren Vater diese seltsame Krankheit befallen hatte, wurde Berils Erzieherin immer mutloser und sprach kaum noch mit jemandem. Sie kannte den König schon seit ihrer Kindheit und hatte Berils Mutter sehr nahegestanden. Als Königin Verin bei der Geburt des Prinzen im Kindbett gestorben war, hatte sie die Aufgabe übernommen, den Jungen zu erziehen. »Hast du gestern gehört, was Victor zu General Leart gesagt hat?« fragte Beril dann und riß Sheyla aus ihren Überlegungen. Er klang plötzlich sehr nachdenklich für einen Zwölfjährigen. Sheyla schüttelte den Kopf. »Nein. Wieso?« »Er berichtete von einer zweiten Finsternis, die über das Land kommen wird, von Dämonen und Mächten der Unterwelt, die Pandoria bedrohen.« Sheyla lachte kurz, um Beril ein wenig aufzumuntern und ihn aus seinen düsteren Gedanken zu reißen. »Ach, Beril, du weißt doch, wie sehr der alte Victor Prophezeiungen und Sagen liebt. So schlimm wird es schon nicht werden. Vater gebietet über die mächtigste Armee dieses Landes und wir haben sogar ein Bündnis mit den Zwergen. Die Kraft des Mana fließt reichlich in Pandoria und wird uns vor allem Übel beschützen.« Sie verschwieg, daß sie selbst zu Beginn des Frühlings mit ihren Hexenkräften gespürt hatte, daß die Kraft des Landes abgenommen hatte. Sie hatte sich eigentlich anfangs nicht viel dabei gedacht, denn die Macht des Mana in der Natur war oft wie Ebbe und Flut, sie nahm ab und zu, manchmal sogar unabhängig von den Jahreszeiten. Doch angesichts der Worte des weisen Victor, war sie sich nun nicht mehr so sicher. Was, wenn mehr dahinter steckte? Was, wenn die seltsame Krankheit ihres Vaters von der abnehmenden Energie herrührte? So viele Fragen und sie hatte keine Antworten darauf. Die Priester im weitentfernten Wendel könnten ihr diese Fragen sicher beantworten. Sie waren die weisesten Männer des Landes und sie wurden von dem uralten Mana-Priester Cibba geführt. Sie galten als die besten Heiler der Welt und Sheyla hätte gerne bei ihnen studiert und die Künste des Heilens gelernt. Doch ihre Verpflichtungen als Prinzessin Pandorias verboten ihr das. »Meine Mutter wird uns helfen«, sagte sie zuversichtlich und nahm Beril leicht bei den Schultern, um ihn kurz aufmunternd zu drücken. Er war schon sehr groß, und als erwachsener Mann würde er sie sicher bald überragen, wenn er so alt war wie sie selbst. »Tura...«, meinte Beril. »Das wird General Leart und den Adligen nicht gefallen, glaube ich.« Da hatte ihr Bruder natürlich recht. Aber das war im Moment nicht wichtig. Und mochte der alte General noch so toben. Wichtig war nur, daß jemand ihrem Vater helfen konnte. »General Leart wird tun, was ich sage«, meinte Sheyla schärfer als gedacht. »Und der Adel hat in dieser Sache gar nichts zu sagen.« »Komm, und jetzt gehst du zu Charine und frühstückst ordentlich. Ich werde noch einmal zu Vater gehen«, fügte sie ein wenig milder hinzu. Der Tag hatte begonnen und es gab noch viel, das sie zutun hatte. General Leart und Waffenmeister Victor erledigten zwar die dringendsten Regierungsgeschäfte zusammen mit eine kleinen Rat aus höherstehenden Adligen, doch als Prinzessin hatte sie auch ihre Pflichten. Heute kamen die Händler aus Lorim, die über die neuen Preise ihrer Schafswolle verhandeln wollten und einige Bauern aus dem Süden beklagten sich darüber, daß ihre Tiere von den Weiden verschwanden und hatten gestern laut dem Haushofmeister bei ihr um eine Audienz ersucht. Zwar hätte sich auch General Leart oder jemand aus dem Adelsrat darum kümmern können, doch Sheyla wollte einen Teil der Pflichten ihres Vaters auch selbst übernehmen. Sie hatte gelernt, daß es besser war, wenn jemand aus der königlichen Familie im Palast präsent war, um bei Beratungen anwesend zu sein oder kleinere Audienzen zu geben. Sie wußte, daß sie nicht dazu befugt war, wichtige Botschafter in Empfang zu nehmen oder Verträge zu unterzeichnen, aber ansonsten konnte sie sich um kleinere Streitereien oder so etwas wie Viehdiebstähle kümmern. Manchmal glaubte sie, diese täglichen Geschäfte würden sie bereits überfordern. Sie haßte diese kleinkrämerischen Wünsche der Handelsherren, die nur auf Profit aus waren und noch schlimmer waren diese speichelleckenden Höflinge der Adelshäuser, die sich mit schwülstigen Schmeicheleien das Wohlwollen der Krone sichern wollten. Nein, dachte sie entschieden. Sie war keine geborene Herrscherin. Nach Vaters Tod, würden sich die Adligen um den Thron zanken müssen. Sie war zu schwach um ein so gewaltiges Königreich wie Pandoria regieren zu können, bis ihr kleiner Bruder erwachsen war. Eine Heilerin... ja, daß wäre ihre Berufung. Entschlossen straffte sie ihre Schultern und machte sich auf den Weg zu den Gemächern ihres Vaters. Die Burg wirkte an diesem Morgen fast wie ausgestorben. Ihr begegneten nur wenige Diener und Wachen, die sie zwar ehrerbietig, aber verhalten und schweigsam grüßten. Stille hatte sich über die Burg von Pandoria gesenkt. Eine Stille, die Sheyla Angst machte. Die Gemächer ihres Vaters lagen im großen Prunkturm des Ostflügels, den man über einen überdachten Verbindungsgang zum Hauptgebäude erreichen konnte. Am Ende des Wehrganges stand eine Wache mit blaurotem Wappenrock vor einer Holztür. »Prinzessin«, grüßte der bärtige Mann, nahm den Speer nach unten und verneigte sich kurz. »General Leart ist ebenfalls bei eurem Vater. Zusammen mit Ulden.« »Danke, Exan«, meinte Sheyla freundlich. Sie passierte die Tür, die der Soldat wieder sorgsam hinter ihr verschloß. Im Turm war es wärmer als im anderen Teil der Burg. Seit ihr Vater krank geworden war, wurden die Feuer in den Öfen und Kaminen Tag und Nacht geschürt. Wenigstens, solange es nachts noch kalt wurde. Noch hatte der Frühling seine Macht nicht gänzlich entfaltet. Das Zimmer, in dem ihr Vater untergebracht war, befand sich einen Stock höher und Sheyla erreichte es durch das Ersteigen einer schmalen Wendeltreppe am Ende eines mit Fackeln erleuchteten Ganges und durch eine weitere, von zwei Gardisten bewachte, Eichentür. Der Raum, den sie betrat, war in Dämmerlicht gehüllt, obwohl es zwei große, ausladende Fenster aus buntem Glas gab. Sie stellte fest, daß man fadenscheinige Vorhänge davorgezogen hatte, um die Kraft der Frühlingssonne zu mildern. Ein schwaches Feuer brannte in dem ausladenden Kamin am südlichen Ende des Raumes. Außer ihr und ihrem Vater waren noch zwei weitere andere Personen anwesend, General Leart, der direkt neben dem großen Himmelbett ihres Vaters stand, war der erste, die Sheyla bemerkte. Er hob die grauen Augenbrauen und zwang ein Lächeln auf sein zähes Antlitz. »Ah, Prinzessin. Schön, daß Ihr da seit. Ich dachte mir, daß ihr früh am Morgen Eurem Vater einen Besuch abstatten würdet.« Sheyla sah, daß Leart unruhig war. Er strich sich nervös mit einer hand durch den grauen Spitzbart, während die andere unbewußt auf dem Langmesser lag, welches in seinem Gürtel steckte. Die Person neben dem General, die näher am Bett stand, war der Heiler Ulden. Er war ein kleiner, gebückt gehender Mann, von dem niemand so genau wußte, wie alt er eigentlich war. Aber er schien der Königsfamilie schon seit ewigen Zeiten zu dienen. Heute trug er ein unscheinbares, weißes Gewand mit eine schmalen Blätter-Stickerei an den Säumen. »Prinzessin«, grüßte der Heiler murmelnd, wandte den Blick jedoch nicht vom König ab. Auch in seinem Gesicht konnte Sheyla große Sorge erkennen. Hastig trat sie an das große Bett und betrachtete ihren Vater. König Telmas hatte die Augen geschlossen und sah noch blasser aus, als gestern. Man hatte ihn bis zum Kinn zugedeckt und obwohl es im Raum sehr warm war, sah Sheyla keinen Schweißtropfen auf seiner blassen Stirn. Als sie zögernd seine Haut berührte, bemerkte sieschaudernd, daß diese kalt wie Eis war. Ihr kam ein schrecklicher Gedanke... »Ist er...?« Sie konnte es nicht aussprechen. Ein furchtbarer Kloß saß in ihrem Hals, als sie den Heiler auf der anderen Seite des Bettes anstarrte. Ulden schüttelte jedoch den Kopf. »Nein, Prinzessin. Er atmet noch, wenn auch schwach und unregelmäßig. Vor einer Stunde war er kurz wach und sprach mit General Leart. Danach ist er wieder in diese seltsame Bewußtlosigkeit gefallen.« Erleichtert atmete Sheyla kurz ein und aus. Sie hatte schon befürchtet, daß ihr Vater tot war. Diese merkwürdige Krankheit schien sich wie ein schleichendes Gift in seinem Körper und seinem Geist auszubreiten, und es wurde mit jedem verstreichenden Tag schlimmer. »Vielleicht sollten wir einen Boten nach Wendel schicken, um die Mana-Priester dort um Hilfe zu bitten«, wandte Sheyla besorgt ein, während sie die hilflose Gestalt ihres Vaters betrachtete. Sie vermochte nicht zu verhindern, daß ihre Stimme leicht anklagend klang. General Leart schnaubte. »Ich habe vier Boten geschickt. Schon vor einer Woche, Prinzessin. Aber die Reise nach Wendel ist lange und gefährlich. Wir werden lange auf Hilfe der Hohepriester warten müssen. Falls sie überhaupt rechtzeitig eintrifft.« Sheyla schwieg. Der alte General hatte recht. Sie tat dem Mann unrecht. Sie hätte damit rechnen müssen, daß auch Leart bereits alles Erdenkliche unternommen hatte, um ihrem Vater zu helfen. König Telmas und sein General waren seit ewigen Zeiten Freunde und zahlreiche Schlachten hatten sie gemeinsam ausgefochten. Ulden nahm derweil ein feuchtes Tuch aus einer Schale mit heißem, dampfenden Wasser, das auf dem Nachttisch neben dem Bett stand und tupfte damit ihrem Vater die Stirn sanft ab. Sheyla sah Leart an, der sie einen Augenblick aus unergründlichem Blick gemustert hatte. »Ich habe nach meiner Mutter geschickt.« Die Reaktion des Generales war wie zu erwarten gewesen war, heftig. »Was?!« Leart riß die Augen auf und krampfte die Hand um den Messergriff in seinem Gürtel. »Nach Tura? Das meint ihr doch nicht ernst, Prinzessin!« »Sie versteht mehr von Heilkunst als die Priester und Heiler der Stadt. Möglicherweise kann sie meinem Vater helfen«, rechtfertigte sich Sheyla. »Mit Verlaub, Prinzessin.« Die Stimme des Generales war bemüht beherrscht. Haß und Kälte schwangen darin mit. »Ich werde es nicht dulden, das diese Hexe in die Burg kommt und eurem Vater vielleicht noch mehr Schaden...« Bevor er aussprechen konnte, unterbrach ihn Sheyla rüde. Sie wurde langsam wütend. Sie mußten nach jedem Strohhalm greifen, der sich ihnen bot. Das Verhalten des Generals war so verflucht... verbohrt. Zornig entgegnete sie:»Mit Verlaub, General. Ihr vergeßt Euch. Tura wird kommen. Ich habe ihr bereits mit einem Vogel eine Nachricht zugesandt.« »Wie will sie ihm denn helfen? Mit finsterer Hexerei aus der Unterwelt?« rief Leart aufgebracht. »So wie damals, als sie ihn behexte, um Euch...« In diesem Moment brach der General ab, da er bemerkte, was er gerade im Begriff gewesen war zu sagen. Schlagartig beruhigte er sich und schluckte schwer. Die Wut wich aus seinen angespannten Zügen. »Es tut mir leid, Prinzessin. Ich... habe mich wirklich vergessen. Ich entschuldige mich für meine Worte.« Er verneigte sich kurz. Sheyla verkrampfte die Hände in ihrem Kleid. »Schon gut, Leart«, erwiderte sie gepreßt, konnte jedoch nur mit Mühe die Tränen unterdrücken. Der alte Mann war immer so etwas wie ihr zweiter Vater und Freund gewesen. Das er so haßerfüllt über die Verbindung zwischen Tura und dem König dachte, versetzte ihr einen Stich ins Herz. »Vielleicht ist Tura seine letzte Chance«, murmelte Ulden, während er das Tuch über der Schüssel auswrang. Leart fuhr herum, und auch Sheyla blickte den Heiler überrascht an. »Das meint ihr doch nicht im Ernst, oder?« fragte Leart ungläubig. Ulden sah den General und die Prinzessin jedoch voller Überzeugung an. »Weder der Mana-Priester noch ich wissen, was dem König fehlt. Etwas entzieht ihm ständig seine Kraft. Unser ganzes Wissen über Heilkunde nützt gar nichts.« Für einen Moment herrschte fast völlige Stille im Schlafzimmer des Königs. Sheyla vernahm nur das Knacken der letzten Holzscheite im Kamin und die Atemzüge der Anwesenden. Uldens Worte hatten sowohl sie als auch Leart erschüttert. Es war das erste Mal, daß sie erlebte, wie der alte Heiler sein Versagen auf diese Weise zugab. Leart war der erste, der wieder sprach. Er räusperte sich und blickte Sheyla an. »Prinzessin, würdet Ihr mich zum Thronsaal begleiten? Bevor die Händler aus Lorim eintreffen, erbittet noch ein anderer Gast eine Audienz bei Euch.« Sheyla nickte nur als Antwort nur wortlos und starrte dabei auf die reglose Gestalt ihres Vaters. Sie beugte sich vor und küßte ihn auf die kalte, kalte Stirn. Bitte stirb nicht, dachte sie. Bitte, bitte, laß mich und Beril nicht alleine. Wir brauchen dich doch so dringend. Wir lieben dich. Bei der Göttin des Mana-Baumes, komm zu uns zurück. Bitte... Wie eine Puppe folgte sie Leart anschließend aus dem Zimmer und ging mit ihm Richtung Thronsaal. Sie fühlte sich schwach und kraftlos, als hätte der Besuch bei ihrem kranken Vater ihr die letzten Energiereserven geraubt. Der Thronsaal wirkte ebenso verlassen, wie der Rest der Burg. In den beiden gigantischen, vergoldeten Kronleuchtern brannten zwar hunderte von Kerzen und erleuchteten die verzierten Arkaden an den Seitengängen des Raumes, doch irgendwie herrschte trotzdem eine Düsternis, die nichts mit dem schwachen Sonnenlicht zutun hatte, das durch die verzierten Glasfenster auf halber Höhe des Saales hereinfiel. Mehr als alles andere schienen der leere, hölzerne Thron am Ende der Halle, die kühlen Steine der Wände, des Bodens und der Decke das schlechte Gefühl in ihrem Innern zu verstärken. Auf einer der marmornen Bänke unter den Arkaden im westlichen Teil des Thronsaales saß eine schlanke Gestalt, in einen Kapuzenumhang gehüllt. Sheyla runzelte die Stirn. Eine seltsame Audienz. Außer dieser verhüllten Person war niemand im Raum, wirklich sehr ungewöhnlich für eine Audienz. Es waren weder Wachen, noch Herolde zu sehen. Nachdem Sheyla und Leart durch einen schmalen Seiteneingang den Raum betreten hatten, erhob sich die Gestalt in einer fließenden, irgendwie ungemein eleganten Bewegung. Als die Gestalt sich verneigte und anschließend die Kapuze zurückschlug, unterdrückte Sheyla einen überraschten Ausruf. Es war eine Frau. Hochgewachsen, mit blonden Haaren, die zu einem festen und langen Zopf geflochten waren. Ihre Haut war sehr hell, ganz anders als die der Menschen von Pandoria. Die Augen über der sommersprossigen Nase schimmerten in einem tiefen Blau, gleich dem eines Bergsees. Ein silberner Reif lag um die Stirn der Frau, Runen waren darin eingraviert. Eine Amazone! dachte Sheyla erstaunt. »Ich grüße Euch, Prinzessin Sheyla. Der Segen der Winde sei mit Euch.« Die Stimme der Frau klang dunkel, nicht rauh, aber tief und volltönend, als könne sie sich auch auf einem Schlachtfeld Gehör verschaffen. »Prinzessin Sheyla, ich stelle Euch Ildafire vor, die persönliche Erzieherin des Prinzen Herrafid von Rolante. Sie ist auf meinen Wunsch nach Pandoria gekommen«, meinte General Leart. Das schien den Unmut der Amazone zu wecken. »Ich bin auf den Wunsch meines Königs hier, General. Und ich kann meinen Namen selbst nennen.« »Sicher, Lady. Meine Vergebung.« Leart verbeugte sich linkisch. »Ich grüße Euch in meines Vaters Namen im Königreich von Pandoria. General Leart sagte mir, daß Ihr eine Audienz mit mir wünscht?« fragte Sheyla abwartend. Sie versuchte, die Amazone nicht zu neugierig anzuschauen. Obwohl es unschicklich war, besiegte die Neugierde ihre Etikette, und sie konnte nicht verhindern, daß sie Ildafire von Kopf bis Fuß genau in Augenschein nahm. Obgleich der graue Kapuzenumhang viel von ihrer Gestalt verbarg, konnte Sheyla erkennen, daß Ildafire schlank, aber sportlich war. Ihr Alter lag vielleicht irgendwo zwischen dreißig und vierzig Jahren. Der längliche Gegenstand, der sich auf einer Seite abzeichnete, schien ein Langschwert zu sein, mit dem sie sicher auch umzugehen wußte. Sheyla fiel ein, daß die Amazonen des Windkönigreiches Rolante genauso starke Krieger waren, wie die Männer der pandorianischen Armee ihres Vaters. Und man erzählte sich, daß die Amazonen weitaus härter und gnadenloser mit ihren Feinden umsprangen, als die Soldaten Pandorias. Das gemeine Volk nannte sie oft voller Ehrfurcht „Töchter des Himmels†œ. »König Erafir von Rolante schickt mich auf Wunsch von General Leart zu Euch, Prinzessin«, sprach die Amazone weiter. »Der alte Friedenspakt zwischen Pandoria und und Rolante wird in den hohen Türmen auf dem Pfad der Himmel immer noch in Ehren gehalten. Ich bin Ildafire, Herrin des Drachenhorns und Führerin der Eisspeere Rolantes. Ich habe Prinz Herrafid die Kunst des Schreibens, des Rechnens und der Diplomatie gelehrt. Die Winde mögen mich segnen, auf das ich Euch ebensogut lehren werde wie den Prinzen.« Sheyla runzelte die Stirn und warf einen Blick auf Leart. »Was hat das zu bedeuten, General? Mich unterrichten?« »Ja, Sheyla. Es war meine Entscheidung«, meinte Leart traurig und senkte den Blick »Sie ist im Geheimen hier. Es wäre ungünstig, die Adligen Pandorias darauf aufmerksam zu machen, daß ihr einen Lehrer habt, der Euch auf das Regieren vorbereitet. Die Lehrer Pandorias wären zu auffällig in der Burg. Aber eine zusätzliche Leibwächterin aus Rolante wird keinen Verdacht erregen. Und jemand muß Euch darauf vorbereiten, die Regierungsgeschäfte zu übernehmen, wenn... falls Euer Vater stirbt.« Wütend trat Sheyla einen Schritt zurück. Sie konnte es nicht fassen! Glaubten denn wirklich alle, ihr Vater würde sterben? Das durfte einfach nicht sein. »Ich kann nicht regieren«, brachte sie schließlich hilflos hervor. »Die Adligen..., die Handelsfürsten, die... die Göttin hilf mir, aber... eine Königin sein? Die Königin von Pandoria? Nein, das kann ich nicht!« Learts Blick wurde hart, die Amazone hingegen schwieg und zeigte keinerlei Reaktion auf Sheylas Ausbruch hin. »Keine Königin«, sagte Leart entschieden. »Die Regentin. Zumindest, bis Euer Bruder volljährig ist.« Seine Stimme wurde ein wenig weicher, und er fügte hinzu:»Ihr werdet nicht alleine sein, Prinzessin. Wir alle werden Euch helfen.« »Mein Vater ist noch nicht tot!« Jetzt konnte sie die Tränen nicht mehr aufhalten. Sie wandte sich hastig um, rannte aus dem Thronsaal und ignorierte General Leart, die sie zurückrufen wollte. Sie wußte nicht wohin sie wollte, aber sie rannte einige perplexe Diener über den Haufen und verlor unterwegs ihren Haarreif, so daß ihre langen, blonden Haare hinter ihr wehten gleich einem Schleier aus goldenen Fäden. Irgendwann erreichte sie keuchend die Spitze des Turmes, auf dem sie vorhin gestanden hatte, als Beril sie gefunden hatte. Der Wind hatte sich verstärkt und zerrte an ihrem Umhang, als sie an den Zinnen stehenblieb und beide Hände so fest in die äußere Kante des Steines grub, daß ihre Knöchel weiß hervortraten. Sie wollte eine Heilerin werden. Eine Heilerin! Keine Regentin! Zeit ihres Lebens träumte sie von den ewig blühenden Eichen in den heiligen Gärten der fernen Stadt Wendel, träumte davon, ebenfalls mit einem weißen Blumengewand am Leib unter ausladenden Ästen mit frischen Blättern und bunten Blüten zu wandern, um die Kostbarkeiten der Göttin des Mana-Baumes von der Natur entgegenzunehmen. Sie wollte mit dem weisen Cibba über die Geheimnisse der Göttin sprechen und die Wunder der Wasserfallhöhlen bei Wendel sehen. Sie wollte die Göttin ehren, indem sie die Wunden der Menschen pflegte und mit den Priestern die Mysterien des Mana ergründen. Die Tränen hatten aufgehört zu fließen, doch ihr schmerzhafter Griff um den rauen Stein hielt immer noch an. Sie biß die Zähne zusammen und vertrieb die Gedanken an ihre eigenen Wünsche. General Leart hatte recht. Sie war neunzehn Jahre alt und mußte mit den Ereignissen zurechtkommen, so schlimm sie auch waren. Sie war die Prinzessin von Pandoria und würde auch als solche handeln und nicht als ein naives, selbstsüchtiges Mädchen. Sie löste ihren Griff um den Rand der steinernen Zinne, drehte sich gefaßt um und ging zurück in die Burg. Der letzte, kalte Windzug, den sie auf der Plattform des Turmes verspürte, nahm nicht nur winzige Staubkörnchen und Sand mit, die in den Ritzen der Mauer festsaßen. Nein, dieser letzte Windstoß trug auch ihre kindlichen Träume mit sich fort. Zurück blieb nur kalter, teilnahmsloser Stein.
  4. So, und nun folgt Kapitel 2 Ich habe mich dazu entschlossen, alle Secret of Mana Spiele zu einer großen Story zu verbinden. Das heißt, ich habe mich für die Spielszenen, Gegner, Charaktere entschieden, die mir von allen am besten gefallen bzw. mich inspiriert haben. Zwar will ich den Flair der Grundgeschichte erhalten, aber besonders schwer war das bei den skurrilen, komischen Szenen in den Spielen. Einige habe ich nach langer Überlegung eingebaut, aber nur so, daß sie zu dem gesamten Rahmen der Story passen. In ihrer Ganzheit sollte alles ein wenig "ernster" und "erwachsener" rüberkommen. Obwohl viele Charaktere aus Secret of Mana vorkommen, verwende ich sie in meiner Geschichte oft anders, oder ändere ihren Hintergrund, um sie meinen Szenen anzupassen. ( für Kenner der Serie: naja, aber der Pogopuschel mußte rein, ich hab mir schon eine Szene dafür ausgedacht, der darf auf keinen Fall fehlen! ) In den ersten Kapiteln werde ich die verschiedenen Hauptcharaktere vorstellen und die Geschichte ins Rollen bringen, damit man in die Welt eintauchen kann. Also viel Spaß mit dem Text. Kapitel 2 - Schwerter und Worte »Parade! Ausfallschritt links! Schritt! Parade! Angriff!« Die kräftige Stimme des alten Waffenmeisters übertönte sogar das laute Klirren der Schwerter auf dem Burghof. Nirco riß seine Klinge nach oben, um damit die blitzartige Attacke Tyros zu parieren. Aber Hagen konnte schon sehen, daß die Parade nicht schnell genug kommen würde und Nirco hastig dazu gezwungen war, den Oberkörper zur Seite zu drehen, als das Schwert seines Gegners seine Deckung durchbrach und nach seiner Brust schlug. Mit einem schnellen Ausfallschritt, fand er jedoch sein Gleichgewicht wieder. Für den Bruchteil einer Sekunde war Tyro damit beschäftigt, einen neuen Stand zu finden, als er erkannte, daß sein Angriff keinen Erfolg gezeigt hatte. Das nutzte Nirco nun aus, um seinerseits anzugreifen. Mit einer schnellen Drehung brachte er sich in eine günstige Position und trat nach Tyros Beinen, während er gleichzeitig mit dem Schwert einen gewagten Seitenhieb ausführte. Tyro stolperte, als Nircos Fuß sein Schienbein traf, ahnte aber anscheinend, was er vorhatte und vermochte noch im allerletzten Moment seinen Arm anzuwinkeln, um mit einer schrägen Parade den Hieb abzuwehren. Wieder trafen die Klingen klirrend aufeinander. Was nun folgte, war eine Abfolge aus genau einstudierten Finten und Angriffen. Hagen stand neben seinem Mentor, dem Waffenmeister Victor und beobachtete genau den Kampf zwischen Tyro und Nirco. Nirco war ein wenig größer und kräftiger gebaut als der Junge aus dem Norden, doch Tyros schnellere Reaktionen machten durchaus wett, was ihm der andere an körperlicher Stärke voraus hatte. Hagen konnte sehen, daß Nirco die Zähne zusammenbiß und Schweiß über sein Gesicht lief. Dummer Junge, dachte er kurz. Es war ein großer Fehler von Nirco gewesen, in Kettenhemd und Stahlhelm auf dem Hof zu erscheinen. In einem richtigen Kampf, wo es ums reine Überleben ging, war dies nötig, aber hier in einem Zweikampf unter Rekruten, in dem es darum ging, wer der bessere Kämpe war, war es mehr als unangebracht und die schwere Ausrüstung verlangsamte Nirco stark. Im Gegensatz dazu, kämpfte Tyro nur in einem festen Lederwams und trug Arm- und Beinschienen aus Leder. Auch sein Helm war mit einer Lederhülle gepolstert. Beide Rekruten waren erschöpft, doch keiner von ihnen würde aufgeben, bevor nicht einer von ihnen geschlagen war, das wußte Hagen genau. Nirco war ein zu sturer Ochse, als das er sich jetzt schon eine Niederlage eingestanden hätte, und Tyro war überzeugt davon, daß er seinen Gegner auf jeden Fall schlagen konnte. Es war Tyros Schnelligkeit, die den Kampf am Ende entschied, so wie Hagen es geahnt hatte. Um eine Entscheidung herbeizuführen, setzte Nirco noch einmal alles auf eine Karte. Er packte seinen Anderthalbhändert mit beiden Händen und sprang mit einem wilden Schrei nach vorne. Er durchbrach Tyros Deckung indem er dessen Klinge zur Seite schmetterte und unaufhaltsam fuhr sein Schwert herab. Er hätte Tyro direkt auf die Brust getroffen, wenn dieser sich nicht überraschend nach hinten fallengelassen hätte. Durch den Schwung seines Angriffs wurde Nirco nach vorne gerissen und stolperte, während Tyro sich indessen zur Seite warf und mit einer schnellen Rolle und dem dem Schwert in der rechten Hand wieder auf die Füße kam. Aufgrund seiner Erschöpfung und dem zusätzlichen Gewicht des Kettenhemdes, dauerte es einen Sekundenbruchteil zu lange, bis er sich gefangen hatte. Er fiel auf ein Knie und wollte sich gerade fieberhaft wieder hochstemmen, als er plötzlich den kalten Stahl von Tyros stumpfer Schwertspitze an seiner Kehle spürte und erstarrte. Lächelnd blickte Tyro auf den anderen Jungen herab, der direkt vor ihm stand. »Du bist besiegt. Ergibst du dich?« Hagen sah, wie Nirco matt nickte. Keuchend holte der junge Mann einen Moment Atem. »Ja. Ich ergebe mich.« Tyro nahm das Schwert von seiner Kehle und streckte ihm die linke Hand hin, um ihm aufzuhelfen. Ein gezwungenes Lächeln auf den Lippen, sah Nirco Tyro an. Der schlanke junge Mann mit den dunklen, braunen Haaren und den grünen, klar schimmernden Augen blickte ihn abwartend an. Sich darüber bewußt, daß um sie herum mindestens zwanzig andere Krieger und Rekruten und außerdem der alte Waffenmeister und sein Adjutant standen, sagte er schließlich laut und deutlich:»Es war ein anständiger Kampf, Tyro. Du hast gut gefochten und ehrenhaft gewonnen.« Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete Hagen die Reaktionen der anderen Anwesenden. Langsam zerstreuten sich die Krieger, doch einige der jüngeren Rekruten blieben stehen und unterhielten sich über den Übungskampf, dessen sie gerade Zeuge geworden waren. »Nun, ich denke, für heute ist es genug«, meinte Victor, der Waffenmeister. Der alte Mann war hochgewachsen und besaß eine stämmige Statur. Er trug einen weißen Wappenrock mit der roten Krone und der gelben Sonne Pandorias auf dem Brustteil und hatte einen dunkelblauen Umhang um seine Schultern geworfen, der mit goldenen Sonnensymbolen verziert war. Die blauen, tiefdringenden Augen waren nach dem sorgsam gestutzten, schneeweißen Bart das hervorstechendste Merkmal des wettergegerbten Gesichtes. Victor strahlte eine Aura des Respekts aus, wie es selbst die Ritter des Königlichen Rates nicht konnten. Und er mochte vielleicht sehr alt sein, aber aus eigener Erfahrung wußte Hagen, wie vortrefflich der Waffenmeister noch immer mit seinem Langschwert umgehen konnte. Es gab keinen Krieger in Pandoria, der ihn je im Zweikampf besiegt hätte. »Ihr habt beide einen glänzenden Kampf gefochten. Ich bin stolz auf euch«, sagte Victor, als er sie mit abschätzendem Blick musterte. Hagen stand einen Schritt von den drei Männern entfernt und sammelte die beiden Waffen ein, die wieder in den Holzständer am Brunnen gelegt worden waren. Als sah, wie Victor väterlich seine Hand auf Tyros Schulter legte, wallte für eine Sekunde erneut diese Wut in ihm auf, die ihn in letzter Zeit oft überkam. Was hatte dieser Junge, was er selbst nicht auch besaß? Victor blickte sich kurz auf dem Hof um, über den sich schon die Schatten der Abenddämmerung senkten. »Die Übungen sind für heute beendet. Sucht eure Unterkünfte auf. Wir sehen uns morgen früh bei Sonnenaufgang vor den Stadttoren.« Die restlichen Rekruten nickten und wandten sich zum Gehen, und auch Tyro und Nirco verschwanden in Richtung Kaserne, um ihre Rüstungen abzulegen. Hagen hatte keine sonderliche Lust, noch mit seinem Herrn zu reden und deshalb nahm er die Schwerter und machte sich verstimmt auf den Weg zur Waffenkammer im östlichen Areal des Burghofs. Ein kühler Abendwind wehte über die hohen, steinernen Mauern der Inneren Burg von Pandoria. Oben auf den Wehrgängen gingen die Nachtwachen mit ihren markanten, langschäftigen Speeren längst ihre Runden, und auf dem südlichen Wachturm wurde bereits ein Feuer entfacht. Eine Gruppe von einem halben Dutzend Dienern kam aus der Richtung des größten Gebäudes am nördlichen Ende des Hofes. Das gewaltige Bauwerk, aus dessen Mitte ein noch größerer Bergfried mit starken Ecktürmen emporwuchs, wurde vom Volksmund auch "Sonnenhalle" genannt. Es beherbergte den prächtigen Thronsaal, die Gemächer des Königs und seiner Familie, die beheizten Räume der Frauen und der derzeitig anwesenden Adligen, sowie die größte Küche der Stadt und einen kleinen Mana-Schrein inmitten eines liebevoll angelegten Gärtchens, welches täglich unermüdlich von den beiden alten Priestern gepflegt wurde. In seiner leichten Gereiztheit rannte Hagen die Diener beinahe grob über den Haufen. Jemand beklagte sich darüber, aber er nahm es gar nicht richtig wahr. Der Kampf heute war der zwölfte Zweikampf, den Tyro mittlerweile in den letzten drei Monaten gewonnen hatte. Vor knapp drei Jahren war Tyro nach Pandoria gekommen. Ein Junge vom Land, der aus irgendeinem winzigen Dorf hoch oben im Norden in den Großen Wäldern bei den Wasserfällen, gekommen war. Er hatte nichts bei sich gehabt, außer ein altes Schwert und einen Brief seiner Ziehmutter an Victor. Damals war Hagen schon zwanzig Jahre alt gewesen und seit einem Jahr der Adjutant des Waffenmeisters. Alle hatten ihn bewundert und ihn wegen seiner Waffenfertigkeiten und seiner schnellen Auffassungsgabe geachtet. Einmal hatte sogar der König ihn persönlich angesprochen und ihn gelobt. Nach Tyros Ankunft war alles anders geworden. Der Waffenmeister nahm Tyro höchstpersönlich unter seine Fittiche und kümmerte sich wie ein Vater um ihn. Er gab ihm Geld und eine Ausrüstung, um Tyro zu ermöglichen, zum Gardisten in der Armee von Pandoria ausgebildet zu werden. Victor setzt große Hoffnungen in den jungen Mann, das wußte jeder Bewohner in der Stadt und der Burg. Und Tyro hatte diese Hoffnungen anscheinend voll und ganz erfüllt, wie Hagen sich eingestehen mußte. Der Junge war talentiert. Hagen war davon überzeugt, daß er nun niemals Waffenmeister von Pandoria werden würde, so wie sein Vater es sich gewünscht und er selbst es sich jahrelang erträumt hatte. Er hatte den ganzen Stolz seines Vaters dargestellt, seit seine Mutter im Kindbett gestorben war. Sie war eine arme Verkäuferin aus dem Mühldorf gewesen, bevor sein Vater sich in sie verliebt hatte und sie mit sich in die Bergfestung Lorim genommen hatte, um sie zu heiraten. In seiner Jugend hatte Hagen die beste Ausbildung in Kunst, Literatur, Politik und Waffentechnik genossen, die sein Vater sich hatte leisten können und er war ein begieriger Schüler gewesen. Auch wenn er mit Literatur, Musik und Kunst nicht viel anfangen konnte, begeisterten ihn dagegen die Kriegskunst und die Politik sehr. Und schließlich hatte ihn sein Vater an den Königshof in Pandoria geschickt, wo er schnell seine Nützlichkeit unter Beweis gestellt hatte und am Ende sogar der Adjutant von Waffenmeister Victor geworden war. Diese Zeiten waren nun vorbei. Auch wenn er wußte, daß dies nur die neidische und eifersüchtige Reaktion eines kleinen Kindes war, betrachtete er es doch als schwere Kränkung, so von Victor abgewiesen zu werden. Der alte Ritter übertrug dem Jungen aus dem Quelldorf immer häufiger die Verantwortung für organisatorische Dinge, die Hagen vorher gut und gewissenhaft erledigt hatte. Noch war Hagen der bessere Schwertkämpfer, aber er befürchtete, daß es damit auch bald vorbei sein würde, wenn er dabei zusah, wie schnell Tyro lernte. »Hagen, warte«, rief plötzlich eine Stimme hinter ihm, während er mit zügigen Schritten einen Nebengang der Burg durchquerte, der zum Ostturm führte, wo sein Quartier lag. Widerwillig blieb er stehen und drehte sich um. Hinter ihm stand Scelion, der Quartiermeister der Kasernen. Scelion war in Hagens Alter und war ebenfalls aus Lorim gekommen, um bei König Telmas zu dienen. Sie waren zwar keine richtigen Freunde, doch weil sie schon in ihrer Kindheit zusammen gespielt hatten, trafen sie sich hin und wieder auf ein Bier im Wirtshaus oder spielten eine Runde Karten mit den Nachtwächtern. Außerdem ließ Scelion ihm des öfteren Informationen zukommen, die er aufgeschnappt hatte. »Was ist?« fragte Hagen. Er wollte sich ausruhen. Es war ein harter und anstrengender Übungstag mit den Rekruten gewesen. Scelion sah ihn an und stemmte die Hände in die Seiten. »Willst du die neuesten Gerüchte über den König hören?« Diese Worte ließen Hagen aufhorchen, und für einen Augenblick vergaß er seine Erschöpfung und seine Frustration. König Telmas hatte sich seit fast drei Wochen nicht mehr in der Öffentlichkeit gezeigt, obwohl er bislang stets einmal am Tag zusammen mit seinen Leibwächtern in den Mana-Tempel der Stadt vor der Burg gegangen war, um zu beten. Außerdem kam er auch nicht mehr zu den Gardisten und Rekruten, die im Hof trainierten, was er bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich jeden zweiten Tag getan hatte, um einige freundschaftliche Worte mit seinem alten Freund Victor zu wechseln. Die Dienstmädchen, die Hagen ausgefragt hatte, hatten ihm berichtet, daß in letzter Zeit viele Heiler die Burg nach Sonnenuntergang betreten hatten, um die Gemächer des Königs aufzusuchen. Es ging das Gerücht um, daß König Telmas erkrankt war. Wie schlimm, das konnte niemand genau sagen, da der Königliche Rat noch nichts hatte verlauten lassen. Als Hagen Victor darauf angesprochen hatte, war dieser ihm mit vagen Ausflüchten gekommen, doch er hatte den unruhigen Ausdruck gesehen, der für eine Sekunde in den Augen des Waffenmeisters aufgeflackert war. Hagen wußte, daß Pandoria sich gerade in der jetzigen Zeit keinen schwachen Monarchen leisten konnte. Kapitäne von Handelsschiffen aus dem Norden jenseits des Roten Meeres hatten in letzten Wochen schlechte Nachrichten gebracht. Das Imperium auf dem Kontinent Glaive breitete sich immer mehr aus und lag im Krieg mit der letzten Freien Stadt Byzel. Die sagenhafte Goldene Straße war von imperialen Truppen aus der Nordstadt besetzt worden. Angeblich hatte sich sogar Ocaphun, der Herrscher der Nordstadt zum Kaiser ausgerufen. Seit tausenden von Jahren hatte es auf der ganzen Welt niemand mehr gewagt, den verdorbenen Titel "Kaiser" zu führen. Nicht mehr, seit der legendäre Gemma-Ritter Aron der alten Sage zufolge mit dem Heiligen Mana-Schwert den Drachenkaiser von Vandol gestürzt hatte. »Was hast du erfahren?« fragte Hagen, als er seine Gedanken geordnet hatte. »Fell, die Küchengehilfin hat im Auftrag der Prinzessin und des Königlichen Rates, heute mehrere Schüsseln Wasser, saubere Tücher, Kräutertee und eine Teller heiße Brühe zum König gebracht. Wenn du mich fragst, steht es um Telmas sehr schlecht.« Hagen erschrak. »Meinst du, daß er im Sterben liegt?« Diese Erkenntnis erschütterte ihn doch. Telmas war zweiundsechzig Jahre alt, aber immer noch ein rüstiger Mann. Vor einem Monat konnte er sich sogar noch in einem Freundschaftskampf mit seinem alten Kameraden Victor liefern und mit ihm zu den Grenzen ausreiten. Scelion zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht. Aber es könnte sein. Denke doch nur mal an die Heiler, die sich jeden Abend in die Sonnenhalle schleichen und sie vor Morgengrauen wieder verlassen. Sie kommen immer aus den königlichen Gemächern. Irgendetwas geht dort drinnen vor. Und es ist nichts Gutes.« Da stimmte Hagen ihm zu. Aber wenn König Telmas krank war, wieso gab der Königliche Rat dies nicht öffentlich bekannt? Die Prinzessin Sheyla konnte nicht regieren, weil nur der männliche Erbe der Familie den Titel König annehmen konnte und ihr Bruder Beril war noch zu klein, um König zu werden, falls Telmas etwas zustieß. »Was hast du sonst noch gehört?« »Auch in der Stadt geht etwas Seltsames vor sich. Obrig, der Mann meiner besten Köchin ist seit vorgestern verschwunden. Und er ist nicht der einzige. Seit einer Woche scheinen mehrere andere Männer, Frauen und Kinder auch einfach wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Es gibt keinerlei Anzeichen von Gewaltverbrechen, sie sind einfach weg. Von einem auf den anderen Moment«, erzählte Scelion. »Außerdem haben Jäger im Wald angeblich in der letzten Nacht geheimnisvolle Lichter bei den Ruinen im Wald gesehen. Wieviel man darauf aber wirklich geben kann, ist fraglich. Du weißt, wieviel Unsinn in unruhigen Zeiten gequatscht wird.« »Natürlich«, erwiderte Hagen unbewußt und tippte sich nachdenklich mit dem Zeigefinger gegen die Oberlippe. Der König war krank, Menschen verschwanden, und man sah Lichter in der verlassenen Ruinenstadt. Gut womöglich hatte sich in den Ruinen nur eine einsame Hexe herumgetrieben, um irgendwelche wilden Zauberkunststücke einzuüben, das war schon einmal vorgekommen. Aber für Hagen waren das einige Zufälle zuviel auf einmal. »Sonst noch was?« Scelion schüttelte den Kopf. »Nein, leider nicht. Und ich muß jetzt auch wieder an meine Arbeit zurück. Wir sehen uns.« Mit diesen knappen Worten verabschiedete sich Scelion und lief den Gang hinunter Richtung Küche, während Hagen seinen Weg zum Osttrum wieder aufnahm, wo die Waffenkammer und auch sein Quartier lagen. Er verstaute die Übungswaffen wieder und beschloß dann, sein Zimmer aufzusuchen. Er hatte über viele Dinge nachzudenken. Auf dem Weg zu seinem Gemach begegnete er einigen Dienern, die die Fackeln in den Gängen für die Nacht anzündeten. Als er angekommen war, erwartete ihn neben der geschlossenen Tür zur kleinen Kammer die hünenhafte Gestalt des Waffenmeisters. »Meister Victor«, begrüßte ihn Hagen so freundlich wie möglich, blieb stehen und neigte leicht den Kopf. Was machte der Waffenmeister hier? Warum hatte er ihn vorhin auf dem Hof nicht noch angesprochen? Victor sah ihn einige Sekunden lang an und sagte dann:»Ich möchte mit dir reden, Hagen. Wir haben wichtige Dinge zu besprechen. Unter vier Augen.« Hagen nickte vorerst nur und öffente die verriegelte Tür zu seinem Raum. »Tretet ein, Meister. Meine Kammer ist die Eure.« Der Raum maß nur wenige Schritte und war spartanisch möbliert. Das einzige, was luxuriös erschien, war der Kamin auf der linken Seite, ansonsten war das Zimmer recht karg und unscheinbar. Unter dem schmalen Glasfenster stand ein Bett mit einer grauen Felldecke. Gegenüber dem Kamin stand eine wuchtige Kleidertruhe mit einem schweren Vorhängeschloß, und darüber hing ein sauberer Wappenrock mit dem Zeichen Pandorias darauf an einem Haken in der Wand. Rechts standen noch ein kleiner Tisch und ein Stuhl mit wackligen Beinen. Auf dem Tisch lagen einige uralte Pergamente und ein dickes Buch mit vergilbten Seiten. Daneben stand eine runde Wasserschüssel aus Porzellan und ein silberner Krug. Über dem Tisch hing ein großer Spiegel an der Wand, dessen Rahmen mit seltsamen Mustern verziert war und dessen Glas schon leicht fleckig glänzte. Über allem lag eine dicke Staubschicht, und ein muffiger Geruch erfüllte das Zimmer. Es war bereits ziemlich dunkel und deshalb entzündete Hagen die beiden dicken Kerzen in den eisernen Haltern rechts und links des Kamins und machte sich daran mit dem wenigen Holz ein Feuer zu schüren. »Entschuldigt, daß es hier so kalt und ungemütlich ist, Herr«, sagte er bedauernd. »Aber in letzter Zeit halte ich mich nicht sehr oft hier auf. Die Ausbildung der Rekruten und die Grenzritte lassen es nicht zu, daß ich regelmäßig in der Burg bin.« Victor nickte und setzte sich unaufgefordert auf den Stuhl am Tisch. »Ich weiß. Deine Aufgaben sind vielfältig, aber du bist fähig genug, sie zu erfüllen, davon bin ich überzeugt. Was mir dagegen Sorgen bereitet, ist deine Abneigung gegen Tyro.« Also das war es! Dann hatte er seine Gefühle doch nicht so gut vor sich selbst und vor anderen verbergen können, wie er gehofft hatte. Nun, jetzt gab es kein zurück mehr und der kannte den alten Ritter gut genug, um zu wissen, daß er sich nicht mehr herausreden konnte. Victor hatte die unangenehme Angewohnheit, eine Lüge zu erahnen, und sei sie auch noch so perfekt. Manchmal war es direkt unheimlich, zu beobachten, wie schnell der Waffenmeister jemanden durchschaute. In diesen Momenten konnte Hagen fast glauben, was die närrischen alten Weiber auf dem Markplatz und die alten Männer in den Kneipen leise tuschelten. Das Victor angeblich ein Gemma-Ritter aus Tasnica war, der erst im Bürgerkrieg nach Pandoria gekommen war, um König Telmas in seinem Kampf gegen den rebellischen Lords von Lorim zu helfen. Er hatte schon viel von den seltsamen Kräften dieser Ritter gehört, die einen heiligen Bund mit dem Mana-Baum eingegangen waren, um ihn zu beschützen. Einmal war er dabeigewesen, als der König eine Gesandtschaft der Gemma-Ritter empfangen hatte, vor zwei Jahren. Auch wenn Hagen nicht an die uralte Magie des Mana-Baumes glaubte, hatte er dennoch die Aura der Macht und der Weisheit um die Ritter in den glänzenden Rüstungen gespürt. »Mit Verlaub, Meister, bevor Tyro zu uns nach Pandoria kam, rechnete ich fest damit...« Er konnte gar nicht ausreden, bevor Victor ihn unterbrach. »...das du mein Nachfolger als Waffenmeister des Königs werden würdest, nicht wahr?« Seine Stimme klang streng, und er schüttelte resigniert den Kopf. »Diesen Wunsch kann ich dir nicht erfüllen. Aber nicht nur Tyros wegen. Du bist einfach nicht geeignet für diese Position.« Ein harter Kloß saß plötzlich in Hagens Hals. Es dauerte einen Moment, bis er die Worte verkraftet hatte, die seine Träume und Hoffnungen zunichte machten. Als er dann etwas darauf erwiderte, stockte seine Stimme leicht. »Darf... darf ich fragen warum, Meister?« Victor nickte. »Natürlich. Du bist einer der besten Schwertkämpfer, die ich je gesehen habe, und du führst die Rekruten auf den Grenzritten so gut, daß nicht einmal ich selbst es besser könnte. Du kennst dich in militärischer Taktik und Politik aus. Aber du bist zu stolz, Hagen.« »Zu stolz? Das meint Ihr nicht ernst!« »Es tut mir leid. Ich weiß, dein Vater hatte gehofft, daß du eines Tages meine Stellung am Hofe hättest einnehmen können. Auch, um die Ehre deiner uralten Familie wiederherstellen zu können. Aber es wäre nicht gut, wenn jemand aus Lorim eine so hohe Position in der Regierung übernehmen würde. Der Bürgerkrieg liegt zwar neunzehn Jahre zurück, aber die Bewohner von Pandoria haben noch nicht vergessen, was die Truppen deines wahnsinnigen Großvaters für ein schreckliches Blutbad angerichtet haben. Es war schon riskant von mir, dich zu meinem Adjutanten zu ernennen.« »Also das ist der Grund«, meinte Hagen gezwungen. Er hatte es insgeheim befürchtet. »Aber, entschuldigt wenn ich so offen spreche, Meister, Ihr seid alt, und es mag bald die Zeit kommen, da ein neuer Waffenmeister des Königs gebraucht werden wird. Wer wird diesen Posten dann übernehmen? Tyro?« »Möglicherweise. Aber noch ist meine Zeit nicht gekommen, und es gibt andere... größere Aufgaben, die auf Tyro warten. Ich werde ihn dabei unterstützen, so gut ich kann. Doch ich bin vielleicht nicht stark genug, um ihm bei der Erfüllung dieser Aufgaben zu helfen. Vielleicht verleiht ihm die Stellung als Waffenmeister von Pandoria jedoch bei seinen kommenden Prüfungen genügend Gewicht, um auch mit den Großen und Mächtigen des Landes zurechtzukommen.« »Was meint Ihr damit, es warten große Aufgaben auf ihn?« Jetzt verstand Hagen gar nichts mehr. Victor seufzte und stand vom Stuhl auf. Er ging ans Fenster und blickte durch das dünne Glas hinaus in die Dunkelheit. Der Widerschein der Kerzen und das Flackern des Kaminfeuers schimmerten auf dem Glas. Eine Minute verging, in der sich keiner von ihnen bewegte oder etwas sagte. Als Hagen befürchtete, daß Victor wirklich nichts mehr sagen würde, erklang wieder die kräftige Baßstimme des Waffenmeisters in das Knacken der Feuerscheite. »Dunkle Zeiten brechen an, Hagen. Ein neues Zeitalter dämmert herauf. Ich fühle es in meinen alten Knochen. Und es sind nicht nur die schlimmen Botschaften, die wir aus dem Imperium in Glaive erhalten, wo sich Ocaphun zum Kaiser ausgerufen hat. Äonenalte Mächte sind dabei zu erwachen. Mächte des Lichts, aber auch Mächte der Finsternis.« Was redete Victor da? Was sollte dieses Geschwätz von Gut und Böse? Wollte er ihm etwa so versuchen zu erklären, warum er ihn nicht zu seinem Nachfolger ernennen würde? Bei diesen Gedanken erwachte Zorn in ihm. Sollte er etwa so billig abgespeist werden? Mit den lächerlichen, unbegründeten Zukunftsvisionen eines alten und müden Mannes, der sowieso bald sterben würde? »Wer ist dieser Bauernjunge eigentlich, daß Ihr ihm eine solch große Bedeutung beimeßt?« fragte er schließlich mit unterdrücktem Groll. Victor wandte sich zu ihm um. »Sprich nicht schlecht über ihn«, sagte er mahnend. »Vergiß für einen Augenblick deinen Neid, und benimm dich wie der Mann, der du sein willst. Zu gegebener Zeit wirst du erfahren, wer er ist. Falls die Prophezeiung eintritt und sich die Dinge so entwickeln, wie es die Priester des Mana und die Propheten der Schicksalsberge einst vor vielen hundert Jahren voraussagten.« Hagen holte tief Luft und stieß den Atem dann wieder aus, bevor er etwas ruhiger weitersprach. Es brachte ihm in diesem Moment nichts ein, wütend zu sein, auch wenn er am liebsten auf Victor losgegangen wäre. »Von welcher Prophezeiung sprecht Ihr, Herr?« »Von der Prophezeiung, daß das Heilige Mana-Schwert wieder in der Welt erscheinen wird, um uns von der zweiten Dunkelheit zu erlösen, die sich über alle Länder und Völker ausbreiten wird. Daran glauben die Gemma-Ritter von Tasnica und die Priester des Mana-Baumes. Und auch du lebst in einer Zeit, in der du gebraucht wirst, um den Weg für die Erlösung zu ebnen und die Dunkelheit zurückzudrängen.« »Was soll das heißen?« »Ich bin alt, Hagen, und vermutlich werde ich nicht mehr lange genug leben, um der zweiten Finsternis mit dem Schwert in der Hand zu begegnen. Andere müssen meine Pflichten weiterführen, wenn ich nicht mehr lebe. Tyro, dem eine große Aufgabe vom Schicksal übertragen werden könnte, wird alle Hilfe benötigen, die er bekommen kann. Auch wenn er nicht Waffenmeister wird, braucht er treue Gefährten, die ihm zur Seite stehen. Ich denke, du bist ein fähiger Kämpfer und ein kluger, junger Mann. Du kannst ihm helfen, wenn Dunkelheit ihn von allen Seiten umgibt.« »Ich soll ihm also dienen?« fragte Hagen grimmig. Er glaubte zwar nicht an Victors Gerede von uralten Prophezeiungen, aber soviel wenigstens hatte er aus seinen Worten herausgehört: Tyro würde neuer Waffenmeister werden, und er selbst sollte ihm auch noch gehorchen. Victors Blick wurde ein wenig verärgert, als er ihm antwortete:»Hagen, zu dienen kann ebenso ehrenvoll sein, wie zu befehlen. Wahrscheinlich ist es sogar noch viel ehrenvoller. Befehlen ist eine schwere Bürde, der auch ich mich nie gerne aussetzte. Es bedeutet große Verantwortung. Du bist alt genug um zu lernen, nach der Ehre eines Kriegers und wahren Mannes zu handeln und nicht mehr nach deinen eigenen Wünschen. Ich vertraue dir mehr an, als du glaubst. Aber wenn du es nicht willst, dann lasse ich dir die Wahl: Ich entlasse dich noch morgen ehrenhaft aus meinen Diensten, wenn du dies wünschst. Ich werde dir die Ehrungen zuteil werden lassen, die dir zustehen und dir genug Gold geben, um dich gebührend zu entlohnen. Dann hast du die Möglichkeit, zu deinem Vater nach Lorim zurückzukehren, oder in fremde Länder zu ziehen und dort dein Glück zu suchen, ganz wie es dir beliebt. Ich kann dir Empfehlungen für viele Herrscherhäuser ausstellen, mein Name ist in fast allen Ländern bekannt, und meinem Wort vertraut man dort. Oder die andere Möglichkeit: Du bist bereit, Tyro eines Tages genauso gut zu dienen wie mir, wenn sein Schicksal sich erfüllt. Dann kannst du hierbleiben. Ich verspreche dir nichts, aber du bist ein begabter Mann und deine Fähigkeiten könnten schon bald dringend gebraucht werden. Es ist aber alleine deine Entscheidung.« Hagen war wie vor den Kopf geschlagen. Das hatte er nicht erwartet! Ehrungen, Gold und sein Glück in einem anderen Land zu versuchen? Das klang für ihn verlockend. Er könnte all dies hinter sich lassen und ein neues Leben beginnen. An einem Ort, wo er größere Aufstiegschancen als hier hatte. Für eine Sekunde dachte er darüber ernsthaft nach. Doch er entschied sich dagegen. Er war es seinem Vater schuldig, der dieses Königreich hier genauso stark liebte, wie sein Großvater es einst gehaßt hatte. Außerdem waren Victors Worte für ihn nicht so endgültig wie es der alte Ritter am liebsten gehabt hätte. Andere Tage mochten kommen, wenn der Waffenmeister nicht mehr hier war. Und dann gab es noch einen allerletzten, sehr persönlichen Grund, warum er sich dafür entschied, hierzubleiben: Die Prinzessin Sheyla. »Ich bleibe«, antwortete er schließlich entschlossen. »Ich werde tun, was Ihr von mir verlangt, Meister Victor.« »Das ist gut«, sagte der Waffenmeister zufrieden und lächelte kurz. »Du bist jung und ungestüm, aber ich denke, du wirst deinen Weg finden. Und jetzt denke in Ruhe nocheinmal über meine Worte nach. Ich muß jetzt gehen. Wir sehen uns Morgen vor dem Stadttor.« Hagen wünschte ihm noch eine gute Nacht und dann verließ Victor den Raum und schloß die Tür hinter sich. Ermattet setzte sich Hagen aufs Bett. Seine Gedanken drehten sich im Kreis, jetzt noch wirrer und ungeordneter als vor dem Gespräch mit Victor. Er hätte den Waffenmeister außerdem über das Befinden des Königs befragen können, doch daran hatte er nicht gedacht, weil er von Victors Aussagen so überrascht worden war. Kurz bevor er müde und erschöpft einschlief, geisterten die Worte Victors noch einmal durch seinen Kopf... Äonenalte Mächte sind dabei zu erwachen. Mächte des Lichts, aber auch Mächte der Finsternis... Und in den kurzen Sekunden, bevor er endgültig in den Schlaf hinüberdriftete, dachte er an die Krankheit von König Telmas und an die verschwundenen Menschen aus der Stadt. An den Herrscher aus Glaive, der sich zum Kaiser ernannt hatte. Vielleicht lag in den düsteren, phantastischen Worten Victors doch eine Wahrheit versteckt, die er nur nicht erkennen konnte. Und zuletzt dachte er an den wichtigsten Grund, warum er wirklich in Pandoria geblieben war: Sheyla, die Tochter des Königs, die er liebte. Mit der Hoffnung, eines Tages zum Waffenmeister Pandorias zu werden, war auch gleichzeitig die ferne Möglichkeit gewichen, sich ihr gebührend zu nähern und um ihre Hand anzuhalten, so wie er es sich in seinen Träumen gewünscht hatte, seit er in die Burg gekommen war. Der Schlaf brachte ihm heute keine solchen Träume. Nicht von Liebe. Nicht von Hoffnung. Sondern von Wut und Zorn...
  5. Nach langer Abwesenheit nach meinen Stories "Eltharions Feldzug" und "Blue Screen" hier im Storyboard, melde ich mich mit einer neuen Geschichte zurück. Vielleicht kennen einige von euch die Spiele-Saga "Secret of Mana" vom Super Nintendo und anderen Konsolen. Da ich durch diese Spiele vor vielen Jahren auf die Idee gekommen bin, eigene Fantasy-Geschichten zu schreiben, hat mir es immer in den Fingern gekribbelt, eine eigene Geschichte darüber zu schreiben. Da ich im Warhammer-Storyboard bisher immer regelmäßige Leser und häufige Kritiken bekommen habe, habe ich beschlossen, meine Secret-of-Mana Story hier zu posten. Ich denke, daß auch Leser, die das Spiel nicht kennen, einen Blick auf die Story werfen können. Feedback ist immer willkommen. Hier folgt nun der Prolog und das überarbeitete erste Kapitel der Geschichte, die sich schon einige Jahre auf meinem Pc befindet und an der ich wieder begonnen habe zu schreiben. Viel Spaß damit... Prolog Ein kalter Wind fegte über die Schicksalsberge. Er brachte die eisige Kälte des nördlichen Meeres mit sich und erinnerte trotz des nahenden Frühlings an den Winter, der sich bis jetzt noch standhaft weigerte, der wärmeren Jahreszeit zu weichen. Weit im Südosten, wo die massiven Gebirgszüge den flachen Grasländern wichen, braute sich ein Unwetter über dem Kontinent zusammen. Die grauen Wolkenbänke dort verdunkelten sich zusehends, und es konnte nur noch wenige Stunden dauern, bevor im Süden ein verheerender Sturm über das Land hereinbrechen würde. Über den Schicksalsbergen waren kaum Wolken zu sehen, doch auch hier drang das Licht der Sonne nicht durch das trübe Grau, das sich wie ein Schleier über den Himmel gelegt hatte. Der Prophet Lunar stand auf der höchsten der drei Turmplattformen, die aus dem Dach des Tempels ragten. Heftig riß der Wind an seinem langen, weißen Bart. Er hatte sich fest in einen Mantel aus schwarzer Wolle gehüllt, und der nachtblaue Umhang, den er darüber trug, wirbelte hinter seinem Rücken im Wind. Zum wiederholten Male verfluchte er sich dafür, bei diesem kalten Wetter hier heraufgekommen zu sein. Seine alten Knochen schmerzten nach dem Aufstieg die langen Treppen im Inneren des Turmes hinauf. Der frostige Sturmwind, der die ungeschützte Haut seines runzligen Gesichtes mit eisigem Atem betäubte, trug sein Übriges dazu bei, ihn daran zu erinnern, daß er kein junger Mann mehr war. Unter normalen Umständen würde er jetzt in seinem warmen Studierzimmer sitzen, und ein Novize hätte ihn bei einem gemütlichen Frühstück über die ersten Geschehnisse des Tages informiert. Doch irgendetwas hatte ihn heute morgen noch vor Sonnenaufgang aus dem Bett getrieben. Ein unangenehmes Gefühl, das er zwar nicht näher zu beschreiben vermochte, aber das er dennoch zu gut kannte, um es einfach ignorieren zu können. Diese ungute Ahnung war Teil seiner prophetischen Gabe, und er wäre töricht gewesen, wenn er nicht darauf geachtet hätte. Deshalb war er hier herauf gekommen, um der Stimme des fauchendes Windes zu lauschen. Von hier oben aus hatte er trotz des schlechten Tageslichtes einen atemberaubenden Blick über den Tempel und das kleine Dorf darunter, die sich beide wie große, steinerne Lebewesen an die Flanke des Berges in seinem Rücken klammerten. Vielerlei Sorgen plagten ihn. Die silbernen Kristallkugeln im Hauptraum des Tempels zeigten seit Wochen nur noch verwaschene, schwer zu deutende Bilder. Das innere Leuchten der Kugeln hatte abgenommen, und keiner der Priester wußte eine Begründung dafür. Tagelang hatten sie gefastet und zu der Göttin des Mana-Baumes gebetet, um eine Erklärung zu erhalten, aber es hatte nichts genutzt. Mit Lunars Träumen war es genauso. Sie waren der essentielle Bestandteil seiner besonderen Fähigkeiten als Prophet des Schicksals, und üblicherweise vergingen nur wenige Tage, ohne nicht mindestens einen Traum. Doch jetzt hatte er seit fast einem Monat nicht mehr geträumt. Es war, als wären die Worte des Mana auf der Welt verstummt. Nein, verbesserte sich Lunar sofort in Gedanken. Verstummt war das falsche Wort, denn er konnte noch immer sie Essenz der Magie des Mana spüren, deren Energiebahnen reichhaltig über die höchsten Gipfel der Schicksalsberge zogen. Es war eher so, als hätte die mystische Kraft, die die ganze Welt mit ihrer unvorstellbaren Energie erfüllte, den Atem angehalten. Das Mana sammelte neue Kraft für bevorstehende Ereignisse, welche die Welt verändern würden. Aber wofür? Ohne den Blick in die Kristalle des Tempels und ohne seine Träume war auch Lunar auf vage Vermutungen angewiesen, was das betraf. War der Mana-Baum in Gefahr? Alleine der Gedanke daran, ließ Lunar noch mehr im eisigen Wind zittern. Er hatte in den letzten Wochen Gerüchte aus den Mündern der Novizen gehört, die von langen Reisen durch entfernte Länder zurückgekehrt waren. Das Reich von Glaive gewann erneut an Macht und hatte sich bereits über den gesamten nordöstlichen Kontinent ausgebreitet. Der Herrscher der Nordstadt hatte sich zum König ernannt und führte nun Krieg gegen die reichen Stadtstaaten weiter südlich: Jadd, Byzel und die wohlhabende Südstadt. Gestern hatte Lunar sogar gehört, daß eine Gesandtschaft aus Gemma-Rittern zur Südstadt entsandt worden war, um zwischen den Parteien zu vermitteln. Im Osten des Landes östlich der Schicksalsberge schienen die Tiermenschen unruhig zu werden und ihre wilden Horden verließen den Großen Krater, um die Siedlungen im Wald des Mondes mit Blut und Tod zu überziehen. Es gab Gerüchte, wonach im Königreich Pandoria ein Krieg drohte, und in den Grasländern überfielen immer wieder ungewöhnlich starke Banden aus Minos-Kreaturen die Karawanen, die zu den Küsten zogen. Das waren für Lunar genug Beweise dafür, daß sich das Land Mana im Umbruch befand. Gewaltige Ereignisse würden bald ihren Anfang nehmen. Und er spürte, daß die ganzen Vorfälle, über die er Berichte erhalten hatte, nur kleine Steine waren, die bald eine Lawine ins Rollen bringen würden. Vielleicht sollte er Shade im Nachtpalast aufsuchen. Mit dem Geist war zwar schwierig umzugehen, aber Lunar war sich sicher, daß auch der Herr der Dunkelheit die nahende Umwälzung fühlte. Doch sogleich verwarf er das Vorhaben wieder. Die Reise zum Palast war lang und beschwerlich, und Shade würde ihm wahrscheinlich keinen Rat erteilen können. Selbst wenn er den Geist aus seinem Schlaf wecken konnte, war es ungewiß, ob Lunar von ihm eine genauere Beschreibung der Bedrohung erhalten konnte, die auf die Welt und den Mana-Baum zukam. Er war der Prophet des Schicksals. Es war seine Aufgabe, der Welt eine Warnung zukommen zu lassen. Aber wie sollte er das tun, wenn er doch keine Ahnung hatte, was kommen würde? Eine bekannte Stimme schreckte ihn aus seinen tiefen, sorgenvollen Gedankengängen auf. »Meister! Ihr werdet Euch hier oben den Tod holen!« Langsam wandte sich Lunar um und blickte in das Gesicht des jungen Novizen Erias, der die Treppe zum Turm hinaufgestiegen war, ohne das er ihn bemerkt hatte. Erias trug ebenfalls einen wollenen Mantel zum Schutz gegen die Kälte, und um seinen Hals hing eine silberne Kette mit einer glänzenden Mondkugel daran. Seine schulterlangen, schwarzen Haare flatterten um seinen Kopf herum. Besorgte, helle Augen musterten die hagere Gestalt des Propheten. Doch Lunar lächelte und hob beschwichtigend die Hand. Dann sagte er freundlich:»Beruhige dich, Erias. So schnell kommt der Tod noch nicht zu mir. Du hättest nicht auf den Turm kommen müssen. Es reicht, wenn ich dem Wind lausche und die Kälte mir durch Mark und Bein dringt. Du mußt nicht bleiben. Geh nach unten und frühstücke in aller Ruhe. Du hast meine Erlaubnis dazu.« Erias schüttelte entschieden den Kopf. »Wenn Ihr hierbleibt, werde auch ich dem Wind lauschen.« Im Anschluß, um seine ersten Worte ein wenig zu mildern und Demut zu zeigen, verneigte er sich knapp. »Natürlich nur, wenn Ihr erlaubt, Meister.« Lunar zuckte mit den Schultern. »Tu, was du willst. Mehr als eine Erkältung wirst du hier oben nicht gewinnen. Und es kann sein, daß ich noch sehr lange hier oben stehen werde.« Interessiert hob Erias den Blick und sah dem Meister in die grauen, von alter Weisheit erleuchteten Augen. »Sucht ihr im Wind eine Antwort auf die defekten Kristallkugeln im Tempel? Sucht ihr die Antwort in den magischen Strömen der Mana-Energie, die mit dem Sturm zieht?« »Nein«, antwortete Lunar, wobei er seine Stimme hob, um sich über den Geräuschen des Windes verständlich zu machen. »Ich suche keine Antworten. Ich warte vielmehr darauf, daß sie zu mir kommen. Merke dir eines, Erias: Ein Prophet erhält niemals Antworten, wenn er so begierig danach sucht, wie ihr Novizen die Schriftrollen der Bibliothek nach Wissenswertem durchforscht. Wissendurst ist der schlimmste Feind eines Propheten. Man muß auf seine innere Stimme vertrauen und seinen eigenen Geist für die Prophezeiungen öffnen. Nur dann kann man vielleicht ein kurzlebiges, bruchstückhaftes Bild der Zukunft erfassen und deuten.« »Aber Wissen ist doch ein fester Bestandteil des Lebens, Meister«, meinte Erias nach einiger Überlegung. »Ohne unser Wissen über vergangene Zeiten und zurückliegende Geschehnisse wären wir doch nichts. Die Gesellschaft wäre nicht überlebensfähig. Ist es nicht das Wissen, das uns Menschen zu dem macht, was wir sind?« »Ich dachte bei meinen Worten auch nicht direkt an Gelehrsamkeit, sondern eher an das Streben nach der Meisterschaft darin. Es kann einem dabei hinderlich sein, die Macht des Mana zu begreifen. Mana ist in allen Dingen, aber es steht auch hinter allen Elementen des Lebens auf dieser Welt. Und nur wenn man Geist und Herz vollständig öffnet, erhält man vielleicht die Chance dazu, einen Hauch dieser Macht zu verstehen. Die Zauberer dieser Welt sehen nur die weltliche Macht des Mana, die Manifestation in den acht Elementargeistern der Magie, sie blicken nicht hinter das Offensichtliche. Wir dagegen, müssen als Priester und Propheten hinter den Schleier sehen können.« »Die Priester sagen, die Göttin des Mana wird unruhig in ihrem Schlaf. Etwas beginnt, in die natürliche Weltordnung einzugreifen. Die Gerüchte aus den anderen Teilen des Landes lassen nichts Gutes ahnen. Was kommt auf uns zu, Meister?« »Ich weiß es nicht, Erias«, gab Lunar nach einem Moment bedrückt zu. »Selbst ich kann nicht oft hinter den Schleier des Schicksals blicken. Und in letzter Zeit verwehrt mir auch etwas den Zugang. Ich scheine unter dem gleichen Fluch zu leiden, wie die Kristallkugeln im Tempel.« Daraufhin schwieg Erias, und Lunar wandte sich wieder um, während sich der Novize mit den Worten des alten Propheten auseinandersetzte. Lunar ließ seinen Blick über die grauen Erhabenheiten der Schicksalsberge schweifen, die sich um ihn herum nach allen Himmelsrichtungen ausbreiteten. An den meisten anderen Tagen trug der Anblick der alten Berge dazu bei, seine Stimmung zu heben, aber heute erschienen sogar diese uralten Titanen des Erdgesteins müde, und ihre weißen Kronen aus Eis und Schnee wirkten bleich und schmutzig. Stumm harrte Lunar auf der sturmumstosten Plattform aus, auch Stunden später als Erias schon längst wieder gegangen war. Das Tageslicht wurde nicht merklich heller, auch als die Sonne höher stieg. Immer noch lag der triste, bleierne Dunst in der Luft, welcher der sonst so klaren Luft der hohen Bergregionen Hohn zu sprechen schien. Im Dorf Destinea unterhalb des Tempels waren nur wenige Leute auf den schmalen Straßen zu sehen. Der trostlose, kalte Tag ließ die Menschen in ihren Häusern bleiben. Jedenfalls vermutete Lunar, daß aus diesem Grund eine so geringe Anzahl an Bewohnern Destineas auf den Straßen umhergingen. Aber vielleicht spürten auch die einfachen Menschen die unergründliche und unsichtbare Hand des Schicksals, die sich nach ihrer Welt auszustrecken begann. Und irgendwo, tausende von Meilen weiter im Osten, nahm eine Geschichte ihren Anfang, die das Gesicht des Landes Mana auf ewig verändern sollte. Eine tragische Erzählung von Trauer, Leid und Schmerz. Aber auch eine von unvergleichlichem Mut und einzigartiger Hoffnung. Sie begann in einem kleinen, unbedeutenden Ort mit den Namen Quelldorf... Kapitel 1 - Der Verbotene Wald Das Licht der Morgensonne spiegelte sich leuchtend auf der Wand des gewaltigen Wasserfalles, der über die obere Kante der hohen Felswand stürzte. Hunderte von Metern darunter sammelte sich das herabströmende Wasser in einem großen, schäumenden Becken, wo es sich noch einmal in Form von kleineren Kaskaden über dessen südlichen Rand ergoß und zu einem Fluß wurde. Dieser erstreckte sich klar und funkelnd durch das bewaldete Bergland, wo er schließlich nach einigen Biegungen einige Meilen weiter südlich in einem Meer aus dichtstehenden, grünen Bäumen verschwand, die sich wie erstarrte Wellen aus kleinen Tälern und auf felsigen Hügeln erhoben. Tyro spürte, wie der Boden unter ihm durch die Wucht des Wasserfalls leicht und konstant zitterte und blickte skeptisch auf den alten Baumstamm, der vor ihm eine Art Brücke vor dem Wasserfall zu dem gegenüberliegenden Steilhang bildete. »Das ist doch nicht dein Ernst, Ron?« meinte er und sah zu seinem Freund hinüber, der grinsend einige Schritte rechts von ihm stand. Er mußte fast schreien, um sich über das Dröhnen des Wasserfalles verständlich zu machen. Ron lehnte lässig an einem uralten Baum, dessen Wurzeln es irgendwie geschafft hatten in der dünnen Erdschicht über dem Felsgestein Halt zu finden und sich dicht an den Abgrund zu klammern, so daß ein großer Teil des schrägen Stammes und der grünbelaubten Äste über der Schlucht hingen. »So schlimm ist es wirklich nicht, glaub mir«, rief er mit einem verschmitzten Grinsen. »Ich war schon drüben.« Tyro blickte noch einmal kurz den Baumstamm an, der quer über den Felsen lag und warf seinem Freund dann einen zweifelnden Blick zu. »Du warst schon auf der anderen Seite?« Ron verdrehte die Augen. »Ja, ja! Gestern, als ich mit Parill hier draußen war.« Er versuchte zwar, es herunterzuspielen, aber Tyro bemerkte, daß Ron ziemlich stolz darauf war, schon gestern hier draußen gewesen zu sein und zuerst diesen Platz entdeckt zu haben. »Wir wären auch noch weiter gegangen, aber es war schon spät, kurz vor Sonnenuntergang. Ich hatte keine Lust, dem Dorfältesten und meiner Mutter zu erklären, warum wir bis spät in die Nacht noch im Wald herumspringen. Da wäre wohl im Dorf wieder die Hölle losgewesen. Besonders nach unseren letzten Ausflügen, die ein bißchen chaotisch geendet haben.« Tyro verzog wehleidig das Gesicht. Ihr letztes Abenteuer im Wald hatte ihm fünf Wochen Hausarrest von seiner Ziehmutter und eine strenge Rüge des Dorfältesten beschert. Wie hatte er sich auch von Ron dazu überreden lassen können, die Kuh des alten Bauern Toham mit schwarzer Farbe zu bestreichen und sie als Ungeheuer zu verkleiden? Nun ja, er mußte sich eingestehen, daß die Kuh mit all den spitzen Ästen und den Dornenkränzen wirklich wie ein Dämon aus der Unterwelt ausgesehen haben mußte. Aber damit den Dorffrauen beim Beerensammeln einen solchen Schrecken einzujagen, daß zwei von ihnen sofort ohnmächtig geworden waren, das war vielleicht doch etwas zuviel des Guten gewesen. Und nun war er schon wieder dabei, etwas Verbotenes zu tun. Das Quelldorf lag mitten in dem ausgedehnten Hochwald, der sich östlich der Alten Berge bis zur Küste erstreckte. Weit und breit gab es kaum eine andere Ansiedlung, bis auf einige wenige Einsiedler aus dem südlichen Königreich Pandoria, die sich vor vielen Jahren dazu entschlossen hatten, Ruhe und Frieden in diesem Teil des Landes zu suchen. Diese Eremiten waren allesamt seltsame Burschen. Sie wohnten in winzigen Holzhütten mitten im Wald und hielten sich meist von den Einwohnern des Quelldorfs fern. Tyro wußte, daß eine schmale Bergstraße nach Süden führte, wo das Flußland begann und der Wald lichter wurde, doch er war noch niemals in seinen fünfzehn Lebensjahren dort gewesen. Stets hatte er nur die Geschichten von den tapferen Rittern gehört, die irgendwo in den ruhmreichen Königreichen der Welt gegen das Böse kämpften. Das Leben im Dorf spielte sich jeden Tag gleich ab. Man mußte sich um die wenigen Tiere kümmern, Beeren im Wald sammeln, die kleinen Gärten und Felder um die Häuser herum bestellen und den weisen Ratschlägen des Dorfältesten dahingehend lauschen. Für eine Gruppe von abenteuerlustigen Jungen im Alter zwischen zwölf und fünfzehn Jahren gab es demnach kaum eine Abwechslung in diesem alltäglichen Trott, der die anderen Dorfbewohner glücklich zu machen schien. Man erlebte im Quelldorf keine Abenteuer, wenn man sich nicht selbst welche suchte. Da konnte man auch ruhig einmal ein paar Wochen Hausarrest in Kauf nehmen. Einige Meilen westlich des Dorfes wurde der Wald beinahe undurchdringlich, und man kam schließlich zu den großen Wasserfällen, die von der Hochebene herunterstürzten, die ebenfalls mit dichtem, unwegsamen Wald bewachsen war. Zahlreiche kleinere Bäche und Flüsse suchten sich dort ihren Weg nach Süden. Und noch weiter westlich der Wasserfälle lag der Verbotene Wald. Der Dorfälteste hatte erlaubt, daß sie überall um das Dorf herum spielen durften, doch den Teil des Waldes, der sich westlich der Wasserfälle befand, durften sie nicht betreten. Und obgleich viele andere Dinge von den Dorfbewohnern relativ locker gesehen wurde und sie meistens ein Auge zudrückten, wenn die Jungen von ihren Abenteuern zurückkehrten, wurde dieses Verbot außerordentlich ernstgenommen. Der Wald jenseits der Wasserfälle war tabu. Die Eltern erzählten ihren Kindern, daß dort schreckliche Geister aus alten Zeiten hausten, die jeden Lebenden verfolgen würden, bis er schließlich vor Schreck starb. Diese Geschichten und das relativ unwegsame Gelände, welches zwischen dem Forst des Quelldorfes und dem Verbotenen Wald lag, hatten bis jetzt dafür gesorgt, daß die Kinder sich an die Gebote gehalten hatten. Doch die Neugier und die Abenteuerlust von jungen Männern siegt bekanntlich über jedes Verbot, und so hatte es nicht lange gedauert, bis der mutige Ron einen Weg über eine Schlucht aufgespürt hatte. Er war der älteste der Jungen und der kräftigste von allen. Sein Vater war der Schmied des Dorfes und Ron würde wohl einst sein Nachfolger werden. Schon jetzt hatte er mehr Muskeln als Tyro, und für seine fünfzehn Jahre war er bereits so kräftig gebaut, wie manch ein Erwachsener. Den Schmiedehammer konnte er schon so sicher und standhaft schwingen wie sein Vater. »Wie weit bist du gegangen?« fragte Tyro schließlich. Ron zuckte locker die Schultern. »Ich weiß nicht genau. Ich bin über den Stamm rüber, dann den Abhang dort drüben zwischen den Bäumen runter und ein Stück weit an einem kleinen Bach entlang Richtung Westen, wo das Land flacher wird. Ich war zwar nur eine halbe Stunde drüben, aber ich habe weder die Geister noch irgendwelche Ungeheuer gesehen, mit denen uns unsere Eltern immer erschrecken wollen.« »Gibt es keinen anderen Weg?« »Keinen von dem ich wüßte. Es war reines Glück, daß ich diesen Baumstamm hier gefunden habe. Weiter unten tost der Fluß viele Meilen lang in einem engen Bett zwischen schroffen Felsen hindurch, da gibt es keinerlei Möglichkeit auf die andere Seite zu gelangen.« Tyro betrachtete wieder den, vom nahen Wasserfall feuchten und rutschigen, Stamm. Er hatte ein mulmiges Gefühl dabei, auf die andere Seite zu klettern. Nicht, weil er nicht den Mut dazu hatte. Die alte Krone des umgestürzten Baumes hatte sich relativ fest zwischen aufragenden Wurzelstücken der gegenüberliegenden Bäume verkeilt, so daß der Stamm sicheren Halt hatte. Außerdem war er ein geübterer Kletterer als Ron, und wenn der Schmiedejunge es geschafft hatte, die schmale Schlucht auf dem Stamm zu überqueren, dann konnte er es erstrecht. Nein, daran lag es nicht. Es war etwas anderes. Eine Art unbewußter Instinkt, der ihm dazu riet, der Schlucht den Rücken zu kehren und so schnell es ging, ins Dorf zurückzulaufen. Gleichzeitig war in ihm natürlich auch diese unersättliche Neugier, die ihn dazu trieb, unbedingt die Geheimnisse zu entdecken, welche der Verbotene Wald vor ihnen verbarg. Ron wirkte belustigt, als er sein Zögern bemerkte. Er löste sich aus seiner lässigen Haltung an dem krummen Baum und kam zu ihm. Grinsend klopfte er ihm fest auf die Schulter. »Was ist, hast du Angst?« Tyro schüttelte unwillig den Kopf. »Nein, die habe ich nicht.« »Na, dann los«, meinte Ron. »Ich werde vorgehen. Ich weiß, wo man die Füße hinsetzen muß. Es gibt einige morsche Stellen im Holz, die ziemlich glitschig sind.« Mit diesen Worten begann der Junge sicher und geschickt über den Baumstamm zu laufen, der fast waagrecht über der Schlucht lag. Beide Arme hatte er nach den Seiten ausgestreckt, um das Gleichgewicht zu halten. Langsam folgte Tyro ihm. Das Donnern des Wasserfalles erfüllte seine Ohren, der Sprühregen aus klarem Wasser benetzte seine Haut wie mit winzigen Nadelstichen, wo er auf sein Gesicht traf. Innerhalb von Sekunden war sein Haar durchnäßt, als er die Mitte des Stammes erreicht hatte. Die silberne Wand stürzte nur wenige Schritte von ihm senkrecht die Felswand herab. Sonnenlicht glitzerte hell darauf, wie auf einer Mauer aus reinstem Kristall. Der Weg war leichter, als er geglaubt hatte. Zwar war das alte Holz außen feucht und rutschig, so daß man aufpassen mußte, wo man Halt suchte, aber der Baumstamm selbst war stabil. Es dauerte nur knapp zwei Minuten, bis Tyro bei Ron auf der anderen Seite war und sie sich kurz etwas abseits auf einen grauen Stein am Abgrund setzten, damit die Sonnenstrahlen ihre nassen Kleider trocknen konnten. »Ich bin gespannt, was wir im Wald alles finden«, meinte Ron und setzte sich ein wenig weiter nach oben auf einen Flecken Moos an einer Seite des Steines und ließ seine Füße baumeln. Er blickte in das Grün des nahen Waldes, seine Augen leuchteten gespannt. »Vermutlich nichts anderes als im Wald auf unserer Seite«, entgegnete Tyro. Er hatte die ganzen Geschichten über Geister nicht mehr geglaubt, seit er dem Kleinkindalter entwachsen war. Es war sehr wahrscheinlich, daß der Verbotene Wald sich nicht sonderlich von dem Wald unterschied, der das Quelldorf umgab. Und doch war auch er insgeheim erwartungsvoll. Vielleicht gab es doch etwas. Eine Art Geheimnis, welches die Erwachsenen vor ihnen verbergen wollten. Vielleicht ein Schatz? Nun, sie würden es nicht herausfinden, wenn sie weiter hier auf dem Stein am Rande der Schlucht und dem Wasserfall sitzen blieben. Er sprang von dem Fels herunter, kaum das seine Kleider halbwegs getrocknet waren Ron folgte ihm, und zusammen verschwanden sie im dichten Gehölz. Der Wald war anders. Das erste, was Tyro auffiel, war die ungewöhnliche Stille. Man hörte nur wenige Vögel in den verfilzten Baumwipfeln zwitschern, und auch die Geräusche der kleinen Tiere, die man um das Quelldorf herum immer rascheln und knistern hören konnte, waren hier nicht zu bemerken. Die Bäume standen dicht beieinander, und es gab eine Menge Unterholz und Gestrüpp. Nirgendwo fanden sich die üblichen Wildwechsel, sie mußten sich mit den Händen einen Weg bahnen. Innerhalb von Sekunden war Tyros Haut von Dornen und spitzen Zweigen zerkratzt. Man konnte nur wenige Meter weit sehen, bevor die Umgebung sich in ein Reich aus grünem Dämmerlicht verwandelte. »Das ist ja der reinste Dschungel hier«, bemerkte er schimpfend, nachdem sie sich etwa hundert Meter weit in den Wald hineingewagt hatten. Er hatte jedoch den Eindruck, daß die Schlucht und der Wasserfall bereits Meilen hinter ihnen lagen, denn das donnernde Geräusch des Wassers war plötzlich nur noch schwach zu hören, als würde es vom Wald verschluckt. »Weiter südlich wird es besser«, sagte Ron, der sich wenige Schritte neben ihm gerade durch ein dorniges Buschwerk schlug, aufmunternd. Tyro bezweifelte dies, denn überall umgab sie der wilde Wald mit dichten Mauern aus Blätterwerk und Zweigen. Doch sein Freund hatte recht. Es dauerte noch etwa zehn Minuten, in denen sie einen schrägen Hang hinunterklettern mußten, und dann hatten sie einen helleren und freundlicheren Bereich des Waldes erreicht. Die Bäume standen hier nicht mehr so dicht und das undurchdringliche Dickicht wurde von tiefgrünem, duftenden Gras abgelöst, daß um die dicken Stämme herum den Waldboden bedeckte. Es reichte den beiden Jungen bis zu den Knien. Als hätten sie eine unsichtbare Grenze überquert, kehrte auch der Sonnenschein zurück. Die Lichtstrahlen glitten wie glänzende Speere aus Licht zwischen den in einem sanften, kaum spürbaren Wind raschelnden Blättern hindurch und berührten den Waldboden. Ein Geruch nach altem Holz und feuchtem Moos erfüllte die Luft. In der Nähe rauschte ein kleiner Bach entlang, der zwischen einigen Felsen am Abhang hinter ihnen entsprang und sich seinen Weg durch das hohe Gras suchte. Die Gegend strahlte eine Friedfertigkeit aus, die Tyro überraschte. Ein wohltuendes Gefühl der Geborgenheit durchfloß ihn, und er hätte sich am liebsten einfach ins hohe Gras geworfen und mit hinter dem Kopf verschränkten Armen dem Spiel der Staubkörnchen zugeschaut. Sie tanzten in den schrägen Lichtbalken, welche durch das dichte Blätterdach fielen. »Los, weiter. Hier war ich schon, doch dann mußte ich zurück, weil es schon so spät war«, drängte ihn Ron und stieß ihn leicht mit dem Ellbogen in die Seite. Im gleichen Moment rannte er auch schon lachend los. Für einige Sekunden wartete Tyro noch, genoß das Gefühl des Friedens, dann drängte die Neugier ihn ebenfalls weiterzugehen, und er folgte hastig seinem Freund. Sein Lauf glich fast einer Art absonderlichem Tanz und seine Füße schienen von der weichen Erde zurückzufedern. Er fiel in das Lachen von Ron ein. Gemeinsam hüpften und sprangen sie durch das Gras, um die massigen Stämme der uralten Bäume herum und über alte Baumstrünke und morsche Äste. »Sieh mal, da vorne!« rief Ron plötzlich, nachdem sie eine Weile so herumgetollt waren. Er blieb stehen und deutete mit einem Finger nach Süden, wo etwas zwischen den Bäumen stand. Tyro hielt ebenfalls in seinem Lauf inne und kniff die Augen zusammen, um genauer feststellen zu können, was sich dort vorne befand. Es war groß und bleich, fast wie ein kreidefarbener Findling oder etwas ähnliches. Sie gingen langsam darauf zu, und als sie näherkamen, konnte Tyro sehen, daß es kein Felsen war, sondern ein Pfeiler, der fast anderthalbmal so hoch war wie er selbst. Dieser stand auf einer Art Schneise, wo das Gras nicht ganz so hoch war wie in den übrigen Teilen des Waldes. Der winzige Bach strömte in einem schmalen Bett über die Lichtung und verschwand dreißig Schritt weiter wieder im dichteren Wald. Die Wiese, auf der die beiden Jungen standen, war mit blühenden Butterblumen bedeckt, die zwischen den grünen Halmen hervorragten und einen angenehmen Duft verströmten. »Was ist das?« fragte Ron erstaunt und legte die Hand an den emporragenden, aufrecht stehenden Stein, der sich nahe an dem vorbeifließenden Bach erhob. Tyro nahm ebenfalls den Pfeiler aus runden Steinen genauer in Augenschein. Es mußte vormals eine runde Säule gewesen sein, die jetzt stark verwittert war. Doch sie bestand nicht aus gewöhnlichen Steinen, sondern aus geädertem Marmor, so wie ihn Tyro von den kleinen Figuren her kannte, die der Dorfälteste über seinem Kamin stehen hatte. In regelmäßigen Abständen waren geheimnisvolle Schriftzeichen in die untere Hälfte der Säule gemeißelt. Manche waren so vom Zahn der Zeit abgenagt oder von Moos überwachsen, daß man sie kaum noch erkennen konnte. »Kannst du diese Schriftzeichen lesen?« fragte Ron eifrig und beugte sich zu Tyro hinunter, der sich hingekniet hatte, um mit den Fingern vorsichtig ein wenig Moos von einigen Zeichen zu entfernen. Tyro lernte auf den Wunsch seiner Ziehmutter Aerian hin beim Dorfältesten seit drei Jahren das Schreiben und Rechnen. Sie hatte darauf bestanden, entgegen seiner eigenen Einwände. Die meisten anderen Kinder im Dorf erlernten das Berufshandwerk ihres Vaters oder ihrer Mutter. Niemand sonst ging beim Dorfältesten in die Lehre. Doch sie hatte darauf bestanden, daß er die Kunst der Sprache und der Zahlen erlernte, und so hatte sich Tyro schließlich gefügt. Manchmal, wenn er an dem großen, alten Tisch des Ältesten in dessen Stube saß und den anderen Kindern beim Spielen oder Arbeiten draußen zugesehen hatte, hatte er sich über seine Ziehmutter und den alten Mann geärgert. Anfangs war es ihm das Lernen nutzlos erschienen, doch er war jedesmal gewillter zu den Lernstunden erschienen, weil ihm der Dorfälteste danach abends vor dem Kaminfeuer viele altertümliche Geschichten und Legenden erzählt hatte. Von Aron, dem Gemma-Ritter aus antiker Zeit, von Helden und Drachen vergangener Tage. Und irgendwann hatte auch das Lernen selbst ihm Spaß gemacht, und er war neugierig darauf, mehr Kenntnisse zu erlangen, die sich von denjenigen unterschieden, die das Alltagsleben im Dorf ausmachten. Die Schriftzeichen, die er nun hier auf der Marmorsäule sah, hatte er bisher nur ein einziges Mal gesehen. In einem uralten, zerfledderten Buch das auf dem Regal im Schlafraum des Ältesten stand. Einmal hatte er darum gebeten, diese Sprache lernen zu dürfen, denn die geheimnisvollen, geschwungenen Buchstaben und kryptischen Zeichnungen hatten ihn fasziniert. Doch der Dorfälteste hatte nur gelächelt, das Buch wieder zugeklappt und ihm gesagt, daß er es ihm eines Tages beibringen würde, wenn er ein wenig älter war. »Na, was ist?« fragte Ron neugierig. »Kannst du sie jetzt lesen, oder nicht? Sag schon?« Tyro schüttelte den Kopf und fuhr noch einmal zerstreut über die eingeritzten Zeichen und Linien. »Ich habe sie schon einmal in einem Buch gesehen, aber ich kann sie nicht übersetzen. Ich glaube, es ist die Sprache des Mana, so wie man sie vor zehntausend Jahren gesprochen hat.« Der Pfeiler mußte hier also ebensolange stehen, verborgen im unergründlichen Grün des Verbotenen Waldes, dachte Tyro. Zehntausend Jahre. Ein Schauer rann ihm über den Rücken, als er sich diese unglaublich lange Zeitspanne vorstellte. Welches Volk hatte damals hier gelebt und die Marmorsäule errichtet? Etwa die mächtige Nation der Tasnicaner, die wohl eine der ältesten Kulturen der ganzen Welt waren? Die Zwerge oder vielleicht gar die Elfen, die seit tausenden von Jahren nicht mehr auf dem Antlitz der Erde wandelten? Ron hatte sich nie besonders für alte Sprachen und fremde Völker interessiert, die in den Geschichten des Ältesten und wandernden Geschichtenerzähler vorkamen. Er war begieriger darauf, weiter in den Wald einzudringen und ihm noch mehr Geheimnisse zu entlocken. »Los, weiter«, drängte er. »Laß uns herausfinden, was es hier noch alles gibt. Vielleicht finden wir ja tatsächlich einen Schatz.« Sie liefen ein wenig langsamer und hielten nun mehr Ausschau nach ungewöhnlichen Dingen. Tyro begann zu begreifen, daß die Stille dieses Waldes heilig war. Es gab zwar kaum Geräusche von Insekten, Vögeln oder kleinen Säugetieren im Gebüsch oder in den hohen Baumkronen, aber trotzdem war der Verbotene Wald doch von einem unglaublich intensiven Hauch des Lebens erfüllt, der zwischen den Stämmen hindurchstreifte wie ein milder, niemals verebbender Wind. Er konnte es nicht richtig in Worte fassen, doch dieser Wald war auf eine ganz eigene, faszinierende Art und Weise lebendiger als die wenigen Tiere, die in ihm zu leben schienen. Ein Wald, der bereits existierte, bevor es überhaupt Tiere oder Menschen gegeben hatte. Ein Wald vom Anbeginn der Zeit, als die Göttin des Mana-Baumes die Welt erschaffen hatte. Dieser Gedanke brachte etwas in ihm zum Klingen. Beinahe wie die Saite eines antiken, aber immer noch fein abgestimmten Instrumentes, welches lange vergessen in der Dunkelheit gelegen hatte und das man nun urplötzlich ans Tageslicht geholt hatte. Er blieb stehen und faßte Ron leicht an die Schulter, so daß dieser ebenfalls stehenblieb und ihn unwillig ansah. »Was ist los?« »Vielleicht sollten wir wirklich nicht hier sein«, meinte Tyro. Ron verdrehte die Augen. »Jetzt mach dir mal nicht in die Hose. In diesem Wald gibt es absolut nichts, das uns gefährlich werden könnte. Nur Bäume, Blätter und Gras. Und vielleicht ein Schatz.« Bei den letzten Worten hatte Ron wieder begonnen zu grinsen und Tyro gab auf. Wenn sein Freund sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte man ihn nur selten davon abbringen. Als sie weiter in den zauberhaften Wald eindrangen, kamen sie schließlich zu einem kleinen Fluß. Das Wasser schien von weiter oben herabzukommen, wo sich auch einige hundert Meter entfernt die großen Wasserfälle befanden. Der Fluß war beinahe zwanzig Schritte breit, doch das Wasser war gerade einmal knietief. Moosige, graue Steine säumten das grasbedeckte Ufer. In der Mitte des Baches lag eine kleine Insel aus abgeschliffenen, grauen Steinen. An den Rändern der Insel klammerte sich das dunkelgrüne Wassermoos fest, das typisch für den Quellwald weiter im Süden war. Und zwischen den Steinen steckte ein Schwert. »Bei den Geistern des Mana«, entfuhr es Ron. »Ein Schwert! Das muß der Schatz sein!« Tyro war ebenfalls am Ufer stehengeblieben und das Rauschen und Plätschern des Gewässers drang kaum noch an seine Ohren. Das Schwert beanspruchte alle seine Aufmerksamkeit. Obwohl die Klinge dreißig Schritt entfernt war, konnte er seltsamerweise jede Einzelheit auf der Klinge wahrnehmen: Der schmucklose, abgewetzte Handgriff, der mit groben Lederstreifen umwickelt war. Die ordentliche, aber schlichte Schneide ohne Gravierungen, die matt im Sonnenlicht glitzerte. Alles in allem sah es nicht anders aus, als das alte Langschwert, welches der Dorfwächter zu Hause in seinem Schrank aufbewahrte, oder die abgewetzten Klingen, die die Söldner bei sich trugen, welche die seltenen Handelskarawanen zu den wenigen Dörfern und Gehöften im Quellwald begleiteten. »Warte, ich hole es!« drang Rons Stimme in seine Gedanken. Tyro hielt ihn abrupt am Arm fest. »Nein!« sagte er. »Warte! Nicht!« Die Worte schienen wie von selbst aus ihm hervorzusprudeln und sie klangen aggressiver, als er beabsichtig hatte. Ron sah ihn stirnrunzelnd von der Seite an. »Was soll das? Ich dachte wir bergen den Schatz des Verbotenen Waldes zusammen. Ich will dir doch nichts wegnehmen.« »Wir sollten das Schwert nicht holen. Es hat sicher einen Grund, daß es dort so zwischen den Steinen im Fluß steckt.« »Unsinn. Warum denn nicht? Irgendein Ritter wird es einmal hier vergessen haben, oder sonstwas! Ist doch egal. Wenn wir das Schwert verkaufen, sobald der nächste Händler hierher kommt, können wir uns sicher ein paar Goldstücke verdienen.« Ron hatte natürlich recht. Warum sollten sie das Schwert nicht holen? Aber warum hatte er so ein Gefühl, daß es vielleicht erschreckend falsch sein könnte, das Schwert dort zu bergen? Was war nur plötzlich mit ihm los? Es war doch nur ein Schwert. ZIEH MICH HERAUS! KOMM ZU MIR! ZIEH MICH HERAUS! SO LANGE...OHHHH... SO LANGE... Tyro fuhr schreckhaft zusammen, als er die Stimme in seinem Kopf hörte. Es war eigentlich gar kein richtiger Laut. Vielmehr ein nachdrückliches Wispern in seinem Hinterkopf, das ihn dazu zwang, einen Schritt nach vorne zu tun. Etwas drängte ihn dazu, sich in Bewegung zu setzen. Voller Schrecken versuchte er sich gegen die unheimliche Einflüsterung zu wehren, die ihn überkommen hatte. Wer sprach auf diese unheimliche Weise zu ihm? Ein Geist? Die Worte wiederholten sich: ZIEH MICH HERAUS, TYRO! ZIEH MICH HERAUS! Das konnte doch unmöglich das Schwert sein, daß nach ihm rief? Die Stimme klang weder männlich noch weiblich, sondern irgendwie unbestimmbar und sehr, sehr weit entfernt von der Wirklichkeit. Die Stimme zwang ihn nach vorne. Erst einen Schritt. Und dann noch einen. Und noch einen weiteren, bis er knietief im eiskalten Wasser war und zielstrebig auf die kleine Steininsel mit dem Schwert zuging. »Tyro? Was machst du?« »Tyro? Hörst du mich? Hey...« Rons Stimme verblasste immer mehr, je näher Tyro dem Schwert kam. Schließlich hatte er es erreicht. ZIEH MICH HERAUS! BEFREIE MICH... ERLÖSE MICH... SO LANGE... GEFANGEN... SO LANGE... GEFESSELT... IM LICHT... ZIEH MICH HERAUS! Die Stimme wurde fordernder, und Tyro hatte keine andere Wahl, als ihr zu gehorchen. Langsam legte er seine Hände um den lederumwickelten Griff und zog das Schwert nach oben. Es glitt mit einem Scharren aus der schmalen Lücke zwischen den Steinen. Zuerst geschah gar nichts, und er atmtete erleichtert auf. Dann.. Wie eine plötzliche Explosion aus Licht und Hitze blitzten Bilder und Visionen schmerzhaft hinter seiner Stirn auf. Er sah... Ein Ritter in silberner Rüstung kämpfte gegen einen riesigen Krieger in pechschwarzem Harnisch, der einen gewaltigen Morgenstern schwang. Flammen loderten um sie herum... Er erblickte einen gewaltigen Turm aus weißem Stein mitten im Ozean, an dem sich die wütenden Brecher eines aufgewühlten Meeres brachen... In einem Tal, eingeschlossen von hoch aufragenden, schroffen Felswänden, wuchs ein dichter Wald, der in sanftem Licht schimmerte. Das Zentrum des Waldes jedoch war in Dunkelheit gehüllt... Eine endlose Ebene aus Schnee und Eis, die sich bis zum Horizont erstreckte. Wälder aus leuchtenden Kristallbäumen bedeckten die weiße Fläche in alle Richtungen und erleuchteten eine dunkle Nacht, in der nur wenige Sterne am Himmel zu sehen waren. Schwarze Gestalten bewegten sich auf der Ebene... Er sah zerfallene Ruinen aus schwarzem, unheimlichen Stein, die zwischen den Sanddünen einer heißen Wüste aufragten... Ein kleines Kind schrie in der Finsternis einer steinernen Kammer, Schatten wirbelten um den kleinen Körper herum... Die Maske eines Narren tauchte aus tiefster Finsternis auf, und der Mund öffnete sich zu einem gehässigen, bösen Lachen, das alles Leben zu verhöhnen schien. In dem gierigen Schlund der Maske blitzten spitze Reihen tödlicher Zähne... Die Bilder wechselten immer schneller und immer heftiger hämmerten sie auf seinen Verstand ein, bis er vor Schmerzen aufschreien mußte und zu Boden stürzte. Irgendwann hörte es auf. Tyro lag auf dem Rücken und umfaßte mit beiden Händen fest die Schwertklinge. Seine Augen blickte starr nach oben in den Himmel. Sein Geist war noch verwirrt und niedergedrückt von den Visionen, die so schnell verschwunden waren, wie sie gekommen waren. Als Rons Gesicht über ihm auftauchte, klärte sich sein Verstand wieder ein wenig, und er konnte sich sogar aufsetzen. Schockiert und besorgt beugte sich Ron zu ihm herunter und stützte ihn. »Tyro? Tyro! Was ist mit dir geschehen? Geht es dir gut?« Zögernd rappelte sich Tyro auf und atmete tief ein und aus. Er blickte erst Ron an und dann das Schwert in seinen Händen. Seine Fingerknöchel traten weiß hervor, so fest umklammerte er den Griff der Klinge. »Das ist mein Schwert«, sagte er entschieden. Er spürte einfach, daß es so war. Es war nicht rechtens, daß Ron das Schwert bekam. Es hatte nach ihm gerufen. Nur nach ihm. »Es gehört mir.« Ron, der noch immer überrascht von Tyros Zusammenbruch war, nickte nur schnell. Etwas in Tyros Blick überzeugte ihn davon, daß es nicht richtig war, seinem Freund jetzt zu widersprechen. Er hatte ihn noch nie so entschlossen und ernst erlebt. Außerdem war er froh, daß Tyro nichts weiter passiert zu sein schien. »Sicher, du kannst es behalten... wenn du willst«, meinte er stockend. »Geht es dir auch wirklich gut?« Tyro holte zitternd Atem und richtete sich mit dem Schwert in der Hand langsam auf. »Ja, es geht mir gut. Mir ist wohl einfach kurz schlecht geworden.« Die Visionen hatten ihn verunsichert, doch die Stimme des Schwertes war nun verstummt, als wäre sie nie in seinem Kopf erklungen. Auch als er das Schwert intensiv anstarrte, kam die Stimme nicht wieder. Er wußte nur eines ganz sicher: Das Schwert war für ihn bestimmt. Es mußte einen Grund geben, daß es ihn gerufen hatte. Vielleicht war es ein Zauberschwert der alten Gemma-Ritter, dem Orden von heiligen Kriegern, die dem Mana-Baum dienten. Mit einem Mal wirkten die Geschichten, die ihnen der Dorfälteste Abends am Feuer erzählt hatte, nicht mehr so unglaublich. Legenden berichteten davon, daß die Gemma-Ritter einst die Dämonen der Unterwelt, die der Drachenkaiser von Vandol beschworen hatte, mit magischen Klingen vernichtet hätten. Möglicherweise war dies ein solches Schwert. Vorerst war es wohl klüger, für sich zu behalten, daß das Schwert zu ihm gesprochen hatte. Ihm würde wahrscheinlich sowieso niemand glauben. Als sie gegen Abend dann zurück ins Quelldorf kamen, erzählten sie dem Dorfältesten und den anderen Bewohnern, daß sie das Schwert im nahen Quellwald gefunden hätten. Rons Vater, der Schmied, hielt die Klinge für eine solide Arbeit, aber er konnte nichts Besonderes an ihr entdecken. Tyro brachte das Schwert schließlich in das kleine Haus im Dorf, wo er zusammen mit seiner Ziehmutter Aerian lebte. Die junge, sanftmütige Frau, die Tyro großgezogen hatte, sagte ihm, sie würde das Schwert für ihn aufbewahren, bis er das Quelldorf eines Tages verlassen würde. Sie sagte es in einem traurigen Tonfall, der klarmachte, daß sie davon überzeugt war, daß ihr Sohn sie bald verlassen würde. »Ich werde das Schwert für dich sicher verwahren, mein Junge«, sagte sie ruhig und lächelte ihn auf ihre erwärmende Art und Weise an, bei der sich Tyro stets sicher und geborgen fühlte. Zum ersten Mal an diesem Tag, seitdem er das Schwert aus dem Stein gezogen hatte, lockerte sich nun sein eiserner Griff um das Schwert, und er gab es ihr bereitwillig. Er wußte, daß es bei ihr in guten Händen war und sie gut darauf aufpassen würde. Von den Visionen, die er gehabt hatte, erzählte er ihr jedoch nichts. Zugleich ahnte er aber auch, daß es nicht sein Schicksal war, hier im Quelldorf zu leben und hier auch als alter Mann zu sterben. Alles hatte sich für ihn verändert, als er das Schwert gezogen hatte. Lange nachdem Tyro an diesem Abend zu Bett gegangen war, saß Aerian am Tisch in der kleinen Küche und betrachtete im weichen Schein einer dicken Kerze das Schwert, welches sie vor sich hingelegt hatte. »Das Schicksal erfüllt sich«, murmelte sie unglücklich mit sorgenvollem Blick. »Dunkelheit breitet sich aus über dem Land, während die Kraft des Mana versiegt. Doch einst wird ein Held kommen, der die heilige Waffe mit sich führt... Das Mana-Schwert. Oh, möge uns die Göttin alle beschützen. Und möge sie ihn beschützen. Ihn vor allen anderen...« Tränen flossen ihre Wangen hinab und benetzten den kühlen Stahl des Schwertes...
  6. Gegen Waldelfen habe ich die besten Erfahrungen gemacht, indem ich auf Kavallerie und Magie gesetzt habe. Normale Infanterieeinheiten der Hochelfen sind zu teuer und zu unbeweglich, um gut mit Waldelfen fertig werden zu können. Mir gefallen zwar keine reine Kavallerie-Armeen aus was-weiß-ich-wievielen Silberhelmen/Drachenprinzen, aber gegen Waldelfen habe ich mit Ingfanterietrupps in den bisherigen Spielenkaum Land gesehen, weil die mich entweder A) umgangen haben B) das ganze Spiel über ausmanövriert haben B) kombiniert angegriffen haben ( Kampftänzer, Dryaden, usw... ) Als Magie würde ich Himmelsmagie empfehlen, da hab ich schon einige Waldelfen mit weggeblitzt. Natürlich kommt es auch drauf an, wie der Gegner mit Waldelfen spielt ( die sehr unterschiedliche Strategien und Truppentypen und viele Kombinationen haben können ). Ich beispielsweise habe meistens gegen Plänkelarmeen aus kleinen bis mittelgroßen Trupps gekämpft.
  7. Danke für die schnelle Antwort. So, dann werd ich mir mal das alte Eldararmeebuch zu Gemüte führen, jetzt da ich weiß, wieviel Schuß die guten alten Shurikenkatapulte noch hatten *seufz*
  8. Ich hätte mal ne Frage zu den Regeln für Schnellfeuer nach den alten Regeln. Da gab's doch nen extra Würfel, aber ich hab leider keine Ahnung, was das für einer war. Ein W4? 1, 2, 3 und Fehlschuss, oder soetwas? Wir würden gern mal nach der alten Edition spielen, aber so ohne die Regeln für Schnellfeuerwürfel ist das ein wenig schlecht
  9. Also, eine Umsetzung einer solchen Geschichte kann mMn eigentlich richtig gut funktionieren, wenn die passenden Motive der Dunkelelfen und Hochelfen darin dargelegt werden können. Vieles kann man durch die Charakterisierung der beteiligten Personen schon regeln, wenn sie beschrieben werden. Trotz der strikten Einteilung des "Volkscharakters" von GW ist es doch Unsinn zu sagen:"Hochelfen/Dunkelelfen sind einfach so, die würden das und das tun". Ich habe mich aufgrund meiner eigenen Hochelfengeschichte "Eltharions Feldzug" auch sehr lange und intensiv mit den Hochelfen und Dunkelelfen beschäftigt und ich sehe z.B. die Hochelfens keineswegs als nur "gut" an. Es ist natürlich nicht einfach einen Elfencharakter und dessen Motivationen zu beschreiben ( meiner Erfahrung nach ), denn sie handeln eben nicht immer wie Menschen. Aber ich denke dennoch das man relativ problemlos Überläufer in eine Geschichte einbinden könnte, wenn die Umstände dazu dargestellt werden.
  10. Ich spiele die Hochelfen seit etwa zehn Jahren, so lange, wie ich Warhammer schon kenne. Wir haben damals kurz nach der Zeit angefangen, als sie in der 5. Edition gerade ihr neues Armeebuch bekamen und einige Artikel darüber im White Dwarf zu finden waren. Bald haben wir uns die Grundbox gekauft und eine Weile war ich zwischen Dunkelelfen, Waldelfen und Hochelfen hin- und hergerissen. Die Waldelfen waren mir zu wild und "Wald"-mäßig und die Modelle der alten Dunkelelfen haben mir nicht so zugesagt. Da hab ich mir das Hochelfenarmeebuch zugelegt, war vom Hintergrund und den Einheiten begeistert und es bis heute nicht bereut, sie damals angefangen zu haben. Sie sind und werden wohl meine absolute Lieblingsarmee bei Warhammer bleiben
  11. Also der Punkt mit den Formationen hört sich für mich sehr interessant an. Das hat mir beim heutigen Warhammer Fantasy noch nie so gefallen, daß die Formationen im Gegensatz z.B. zur lockeren Formatione so furchtbar steif und unflexibel sind. Ich bemerke das im Augenblick mal wieder in Spielen gegen die Waldelfen, die einfach um meine größeren Regimenter herumtanzen und man kommt einfach nicht in den Nahkampf. Da fehlt mir das blutige Ringen im Nahkampf. Ich meine es ist mir schon klar, daß die Regeln für große Armeeformationen gedacht sind und das sich große Regimenter so schwerfällig bewegen, aber trotzdem geht dadurch wirklich einiges an taktischer Finesse während der Schlacht verloren.
  12. Ich spiele erst Ende der vierten Edition und habe bisher nur Gerüchte von der 3. Edition bei Warhammer gehört. Hat da eventuell eine so gravierende Änderung bestanden wie bei der Umstellung von WH40k? Ich habe gehört die Regeln sollen aufwändiger, aber detailgetreuer gewesen sein. Auch das Masgiesystem war noch nicht das mit den Karten, usw... Ich wende mich mal an die alten Hasen unter euch, die noch einiges über die 3. Edition wissen. Es würde mich wirklich sehr interessieren, wie die so spieltechnisch war.
  13. Für mich 1. wichtigster Punkt des allgemeinen Spiels ist die freundschaftliche Atmosphäre, denn ich habe schon zu oft abgebrochene und miserable Spiele erlebt, weil sich die Gegner nur gegenseitig auf den Sack gegangen, rumgemäkelt und angeschrien haben. 2. Punkt sind die witzigen Situationen auf dem Spielfeld, die im Verlauf entstehen können und an die man sich noch monate später erinnert. 3. Punkt ist "Ich liebe es wenn ein Plan funktioniert". Dabei muß ich noch nicht einmal unbedingt gewinnen, ich möchte nur erkennen, daß meine Taktik halbwegs aufgegangen ist oder eventuell WÄRE. 4. Punkt: Das wüste Gemetzel. Wenn am Ende auf beiden Seiten die Verluste hoch sind, blutige Nahkämpfe um jeden Zentimeter Boden geführt worden sind oder heldenhafte Angriffe angeführt wurden, finde ich das einfach klasse.
  14. Nachdem ich nun meine Kurzgeschichte Blue Screen abgeschlossen habe, fühle ich mich jetzt wieder sehr dem Fantasy-Genre zugetan und habe beschlossen, endlich die Chronik von Lord Ruerl fortzusetzen. Ich hoffe das bald weitere Kapitel folgen werden. Viel Spaß damit! 3 - Die Ruinenstadt Die Stadt war wirklich über alle Maßen gewaltig. Sie erstreckte sich Ruerls Ansicht nach über ein Areal, das der Hauptstadt Naggaroths etwa einhundertmal Platz geboten hätte. Selbst wenn sie einst vor Jahrtausenden ( oder vielleicht auch vor Jahrmillionen - wer wußte schon, wie die Zeit in der roten Wüste des Chaosreiches verging? ) von einem Volk von Zyklopen bewohnt gewesen war, wie der Gnom Urm ihm erzählt hatte, hätte sie Zehntausenden oder Hunderttausenden dieser riesenhaften Kreaturen Platz geboten. Ganz in der Nähe von Urms aufgeschlagenem Zelt an einer der verwitterten Ecken eines Gebäudes, erhob sich ein großer Haufen Geröll, wo irgendwann einer der titanischen Türme der Stadt aus unerfindlichen Gründen in sich zusammengestürzt war. Ein Großteil der hausgroßen Steinquader des ehemaligen Fundaments und der unteren Stockwerke war unter dem Druck der herabstürzenden Brocken zu Staub zermahlen worden. Die Zeit und der rote Staubwind der Wüste hatten ihr Übriges dazu getan, um die Umrisse des Turmes kaum noch erkennen zu lassen. Dennoch bildeten die Geröllbrocken eine Art Pyramide, auf der man mit viel Mühe bis ganz nach oben klettern konnte. Zwei Tage nach seinem Erwachen in der Stadt, hatte Ruerl diese Schwierigkeit des Ersteigens in Angriff genommen, obwohl sie eine Tortur für seinen geschundenen Körper bedeutet hatte. Er brauchte einen halben Tag für den Aufstieg, und oben angekommen, fühlte er sich so schwach und ausgelaugt, daß er kaum noch Kraft für den anschließenden Abstieg aufbrachte. Auf der Spitze hatte er jedoch einen guten Überblick über einen weiten Teil des steinernen Monstrums, welches der Gnom als Stadt bezeichnete. Ein geringerer Verstand als der eines Elfen hätte vielleicht vor der Gewaltigkeit kapituliert; glaubte zumindest Ruerl, aber auch er war schockiert gewesen angesichts des furchterregenden Gebildes der Ruinenstadt. Es wurde niemals dunkel in der Stadt, stets herrschte das farbige Licht des Himmels über die Ruinen, was Ruerl nachts nicht schlafen ließ, auch wenn er mit geschlossenen Augen im Zelt des Gnoms lag. In der roten Wüste hatte es wenigstens noch einen Unterschied zwischen Tag und Nacht gegeben. Doch hier in den Ruinen gab es keine Sonne und keinen Mond. Noch nicht einmal den grünlichen Chaosmond. »Du wirst dich daran gewöhnen, Elf«, hatte Urm zu ihm gesagt. Heute, drei Tage nach seinem Erwachen in der Stadt, wollte Ruerl zum ersten Mal seit langer Zeit wieder etwas essen. Urm war im Zelt und brodelte auf einem Kessel über dem Feuer die fleischlichen Überreste einer namenlosen Kreatur, die er angeblich gefangen hatte, als er während Ruerls Halbschlaf auf der Jagd gewesen war. Was der Gnom außer faulen Ratten hier hatte finden können, das einem krummen Zwerg wie ihm nicht sofort entkommen war, wollte er besser nicht wissen. Jetzt saß Ruerl gerade vor dem verrotteten Zelt Urms und wartete auf die Mahlzeit. Er hatte in der letzten Stunden mit einem halbwegs sauberen Tuch sein Schwert poliert. Die Arbeit erschien ihm jedoch unnötig und lächerlich. Er würde die Klinge nie wieder gegen einen Feind führen können. Der Gnom hatte zwar die Krankheit des roten Staubes in ihm mit seinen Tränken lindern können, doch gegen die stechenden Schmerzen der verfluchten Wunde in seiner Schulter hatte auch er kein Mittel gewußt. Ruerl betrachtete seinen magischen Zweihänder, dessen Klinge ebenso rötlich schimmerte, wie das Tageslicht um ihn herum. Die eingravierten Runen hatten früher dazu gedient, Gegnern ihre Stärke im Kampf zu entziehen und ihnen Schmerzen zu bereiten. Sein hageres, von matten, schwarzen Haaren umrahmtes Gesicht, spiegelte sich wie eine Totenfratze in der Klinge. Vielleicht war es ein Fehler des Gnoms gewesen, ihn zu retten. »Schau dich an nur, Ruerl Atharn Meldorn«, sagte er verbittert zu sich selbst, während er sein Antlitz betrachtete. »Herrscher von Har Ganeth! Einst hast du Heere befehligt und Henker zu deinen Feinden geschickt. Und jetzt! Jeder Sklave in den Kerkern Naggaroths könnte dich besiegen! Ha, bei Khaine, was für ein Schabernack treibt das Schicksal mit dir?! Du bist schon tot, du weißt es nur noch nicht.« »Tz, tz... was für ein närrisches Benehmen für einen schlauen, schlauen Elfen. Ich würde den Namen deines alten Gottes hier nicht allzu laut erwähnen, Dummkopf.« Urm war aus dem Zelt getreten, und Ruerl wandte unwillig den Blick von seinem Spiegelbild in der Klinge ab und sah ihn zornig an. »Glaubst du etwa, daß ich Angst vor den Göttern habe, du widerlicher Zwerg?» fragte er. »Der König meines Volkes forderte einst den höchsten Gott der Hochelfen heraus und entkam seiner Rache. Ich fürchte keine Götter. Weder die der Elfen, noch die des Chaos!« Urm schüttelte seufzend den häßlichen, kleinen Kopf, während er vor Ruerl eine kleine Holzschüssel mit einem Löffel abstellte. Ein übelriechendes Gebräu mit braunen Fleischbrocken schaukelte darin hin und her. »Schlaue Elfen! Auserwähltes Volk! Pah, so ein Unsinn! Schwachköpfige Elfen sind es! Befindet sich im Reich der allmächtigen Chaosgötter und beleidigt sie auch noch«, meinte Urm mit einer Art trübsinnigen Kinderstimme, die Ruerl nur noch mehr in Rage brachte. »Esel, Esel, Esel... Da, iß deine Suppe und sei still. Urm fragt sich, warum er dir überhaupt hilft. Dummer, dummer Elf!« Ruerl wußte, daß er sich wahrscheinlich von dem üblen Geschmack erbrechen würde, aber der Hunger würde ihn noch schwächer werden lassen, wenn er nicht bald etwas aß. Dunkelelfen konnten längere Zeit ohne Essen ausharren, wenn es unbedingt sein mußte, wobei sie normalerweise jeden Tag etwas zu sich nahmen. Aber irgendwann brauchten auch sie Nahrung. Er unterdrückte also die scharfe Entgegnung und beschloß, das eklige Zeug zu probieren. Er hatte zwar schon das noch warme Fleisch von Sklaven bei einer Opferung der Hexenkriegerinnen gegessen, doch dies hier war etwas völlig anderes. Sein Magen knurrte, weil er seit langer Zeit nichts mehr gegessen hatte, aber gleichzeitig revolierte er auch gegen den Fraß, von dem er nun einen Löffel in den Mund nahm. Hatte das geschwärzte Fleisch in der braunen Brühe eben gezuckt, als er es angesehen hatte? Bewegte es sich etwa in seinem Mund, glitt über seine Zunge und zwischen seinen Zähnen hindurch, um wieder ans Tageslicht zu gelangen? Ruerl biß kräftig mit geschlossenen Augen zu und schluckte alles hinunter. Es kostete ihn all seinen Willen, nicht sofort das Zeug wieder hervorzuwürgen. Aber diese Blöße würde er sich nicht geben. Der zweite Löffel war nicht einfacher, besonders dann nicht, als der Gnom ihm beim Essen kichernd zusah. Eisern aß er weiter. Sein Magen krampfte sich zusammen, denn das Fleisch schien auch in seinem Magen ein Eigenleben zu entwickeln. Es pochte und schlug dort unten weiter, wand sich ein Stück weit durch seinen Darm und kehrte dann wieder um. Es fühlte sich an, als wolle das Fleisch wieder durch die Speiseröhre nach oben kriechen... Kauen, kauen. Schlucken. Schlucken, Kauen. Schlucken. Irgendwann bewegte sich nichts mehr in seinem Körper und die Schüssel war leer bis auf ein Rest der bräunlichen Brühe. »Lecker. Urm ist so liebenswürdig. Überläßt dem Elfen sein bestes Mahl. Iß nur! Wenn du dich daran gewöhnt hast, ist es nicht so schlimm. O nein, wirklich nicht. Urm hat schon weitaus schlimmere Dinge gegessen als Jschez'is. Ja. Der Elf glaubt gar nicht, wie gut das schmeckt. Er sollte erstmal das Fleisch der Kor'maaahd versuchen oder das der Wüstenwürmer, die die Barbaren Tzukhuul nennen.« Wütend trat Ruerl die leere Schüssel mit dem Fuß weg und stand auf sein Schwert gestützt auf. »Macht es hier überhaupt einen Unterschied, ob ich dieses verfaulte, lebende Fleisch esse oder nicht?« Urm sah ihn grinsend an. »Vielleicht macht es einen Unterschied, vielleicht auch nicht. Meine Güte, daß hier ist die Chaoswüste! Du kannst hier morgen verhungern und verdursten wenn du nichts ißt und trinkst, ebenso können dir die launischen Götter dieser Sphäre auch ewiges Leben gewähren. Wer kann das schon sagen. Niemand, niemand.« »Niemand? Du lebst hier. Du kannst mir eine Antwort auf diese Frage geben, Gnom.« »Urm? Urm soll dir darauf eine Antwort geben?« fragte die verhutzelte Kreatur mit aufgerissenen, ungläubig blickenden Augen. »Ich kann dir dabei nicht helfen, dunkler Elf. Wer bin ich schon, dein Schicksal erkennen zu können, das hier nur von den Göttern bestimmt wird. Wer ist Urm schon? Wer?« »Ein unnützer Zwerg, den ich in meinem eigenen Land vor gar nicht langer Zeit noch beiläufig in Stücke gehackt und seine stinkenden Überreste meinen Kampfechsen zum Fraß vorgeworfen hätte«, brummte Ruerl mißgelaunt. Seine Brüder und Schwestern in Naggaroth hätten ihn angewidert angespuckt oder hämisch ausgelacht, wenn sie ihn jetzt hier sehen könnten, wie er neben einem verrückten Gnom saß und sich verspotten ließ. »Unnütz! Unnütz, sagt er!« Urm kreischte böse, aber es wirkte nur komisch und keineswegs beeindruckend. »Wenn du wüßtest, welch gewaltige Dienste ich dem Meister schon geleistet habe.« »Und wer ist dein Meister?« fragte Ruerl lauernd. Urm grinste unerwartet und lachte dann wieder verrückt. »Na, der Wandler der Wege höchstselbst natürlich, der große Puppenspieler, der Herr der Gegenwart und der Zukunft. Urm hat einst dem Großen Tzeentch gedient.« »Du hast einst Tzeentch gedient?« Der Gnom nickte, und während er die nächsten Worte sprach, wurde er plötzlich so ernst und seine Stimme klang so klar, ohne den üblichen Wahnsinn darin, daß Ruerl leicht schauderte. »Ja, Dunkelelf. Vor Jahrtausenden. Oder war es vor Jahrmillionen? Urm weiß es nicht mehr genau. Zeit ist nicht überall so, wie sie dir in der Welt der Sterblichen erschienen ist.« »Du dienst Tzeentch also nicht mehr?« Jetzt war Ruerl überrascht. Alles in allem hatte das Erscheinen des Gnoms und sein Gebrabbel bis jetzt darauf hingedeutet, daß Urm ein Diener des Wandlers der Wege war. Und jetzt verleugnete der Zwerg dies. Waren die letzten Worte Urms nur ein weiterer Trick des Großen Zauberers, um ihn zu narren und in die Irre zu führen? »Wer weiß?« Urms abstoßendes Gesicht verzerrte sich wieder zum Grinsen, und aller Ernst verschwand aus seiner Stimme. »Vielleicht diene ich ihm, vielleicht auch nicht. Vielleicht bin ich auch ein Diener des Slaanesh.« Dabei fuhr sich Urm mit seiner pickligen Zunge lüstern über die geschwollenen Lippen und gab ein orgiastisches Stöhnen von sich, bevor er sich auf die mißgestalteten Knie schlug und zu Lachen anfing, als hätte er gerade einen unglaublich guten Scherz gemacht. Angewidert wandte sich Ruerl ab und humpelte zur Steinmauer hinter dem Zelt, um sich an einen der staubigen Felsquader zu lehnen und für einen Moment auszuruhen und das Lachen des Gnoms zu ignorieren. Alles drehte sich um ihn, und er schloß die Augenlider hinter denen wohltuende Schwärze auf ihn wartete; das einzig Beständige in dieser Welt des Irrsinns. Wie konnte er hier hoffen, auch nur irgendetwas zu erreichen? O ja, natürlich. Er kannte die Geschichten und Legenden der berühmten Chaoslords, die man sich in dunklen Tavernen der Städte Naggaroths erzählt hatte. Brun, der Seelentrinker. Er war ein Anhänger des Nurgle mit zwei Köpfen gewesen, der eine stinkende Horde voller Fäulnis und Exkrementen gegen Ghrond geführt hatte, um den Nordturm zu erobern und das Land der Dunkelelfen anschließend mit Furcht und Seuchen zu überziehen. Nur der Hexenkönig persönlich und die gesammelten Armeen hatte ihn am Ende davon abhalten können, das Reich der Druchii in einen Pfuhl seines verdorbenen Gottes zu verwandeln. Brun hatte zahlreiche Lords erschlagen und mit seinem Schwert Seelentrinker hatte er hunderte von weiteren Dunkelelfen getötet oder vergiftet. Oder H'ggor der Unsterbliche, ein gewaltiger Erzdämonen des Khorne, der einst als Dunkelelf aus Clar Karond nach Norden gezogen war, seinen Glauben an Khaine aufgegeben hatte, um als unaufhaltsamer, mit Geschenken seines neuen Kriegsgottes, gesegneter Chaoskrieger, zahllose Siege gegen die Sterblichen zu erringen. Am Ende war er zu einem Erzdämonen Khornes aufgestiegen, nachdem er in der Schlacht der Dürstenden Seelen fast eintausend Dunkelelfen niedergemetzelt hatte. Es gab dutzende, hunderte von Beispielen für einen erfolgreichen Aufstieg im Reich der vier Chaosgötter. Aber leider auch hundertmal soviele aussichtslose Versuche von Sterblichen, die in Tod, Vernichtung und Vergessen geendet hatten. Wem sollte Ruerl seine Seele verschreiben? Tzeentch, dem Wandler der Wege? Slaanesh, dem Prinzen der Verführung? Nurgle, dem König der Seuchen? Khorne, dem Kriegsgott? Er war einst ein Krieger gewesen, doch konnte er kaum noch sein Schwert heben. Khorne würde er auf solche Weise sicher nicht erfreuen und auf sich aufmerksam machen. Slaaneshs Macht der Verführung und der Leidenschaft hatte er schon immer verachtet, genauso wie die verfaulten Anhänger von Nurgle. Tzeentch, der Meister der Zauberei und der Intrigen wäre noch am ehesten eine Möglichkeit, im Reich des Chaos aufzusteigen. Aber Ruerl müßte sich nach Tzeentchs undurchsichtigen Plänen richten und wäre nicht mehr Herr seines eigenen Willens. Wie alle Anhänger dieses Gottes würde er zu einer Puppe werden, die nach dem Gutdünken Tzeentchs tanzen mußte. Intelligent und zauberbegabt zwar, aber nicht in der Lage dies für sich selbst richtig zu nutzen, so wie er es wollte. Was dann? Ein Anbeter des Ungeteilten Chaos werden? Er wußte es nicht. Seine Gedanken drehten sich in einem wirbelnden Mahlstrom der Vernichtung, der an seinen letzten klaren Ankern der Vernunft zerrte und kurz davor war, alles mit sich in den Abgrund einer schwarzen, finsteren See des Wahnsinns zu ziehen. Aber es mußte einfach einen Ausweg geben. Er war Ruerl Atharn Meldorn! Es hatte ihn Jahrzehnte seines Lebens gekostet, Dunkler Herrscher von Har Ganeth zu werden und über Nacht hatte er dieses so lange erstrebte Amt verloren. War er noch einmal stark genug, sich erneut eine Position zu erkämpfen, die seiner Bestimmung würdig war? Ja, das war er! Er öffnete die Augen. Es wurde Zeit, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, anstatt sich von den Strömen des Chaos in diesem unberechenbaren Land treiben zu lassen. »Komm her, Gnom!« rief er schroff. Urm lugte um die Ecke eines Steinhaufens neben dem zerfledderten Aufbau seines primitiven Zeltes und sah ihn fast überrascht an, soweit das häßliche Gesicht einen solchen Ausdruck überhaupt darstellen konnte. »Was gibt es hier noch für Kreaturen in der Wüste? Wie weit reicht diese Ruinenstadt? Und wen muß ich töten, damit ich nicht hier sterbe?« Urm grinste, als er auf ihn zukam. »Oh, du fängst langsam an zu denken, Elf. Gut, gut. Töten. Töten ist hier immer eine sehr gute Idee, Junge.« »Dann paß auf, daß ich nicht mit dir anfange«, sagte Ruerl. Und diesmal war es ihm ernst damit. Wenn der Gnom ihn noch länger verspottete, würde er ihn töten. Innerlich dachte er kurz über diesen Gedanken nach. Nun, dann würde er auf jeden Fall erfahren, ob Urm noch über andere Kräfte verfügte, als die kümmerliche, körperliche Kraft, die in seinem verhutzelten Körper steckte. Und außerdem würde diese Harpyie Nhimtra Ruerl anschließend wahrscheinlich in Stücke reißen. Urm schien den kalten Ernst in Ruerls Stimme zu verstehen. Denn er verzichtete wenigstens auf sein übliches, krankhaftes Kichern, als er sprach. »Was will der Elf tun? Wandern? Durch die Stadt der Zyklopen? O, tausend Schrecken und Geheimnisse warten hier auf dich! Tiermenschen, tätowierte Ochsen, Bruten der Finsternis. Feinde wirst du hier finden! Viele, viele Feinde. Aber du hast ja noch Urm, er wird dir helfen.« »Dann sag mir, wohin ich gehen muß, um diese Stadt zu verlassen.« »Warte bis Nhimtra von ihrer Jagd zurückkommt. Sie wird dich führen. Urm kann dich nicht begleiten. Urm muß eigene Dinge hier erledigen. Aber du kannst Nhimtra vertrauen. Jedenfalls, solange sie satt ist.« Ruerl kniff die Augenbrauen zusammen. »Ich soll dieser Bestie durch die Stadt folgen?« »Nhimtra ist schlauer, als der dunkle Elf denkt«, antwortete Urm zuversichtlich. »Sie ist ein Geschöpf des reinen Chaos und fast schon so lange in der Wüste zu Hause wie Urm. Folge ihr, sie führt stets Urms Wünsche aus.« Ruerl setzte sich wortlos neben das Zelt auf einen Steinklotz. Ein sanfter Windzug überzog ihn mit hellem, giftigem Staub, der von den Trümmern der Gebäude zu ihm herüberwehte. Er hustete geräuschvoll. Schon kurz darauf hörte er das Flappen von ledernen Schwingen und das bekannte, schrill Krächzen der Harpyie. Etwas schweres plumpste neben Ruerl mit einem dumpfen Klatschen auf den Boden und er sprang überrascht auf. Neben ihm lag der Kadaver einer gigantischen Ratte, die fast so groß wie ein kleines Pony war. Ihr Unterleib war von schrecklichen Klauen aufgerissen worden, und ihre Gedärme quollen wie Schlangen aus der Wunde. Eine Sekunde später landete Nhimtra und tat sich an dem mutierten Tier gütlich, nachdem sie Ruerl flüchtig mit ihren bösen, roten Augen gemustert hatte. Das gräßliche Maul voller nadelspitzer Reißzähne versenkte sich genüßlich im Fleisch der Ratte, als die Harpyie sich ihrer Mahlzeit widmete. »Genug, genug, Nhimtra!« Urm sprang vor und fuchtelte wild mit seinen Händen in der Luft herum, wie um die Harpyie auf sich aufmerksam zu machen. »Es wird Zeit, daß du etwas für deinen Herrn tust! Immer nur fressen, fressen und der arme Urm hat nichts von deinen Diensten! Los jetzt. Zeige dem kurzsichtigen Elfen die Stadt! Führe ihn zu den dummen, dummen Ochsen. Dann wird er ja sehen, was er hier tun kann. Los, los!« Nhimtra riß noch ein Stück Fleisch aus der toten Riesenratte, es schien, als würde sie das Rufen des Gnoms komplett ignorieren, während er wie toll vor ihr herumhüpfte. Dann aber stieß sie einen schrillen Schrei aus und erhob sich mit einem lauten Flappen ihrer Fledermausflügel einige Meter weit in die Luft. Blut und Speichel spritzten dabei aus ihrem Maul und trafen Ruerl auf die Kleidung. Es stank erbärmlich, doch er bewegte sich keinen Milimeter. Urm drehte sich zu ihm um. »Los, Elf. Auf, auf zu deinem Tod. Oder was auch immer. Los! Folge ihr. Sie wartet!« »Wohin wird sie mich führen?« fragte Ruerl stirnrunzelnd. »Du sagtest etwas von... Ochsen?« »Oh, der Elf wird die Kinder des Ochsen erkennen, wenn er sie sieht«, kicherte der Gnom. Dann machte er eine schnelle Handbewegung zur Harpyie, die immer noch über ihnen Kreise zog und auf Ruerl wartete. »Los, los!« »Und was ist mit dir? Kommst du nicht mit?« Urm schüttelte heftig den Kopf. »Nein, noch nicht. Urm hat noch... Dinge zu erledigen. Dinge, die den Elfen nichts angehen. Aber er kommt nach. Bald schon. Bald. Jetzt geh.« Mit diesen Worte machte Urm ein erstaunliches Salto rückwärts, landete dabei überraschenderweise trotz seiner verkrüppelten Beine wieder auf den Füßen, drehte sich kichernd um und verschwand vor sich hinmurmelnd in dem kleinen Zelt. Ruerl straffte entschlossen seine Schultern und blickte herausfordernd zu der über ihm kreisenden Harpyie hoch. »Nun flieg schon, du Bestie.« Nhimtra stieß noch einen krächzenden Schrei aus, schwang sich dann in der Luft herum und über ein niedriges, zerbrochenes Mauerstück in Richtung eines halbrunden Torbogens links von Ruerl, der dieselbe Höhe hatte, wie die Mauer von Naggarond. Ruerl beeilte sich, Nhimtra durch das Gewirr von Trümmern zu folgen, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. Ihn hätte es nicht verwundert, wenn sie schon nach wenigen Sekunden aus seinem Sichtfeld verschwunden wäre. Er bezweifelte, daß sie ein so gutes Haustier war, wie der Gnom behauptet hatte. Doch zu seiner Überraschung kam Nhimtra immer wieder zurück, nachdem sie ein Stück vorausgeflogen war, so daß er sie niemals gänzlich aus den Augen verlor und ihr weiter durch die steinerne, trostlose Wüste der Ruinenstadt folgen konnte. Die Kinder des Ochsen? Was bedeutete das? Welche neue Teufelei des Chaos verbarg sich wohl dahinter? Zweifelsohne würde er es schon bald herausfinden. Möglicherweise noch früher, als ihm recht war. Das Ganze stank förmlich nach Gefahr und Tod. Er dachte an sein Schwert in der Schlaufe auf seinem Rücken und daran, wie oft ihn sein Können im Umgang mit dieser Klinge dem nahen Tod entrissen hatte. Was auch immer ihn erwarten würde, er konnte es höchstwahrscheinlich nicht mit dem Schwert in der Hand bekämpfen. Nicht mit der ewigen, brennenden Wunde in der Schulter. Aber wie dann? Die Harpyie über ihm schrie laut und irgendwie erfaßte Ruerl das ungute Gefühl, daß ihr Schreien etwas Gehässiges an sich hatte. Als könnte sie seine Gedanken lesen. Und warum auch nicht? Hier war schließlich alles möglich. Er begann, rauh und kehlig zu lachen, bis er von dem roten Staub in der Luft wieder husten mußte. Und wenn hier alles möglich war, dann konnte es sicher auch einen verkrüppelten Dunkelelf geben, der die Chaosgötter herausfordern konnte!
  15. Also ich finde das neue AB Waldelfen wirklich sehr gelungen. Der neue Stil der Waldelfen gefällt mir. Meiner Meinung nach ist das Armeebuch das am besten gemachte von allen drei Elfenarmeebücher, sowohl was den Hintergrund betrifft, als auch die Flexibilität der Armeeliste. Sie haben einfach insgesamt einen tollen, neuen Stil bekommen. ( im Gegensatz zum Stil der neuen Hochelfen, meiner Lieblingsarmee. Ok, die Waldelfen sind "wilder", "spannender" geworden, die Dunkelelfen noch ein wenig düsterer und die Hochelfen einfach nur...naja, - ich geb's nur ungern zu - "schwuchteliger". Aber wer das alte und das neue Hochelfenarmeebuch kennt, weiß sicher, was ich meine...) Vor etwa acht Jahren stellte sich mir die Frage, welche der drei Elfenarmeen ich bei WH Fantasy anfangen würde. Ich hatte alle drei Bücher und entschied mich für die HE. Heute würden es wohl die WE sein...
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