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Das Schwinden


Nakago

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Das Schwinden

Mit dem nachfolgenden Text habe ich mich mal an eine recht epische 40K Geschichte getraut. Sie beruht auf meine Ureigenste Interpretation gewisser Daten, die im Hintergrund nur grob angerissen werden und ich habe weder die Horus Reihe je gelesen, ebensowenig die Rollenspielbücher. Wer diese Bücher kennt, wird wahrscheinlich viele Ereignisse anders beschrieben kennen. Ich habe mir eine gewisse künstlerische Freiheit gegönnt und weiche auch in einigen Punkten bewusst vom Canon ab. Eigentlich sollte die Geschichte so mit 15 Seiten erzählt sein. Aber irgendwie hat mich meine eigene Geschichte immer mehr mitgerissen, so das ich inzwischen schon 167 Seiten geschrieben habe. Kritik, Lob und Anmerkungen wie immer willkommen. Nun aber viel Spaß beim Lesen.

Wem die Geschichte gefällt, kann noch bei folgenden von mir geschriebenen Texten rein schauen:

Test der Zeit

Rackers nicht so ganz kleines Tagebuch

Buch I

Eine neue Hoffnung!

Kapitel I

Position:

Imperium

Segmentum Pacificus

Sektor Jyoti

System Ghersom

Planet Ghersom IV

Nördliche Hemisphäre

Kontinent Ephrat

Kathedralsstadt

Imperatorkathedrale

3 Bestattungsebene

Zeit: 2 227 994.M41

Person: Gavri Pilgerstochter

„Da ist das Amulett von meiner Mutter hineingefallen!“ schluchzte die kleine Saphira, die in dem typischen weißen Gewand der Pilger gekleidet war. Anklagend zeigte die Sechsjährige auf die dunkle runde Öffnung von etwas über einem halben Meter Durchmesser am Boden an der mit unzähligen Schädeln bedeckte Wand der Gruft. Gavri war nicht ganz klar, welchen Zweck dieser Schacht ursprünglich gehabt hatte, aber nun hatte er unweigerlich das Wertvollste verschluckt, was die kleine Saphira ihr Eigen nannte. Saphiras Mutter war vor einem Jahr bei einer Prozession zu Tode getrampelt worden, als es eine Massenpanik unter den Pilgern gegeben hatte. Bei der Bestattungszeremonie hatte man den rechten Zeigefinger der Toten Frau entbeint, in durchsichtigen Kunststoff gegossen, so dass ihre Tochter nun immer ermahnt wurde, die Gebote des Imperators gewissenhaft zu folgen und die Pilgerreise auf Terra zu beenden.

Gavri kniete vor die Öffnung, die wohl mal einst mit einem Gitter gesichert war, jedenfalls fanden sich noch einige rostige Überreste an der Fassung davon. Da sich um die Öffnung herum ein kleines Rundes Becken in den Boden eingelassen war, wurde wahrscheinlich hier einst eine Flüssigkeit ausgeschüttet. Inzwischen wurde dieser Schacht als Toilette und Ausguss missbraucht. In den darum liegenden Boden war der Satz, „Gepriesen und geheiligt sei der Tag, wenn der Fluss der Tränen für immer versiegt“ mit altgotischen Lettern geschrieben. Mit ihrer Lampe leuchtete das Mädchen in den Schacht hinein. Die Öffnung führte in einen Runden Schacht, der sich mit geschätzten 45° recht steil nach unten neigte und dann senkrecht nach unten abknickte. In dem ganzen angefaulten Unrat konnte das zwölf Standard Jahre alte Mädchen die bleichen Fingerknochen des Amuletts erkennen.

Sie versuchte mit ihrem Pilgerstab an das Amulett heran zu kommen, aber es war viel zu weit entfernt. Das Pilgermädchen sah sich vergeblich suchend um. Sie waren hier in einem Teil der Imperatorkathedrale, der sonst kaum von Besuchern frequentiert wurde. Eigentlich hatten sie hier nur ganz profan Verstecken spielen wollen, um die Kinder etwas toben zu lassen. Als kleine Belohnung, weil sie den ganzen Tag über brav gewesen waren und nicht herum gequengelt hatten. Dabei wäre die kleine Saphira beinahe in den Schacht gestürzt, da das kleine Mädchen gedachte hatte, diese Nische wäre ein prima Versteck. Die Sechsjährige konnte sich retten, verlor dabei aber ihr Amulett.

Saphira schluchzte neben ihr und Gavri nahm sie erst mal fest in den Arm und küsste ihr dann die Tränen von den Wangen. „Verzage nicht, Saphira, sondern vertraue auf den Imperator, der auf Terra auf seinem goldenen Thron sitzt und uns alle beschützt. Beten wir gemeinsam den vierten Psalm der Erbauung. Auch ihr, auf die Knie, nur dem demütigen Gläubigen des Gottimperators zu Terra wird seine Erlösung zu Teil.“ Und so knieten alle ihre Schutzbefohlenen gehorsam mit bloßen Knien auf dem harten Steinboden nieder. Aus dem Gedächtnis rezitierte sie den Psalm und ihre Kinder wiederholten ihn gewissenhaft.

Sie hatte eine Gruppe von insgesamt zwölf Kindern im Alter von Drei bis Acht Jahren unter sich, für die sie persönlich Verantwortlich war. Alle waren wie sie auch Waisen, deren Eltern einst auf dem Pilgerschiff „Gesegnete Erlösung der wahren Gläubigen“ die langwierige Reise nach Terra aufgenommen hatten, welche dem heiligen Pfad des Imperators folgte. Gerade besuchten sie die weitläufigen Andachtsträumen der Imperatorkathedrale auf Ghersom IV, wo Steine verehrt wurden, über die einst der Imperator selbst gewandelt war. Inzwischen waren die Felsen von unzähligen Lippen Milliarden von frommen Pilgern vollständig glatt geküsst worden. Die Steine standen auf massiven Sockel aus reinem Gold, die mit unzähligen Edelsteinen verziert waren. Die Kathedrale war ein gewaltiges Gebäude, in dessen Vorhalle ihr Pilgerschiff, die „Gesegnete Erlösung der wahren Gläubigen“ bequem Platz gehabt hätte, wo es doch selbst weit über zehntausend Pilgern ein ständiges Zuhause bot.

In den Andachtsräumen herrschte qualvolles Gedränge unzähliger Besucher, war doch jetzt gerade ein hoher regionaler Feiertag der Schutzheiligen dieses Planeten und die Bewohner der Stadt besuchten zur geistigen Erbauung auch diesen Ort. Deshalb hatte Gavri die Möglichkeit genutzt, in die Gruft der Kathedrale herabzusteigen, die jedem Besucher offen stand. Hier waren gewaltige Labyrinth artige Begräbnisstätten aus vielen Jahrtausenden zu sehen. Es gab drei Ebenen, die ersten zwei waren auch recht überlaufen gewesen, aber hier, in der dritten Ebene war kaum ein Mensch. Von einem jungen Mönch hatten sie sich vorher noch einige Gasgespeiste Fackeln für die Gebühr von einem Schekel leihen müssen, da es hier keine eigenständige Beleuchtung gab. Laut dem Mönch war dies der älteste Teil der Anlage und die Gräber mindesten siebentausend Jahre alt. Die Inschriften auf den Sarkophagen waren teilweise so verwittert, dass man sich nicht mehr lesen konnte. Und das Beste war, dass hier nur wenige andere Menschen herum liefen und die waren fast alle bei einem Gangsegment, wo die obligatorischen an den Wand befestigen Totenschädel herab gefallen waren und schöne Reliefs aus uralter Zeit frei gelegt hatten. Sie zeigten Mädchen beim Beten, lernen und körperlichen Ertüchtigungen. Dabei wachte immer eine Zentrale Gestalt über sie, der Gottimperator. Auch wenn seine Erscheinung wohl erst später in die Reliefs eingearbeitet wurde, da die ursprünglichen Teile offensichtlich herausgeschlagen worden waren, da die Segmente des Imperators nicht aus dem gleichen Material wie der Rest der Reliefs bestanden.

Von dort gab es Zugänge zu gewaltigen Hallen, die voll uralter Sarkophage standen. Ein wahres Labyrinth, vielleicht etwas gruselig, aber auch spannend, da jeder Schritt in eine unbekannte stille Welt führte, die voller Schatten und Geheimnisse war. Genau das richtige, um eine Schar Kinder zu verzaubern und sie die Sorgen des Alltags vergessen zu lassen. Und Gavri selbst hatte dann vorgeschlagen, diese Abgeschiedenheit für ein Spiel zu nutzen. Sie verteilten die Fackeln in diesem weitläufigen Raum und sie gab ihren Schutzbefohlenen Fünfzig Sekunden Zeit sich zu verstecken. Dabei war dann Saphira auf die Idee gekommen, in den Schacht hineinzukrabbeln. Ein gutes Versteck, wäre der Schacht nicht so steil. In dem flackernden diffusen Licht hatte sie es wohl für eine Nische gehalten, was es leider nicht war. Da es letztendlich ihre Schuld war, dass Saphira in diese missliche Lage gekommen war, lag es nun an Gavri selbst, die Reliquie zu bergen. Das war ihre heilige Pflicht!

„Jadon, halt mich an den Knöcheln fest“, sagte sie zu dem ältesten Jungen ihrer Gruppe Schutzbefohlener, ein kräftiger kleiner Kerl von acht Standardjahren. „Und ihr anderen helft ihm!“

„Hältst du das für eine gute Idee? Wenn du nun abrutschest, wer weiß wo der Schacht hinführt!“ wagte Jadon einzuwerfen.

„Wer fest im Glauben ist, dem kann alles gelingen! Und wir sind Fest im Glauben!“

„Aber, wäre es nicht klüger, vielleicht einen Erwachsenen zu holen? Oder ein Seil zum festbinden zu besorgen? Und jemand hat in den Schacht gekackt, das ist voll Scheiße, wenn du da rein rutscht!“

„Bis dahin ist das Amulett vielleicht schon viel weiter gerutscht. Das ist alles, was Saphira von ihrer Mutter noch hat. Was soll sie im heiligen Terra denn sonst zur Ruhe betten? Ihre Mutter verdient Erlösung, so wie wir alle und wenn du mich fest hältst, passiert ja auch nichts. Und glaub mir, kleiner frecher vorlauter Jadon, ich will auch nicht durch den Kot anderer Leute robben. Aber nur wer bereit ist, alles für etwas zu geben, dem gewährt der Gottimperator zu Terra die Erlösung! Ich will, dass du dir bis zur Morgenmesse überlegst, was Demut bedeutet. Und ich bete für dich, dass dir die notwendige Erleuchtung zu Teil wird. Wenn nicht, werde ich im Buch der Strafen nachschlagen, was die Strafe für denjenigen ist, welcher seiner großen Schwester offen widerspricht. Und das S Wort will ich aus deinem Munde auch nicht mir hören oder ich werde mit Seife dafür sorgen, dass dein Mund wieder rein wird. Schließlich sprichst du damit auch die heiligen Gebete. Haben wir uns verstanden, Jadon?“ fragte sie ihm scharfen Tonfall, den Zeigefinger streng erhoben.

„Ich habe es doch nur gut gemeint!“ Jadon schob bebend die Unterlippe vor.

„Ich weiß, Jadon, ich weiß. Verstanden?“ Sagte sie schon viel milder und legte ihm segnend wie auch tröstend die Hand auf den Kopf.

„Ja, große Schwester Gavri, ich habe verstanden“, sagte Jadon und senkte den Kopf.

„Gut! Möge der Gottimperator, der da auf seinem Goldenen Thron zu Terra herrscht, mir nun den Mut, die Kraft und die Geschicklichkeit geben, diesem gläubigen Kind namens Saphira den ermahnenden Zeigefinger ihrer Mutter zurück zu geben. Und euch die Kraft, mich Festzuhalten. Gemeinsam werden wir es schaffen! So sei es!“

„Gemeinsam werden wir es schaffen! So sei es!“ Wiederholten ihre Schutzbefohlenen brav, selbst der Kleinste unter ihnen mit großer Inbrunst. Jadon schien noch was sagen zu wollen, aber mit einem strengen Blick hieß sie ihm zu schweigen.

Gavri griff nach dem schweren Buch, dass sie von dicken eisernen Kettengliedern um den Hals trug. Der Einband bestand unter anderem aus den Knochen ihres Großvaters, der vor vielen Jahren die Pilgerreise vom weit entfernten Planeten Coelia, der weit im östlichen Spiralarm im Segmentum Ultima lag, zum geheiligten Terra angetreten hatte. Dem langen Pfad des Imperators folgend, der größten, längsten und heiligsten aller Pilgerreisen, die Vierzig lange Standardjahre dauerte und oft nur von den Nachkommen vollendet werden konnte. Leider war er schon vor ihrer Geburt gestorben, aber seine Knochen waren nun Reliquien, um sie einst im heiligen Terra zu den Füßen des goldenen Throns abzulegen. Inzwischen waren auch die Handknochen ihres Vaters, Onkels und ihrer Mutter auf dem Deckel verarbeitet. Ihre Mutter war schon lange tot und kannte sie eigentlich nur aus Erzählungen. Ihr Vater war vor zwei Jahren gefallen, als auf dem Planeten, dessen heilige Orte sie gerade besuchten, von einem regionalen Aufstand von Ketzern gegen den einzig wahren Gottkaiser erschüttert worden war. Er hatte sich freiwillig einer Kampfgruppe der Zeloten unter einem fanatischen Prediger des Schiffes angeschlossen und war heldenhaft beim Sturm auf einen Bunker gefallen. Man hatte ihr die Knochen seiner Hände zurück gebracht und ein Handwerker auf dem Schiff hatte sie in den Buchdeckel eingearbeitet.

In dem Buch selber standen auf dicken Pergament Lobpreisungen, Psalme und Gebete an den Imperator und ausgewählten Schutzheiligen mit ihrem eigenen Blut geschrieben. Sie küsste das Antlitz des Imperators, welche sich auf einem Miniaturbildnis im Zentrum des Buchdeckels umgeben von Hand und Fingerknochen befand. Sie schob das Buch auf ihren Rücken, nahm den Pilgerstab in die rechte Hand und die Lampe in die linke Hand. Auf dem Bauch rutschte sie in den nach verfaulenden Unrat stinkenden Schacht. Jadon hatte durchaus recht gehabt, es war wortwörtlich Scheiße, durch den Kot anderer Leute zu robben. Aber dies war ein Teil ihre Buße, weil sie durch Gedankenlosigkeit ihre Schutzbefohlenen in Gefahr gebracht hatte. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn Saphira in den Schacht gefallen wäre und nicht das Amulett. Die Pilgerin beschloss, sich bei nächster Gelegenheit mit zwanzig Hieben selbst zu züchtigen, dass würde sie in Zukunft lehren, besser nach zu denken, bevor sie in ungesicherten Grüften ihre Schutzbefohlenen verstecken spielen lies.

Das was sie unter ihrem Kleid spürte, war eine rutschige schleimige Substanz, die sich hier festgesetzt hatte. Sie spürte wie Hände nach ihren Knöcheln griffen und sie festhielten. Sie stocherte vorsichtig mit dem gebogenen Ende ihres Pilgerstabes nach dem Amulett, aber fehlten noch ein paar wenige Zentimeter.

„Ich muss noch etwas tiefer hinein!“ rief sie nach hinten und wand sich wie eine Schlange. Nur noch ein ganz kleines Stück.

„Lass das! Wir können dich so schon kaum halten! Komm zurück!“ jappste Jadon und auch die andren Kinder, welche halfen, jammerten laut.

„Strengt euch im Namen des Imperators gefälligst richtig an! Nur noch ein ganz kleines Stückchen und ich habe es! So sei es!“ Sie wand sich gegen den Widerstand weiter.

„Nein! Hör auf!“ schrie Jadon entsetzt, aber sie ignorierte seine Worte. Jetzt hatte sie die richtige Entfernung. Ihr Pilgerstab fing das Amulett ein. Gerade als sie es zu sich heranziehen wollte, spürte sie, wie die erste Hand abglitt, dann die zweite. Das Mädchen spreizte die Beine und stützte sich mit Armen an der Schachtwand ab. Die Wände waren glitschig und sie fing an zu rutschen. Erst unmerklich, dann immer schneller, der Winkel war einfach zu hoch und die Schwerkraft dieses Planeten mit über 1.02 Standard Gravitation tat ihr übriges.

„Gavri!“ schrien die Kinder panisch über ihr, aber die konnten ihr in dieser Lage nicht helfen. Mit aller Kraft versuchte sie sich abzustützen, aber der Schacht weitete sich immer mehr und auch die Neigung nahm rapide zu.

„Imperator! Schütze mich!“ rief sie, dann war der Schacht zu Ende und sie stürzte in einen schier bodenlosen Abgrund.

bearbeitet von Nakago
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Gefällt mir extrem gut. Hervorragender Stil. Glaubwürdige Dialoge: Eine gute Mischung aus dem trotzigem Tonfall kleiner Kinder und zelotischem Gefasel. Das Setting gefällt mir auch sehr gut. Keine Schlachten-Kotzerei, keine Klischees. Dafür glaubhafte Schilderung einer Gruppe Pilger und vor allem: interessante generelle Einblicke in das Pilgerwesen im Imperium.

Und vor allem... endlich mal keine Geschichte, die anfängt wie:

"Sergeant Aldi war jetzt schon seit drei Monaten Scharfschütze im 32. Ovomaltine und kämpfte auf dem vierten Planeten des Farcry-Systems gegen Chaos-Renegaden von den Backstreet Boys."

:kotz:

Bin sehr gespannt, wie es weitergeht.

"Ich soll die weitere Existenz dieses Planeten gegen die Leben deren abwägen, die ihn verteidigen? Idiotie! Befehlt ihnen den Vorstoß. Ihnen allen."

"I asked my broker the other day in what to invest nowadays, he answered: Canned food and ammo!"

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Nach einer Woche der erste Kommentar. :yeah: Und dann auch noch so ein großes Lob! Vielen Dank, es freut mich, dass dir die Geschichte so gut gefällt.

-

Sie fiel! Ihr Magen schien sich in ihren Hals zu katapultieren. Der Aufprall kam unmittelbar und sie kullerte einen gewaltigen Haufen Unrat herunter, der sich in Laufe von Jahrtausenden hier angesammelt haben musste. Ratten quietschen empört auf, als das Mädchen in dem einst weißen Kleid am Fuß des Abfallhügels zu Ruhe kam. Ihre Lampe rollte neben ihr und dann wurde sie noch von ihrem eigenen Heiligen Buch an den Kopf getroffen. Der Schlag war hart und bunte Sterne flammten vor ihrem Auge auf, bevor sie das schwarze Loch der Bewusstlosigkeit fiel.

"Autsch!" keuchte Gavri und rieb sich die dicke Beule, nachdem sie wieder zu sich kam. Wahrscheinlich war sie nur wenige Augenblicke betäubt gewesen. Wenigstens war kein Blut an den Fingern, nachdem sie die schmerzende Beule am Hinterkopf abgetastet hatte. Es dauerte ein paar Herzschläge, bis die junge Pilgerin realisiert hatte, was passiert war. Der Imperator schien die Hand wenigstens beim Aufprall über sie gehalten zu haben, denn außer ein paar Schrammen hatte sie nicht abgekommen. Auch das wertvolle Buch mit den Gebeinen war in Ordnung. Das Mädchen griff nach der Lampe und leuchtete die Umgebung aus. Sie musste sich in einer weiteren Gruft befinden, denn die Säulen in der Nähe waren mit unzähligen Schädeln von Toten bedeckt, die mit einer feucht glänzenden Kalkschicht überzogen waren. Die gewölbte Decke war etwa fünfzehn Schritt über ihr, der gewaltige Müllberg ragte fast bis zur Decke hoch.

Gavri griff nach ihrem Pilgerstab, an dem sich zum Glück das Amulett von Saphira verheddert hatte. Vorsichtig barg sie das Kleinod, dass aus dem in durchsichtigen Kunststoff eingeschlossen skelettierten ermahnenden Zeigefinger von Saphiras Mutter und einer Kette aus Eisen bestand. Das Mädchen hängte sich den Anhänger um den Hals und begann vorsichtig den Berg zu ersteigen. Ihre bloßen Füße sanken teilweise bis über die Waden in den Unrat ein. Es gab jedes mal ein schmatzendes Geräusch, als sie die Füße wieder herauszog. Ihr ganzes Leben war sie Barfuß gelaufen, wie es einer demütigen, frommen und um Erlösung suchenden Pilgerin zustand, trotzdem ekelte sie sich vor diesem Untergrund. Schwer ging ihr Atem und ihr einst weißes, mit frommen Sprüchen beschriebenes Kleid, war feucht von ihrem Schweiß und dem glitschigen Unrat, durch den sie gerutscht und gefallen war. Die Öffnung des Schachtes befand sich nun genau über ihr, zu hoch um ihn mit ausgestreckten Arm und Stab erreichen zu können.

"Hallo? Jadon? Bist du da? Kann mich jemand hören?" Schrie sie nach oben. Das Mädchen lauschte, sie hörte ihr Herz wummern, nicht nur vor Anstrengung, sondern auch vor Angst. Auch hörte sie das Gefiepse von Ratten, dass tapsen kleiner Füße. Aber menschliche Stimmen hörte sie nicht. Wie weit sie wohl herunter gerutscht war? Ihr war es wie eine Ewigkeit vorgekommen, aber mehr als ein paar Sekunden sollte es eigentlich nicht gewesen sein. "Jadon! Antworte! Bitte!"

Aber da war nichts zu erlauschen. Hoch klettern in den Schacht war ausgeschlossen, so lange niemand von oben ein Seil nach unten warf. Wahrscheinlich holte Jadon gerade Hilfe und die anderen Kinder spielten vielleicht ein Spiel, um sich abzulenken, oder sie begleiteten ihn. Das musste es sein. Das Mädchen kauerte sich hin und wartete. Ihr Magen knurrte, sie hatte Durst und ihr fröstelte es in dem dünnen Pilgergewand, dass sie trug. Sie schlang die Arme um sich und versuchte sich mit Reibung warm zu halten, wobei sie eigentlich nur den feuchten Dreck, mit dem sie bedeckt war, hin und her rieb. Jadon hatte recht gehabt mit seinen Einwänden, aber sie hatte ja ihren Dickkopf durchsetzen müssen. Das war wirklich verdammt dämlich gewesen.

Die Zeit verrann zäh und die Pilgerin begann, die Psalmen der Erlösung zu beten. Aber als die Psalmen herunter gebetet hatte, war immer noch nichts passiert und sie wusste, dass dies eine volle Standardstunde in Anspruch nahm. Tränen der Verzweiflung liefen über ihre Wangen und wuschen unmerklich den Dreck von der Haut. "He! Da Oben! Das ist nicht länger witzig! Bitte! Beim gnädigen Imperator! Holt mich hier raus!" Gavri schrie so laut, dass sich ihre Stimme überschlug. Aber außer Echos ihrer eigenen verzerrten Stimme hörte sie nichts. Ob man sie hier einfach verrotten ließ?

Nein, Jadon und die anderen Kinder mochten sie doch, galt sie doch unter den Kindern als eine liebe Aufsichtsperson, die nicht immer sofort den Stock nahm wie Havilah, die wohl am gefürchtetsten Erzieherin der anderen Gruppen, um ihre Haut zum Platzen zu bringen, wenn ihre Kleinen mal etwas frecher waren, etwas anstellten oder gar Widerworte hervorbrachten. Lernen durch Schmerz galt auf dem Pilgerschiff als eine gute Methode und nur wer als große Schwester, dass war der offizielle Titel der Aufsichtsperson, gefürchtet wurde, war eine gute Lehrmeisterin. Wahrscheinlich irrte Jadon mit den anderen im Schlepptau durch die Kathedrale auf der Suche nach Hilfe und würde nicht locker lassen. Oder er hatte jemand gefunden und die wollten nicht helfen, weil es zu viel Aufwand war. Hunderttausende von Pilger besuchten jeden Tag die Kathedrale und wenn einer verschwand, was machte es das schon für einen Unterschied? Angst und Zweifel nagten an ihrer Seele.

"Der Imperator beschützt mich und mir wird es nicht mangeln im dunklen Tal!" Gavri wurde klar, dass es wohl länger dauern würde. "Der Imperator beschützt die am Besten, die selbst was unternehmen! Furcht öffnet nur das Tor zum Untergang!" Wenn sie fest im Glauben war, wurde ihr auch nichts passieren! Das war eine Prüfung ihres Glaubens und sie musste selbst etwas tun! Gavri sah sich um, das Licht der Lampe verlor sich bald in der Dunkelheit und ihr war es, als würde Lampe nicht mehr so kräftig leuchten wie zuvor. Es war eine schöne Lampe, der aus Knochen geschnitzte Griff zeigte einen schönen weiblichen Engel. Die Lampe hatte in einer Nische gestanden, die zum Gang in die Gruft geführt hatte, wo sie mit ihren Kindern verstecken gespielt hatte. Und da die Lampe deutlich besser leuchtete als die olle Fackel vom Kleriker, hatte sie die kurzerhand mal ausgetauscht. Das Mädchen schloss die Augen, richtete sich auf und begann sich mit der Litanei der Suche auf den Lippen im Kreis zu drehen. Als die letzte Silbe über ihre Lippen kam, blieb sie stehen und öffnete die Augen, in diese Richtung würde sie als erstes gehen. Das war der Wille des Imperators!

Mühsam begann die fromme Pilgerin den Abstieg, rutschte aus und legte die Strecke auf dem Po sitzend zurück. Jetzt war sie wirklich überall mit Dreck bedeckt. Gavri seufzte tief und war froh, das Schwester Gerechter Zorn sie so nicht sah. Ausschimpfen würde die Nonne sie, weil sie nicht mal in der Lage war, so etwas profanes wie einen Abstieg über einen Müllberg zu schaffen und würde sie danach auf den Balken schicken, um sie bis zum umfallen die Lektion des Gleichgewichts zu wiederholen.

Das Mädchen verscheuchte ein paar neugierige Ratten und lief weiter. Hohe Säulen stützten die Decke. Auch hier stapelten sich unzählige Totenschädel, die aber kaum noch als solche zu erkennen waren, dass sie von einer dicken Kalkschicht bedeckt waren. Sie leckte herunter tropfende Wassertropfen auf und stillte so mühsam ihren Durst. Nachdem sie dreißig Säulen passiert hatte, die jeweils fünfzehn ihrer Schritte auseinander standen, traf sie auf eine Wand. Auch hier stapelten sich Schädel. Wahrscheinlich war einst auf der Stirn etwas geschrieben gewesen, da manche Schädel dort selbst durch die Kalkschicht schwärzer wirkten, aber lesen konnte sie nichts davon. Sie leuchte links und rechts der Wand entlang und betete einen weiteren Psalm. Da vernahm sie ein Geräusch von Links, es hörte sich an wie ein Knurren. Gavri leuchtete in die Richtung und der Strahl traf auf etwas, dass vor vielen Generationen vielleicht mal ein Hund gewesen war, jetzt war es nur noch eine magere weiße Bestie mit blinden Augen, übergroßer Schnauze und einem großen Maul, in dem sich viele spitze Zähne befanden. Und das Ding schien Hunger zu haben, denn es begann auf sie zuzuspringen.

"Iiiks!" Erschreckt starrte Gavri auf das Mutantending, fing sich dann aber schnell wieder. Sie schob sich den Griff der Lampe in den Mund und hielt sie mit den Zähnen Fest, während sie nun mit beiden Händen ihren Pilgerstab wie einen Speer umklammerte. Dann war die Bestie von der Größe eines Schäferhundes heran. So wie es Schwester Gerechter Zorn es ihr gelehrt hatte, legte sie nicht nur die Kraft ihre Arme in den Stoß, sondern den des ganzen Körpers. Die eiserne Spitze des unteren geraden Endes ihres Stabes traf auf Widerstand und bohrte sich widerwillig in das Fleisch des Mutanten, allerdings nicht besonders tief. Es japste auf, verlor Urin und Blut und versuchte dem Schmerz zu entkommen. Winselnd schnappte es nach ihr, aber seine gelben Zähne trafen nur harmlos die Luft vor ihr. Gavri riss den Stab zurück, ging zwei Schritte rückwärts und nahm erneut die Grundstellung ein. "Tod dem Mutanten!" nuschelte sie, da sie mit der von ihren Zähnen gehaltenen Lampe nicht wirklich gut reden konnte. Das Ding hatte genug vor ihr und floh winselnd mit eingekniffenen Schwanz in die Dunkelheit. Sie überlegte kurz, dem Mutantending endgültig den Gar auszumachen, entschied sich dann aber dagegen.

"Dem Imperator sei Dank! Ich danke dir, dass du mir die Kraft gegeben hast, mich vor dem Mutanten zu schützen!" Sie begann die Wand abzulaufen, da es irgendwo einen Ausgang geben musste. Nach etwa hundert Schritt fand sie den ersten Toten. Er war vollständig skelettiert, zerfetzten Überreste eines Pilgergewandes lagen herum. Einer der Beinknochen war gebrochen. weitere Knochen des Skeletts, die deutliche Bissspuren hatten, waren verstreut. Ein Unglücklicher, der nicht so viel Glück bei seinem Sturz gehabt hatte. Das war kein gutes Zeichen. Dies war zwar eine Gruft, aber der einzig wahre Imperiale Glaube verlangte eine richtige Bestattung von Toten und einen Pilger einfach ohne Rieten liegen zu lassen war eine schwere Sünde, besonders an einem so heiligen Ort, war doch einst hier der Imperator selbst in Fleisch und Blut gewandelt. Sie sprach ein Gebet für den Toten und wünschte seiner Seele, sich mit dem Imperator zu verbinden.

Das bedeute, dass hier schon sehr lange niemand mehr nach dem Rechten gesehen hatte. Die Pilgerin sang leise die Ode der Erbauung vor sich hin, während sie weiter die Wand abschritt. Schließlich kam sie zu einen Ecker und sie lief eine weitere Wand ab. Bei der 37. Strophe gab es einen weiteren Knick, sie hatte die gegenüberliegende Wand erreicht, welche sie zuerst gefunden hatte. Hier und da waren weitere menschliche Überreste auszumachen, ausnahmslos in Pilgergewänder gekleidet oder schon so verrottet, dass es nicht mehr feststellbar war. Hier lagen dutzende wenn nicht gar hunderte von unbestatteten Toten und manche Skelette lagen unter einer mehr oder weniger dicken Kalkschicht begraben. Einige wiesen Knochenbrüche auf, andere schienen unverletzt gewesen zu sein. Wahrscheinlich einfach verhungert. Andere hatten deutliche Verletzungen äußerer Gewalt. Um ein rundes Loch in einem Schädel zu deuten, musste man kein Judiciar-Prelat sein.

Diese Toten lagen alle auf einem Stapel hinter einer der Säulen. Reste von Ausrüstung waren auch noch zu sehen, wie Helme, die Symbole der Inquisition trugen, zerbrochene Waffen wie Lasergewehre und andere Tötungsinstrumente. Hier schien ein Kampf stattgefunden zu haben, aber schon vor sehr langer Zeit, da die Überreste schon unter einer dünnen Kalkschicht bedeckt waren. Hier und da waren auch Einschusslöcher und massive Beschädigungen in den Schädeln der Wand zu sehen, wenn man wusste, nach was man suchte. Wer immer hier gekämpft hatte, es schien Überlebende gegeben zu haben, um die Toten zu stapeln. Und wahrscheinlich waren die von hier auch wieder weggekommen. Es musste einfach einen für sie erreichbaren Ausgang geben.

Es erfüllte Gavri mit Ehrfurcht, hier tote Inquisitionsgardisten zu finden. Sie hatte mal welche gesehen, als man überprüft hatte, ob sie eine Hexe sei, was natürlich nicht der Fall gewesen war. Schließlich war ihr Herz und Seele rein. Andächtig nahm sie einen der alten Helme in die Hand, den sie mit etwas Kraftanstrengung von dem Kalk löste, der ihn schon an den Boden fest verbunden hatte. Vorsichtig berührte sie mit den Lippen das goldene I auf dem Helm und sprach ein Gebet für die hier liegenden Märtyrer. Das I war eigentlich kein Buchstabe, sondern symbolisierte eine Säule. Das Fundament des Imperiums waren die Märtyrer, aber die tragenden Säulen waren die großen heiligen Organisationen, deren Wappen die Säule beinhaltete. Wie eben das Ministorum, das Administratum, die Inquisition und das Adeptus Arbetis.

Die Pilgerin konnte sich keinen Reim darauf machen, warum die Leichen nicht geborgen worden waren, noch wer diese aufrechten Männer getötet haben könnte. An einem solch heiligen Ort konnte es doch keine Ketzer geben. Oder etwa doch? Auf einmal schien alles noch bedrohlicher und hoffnungsloser zu wirken. Aber mit einem innigen Gebet an den Gottimperator schöpfte sie neue Hoffnung. Alles würde gut werden, denn der Gottimperator auf Terra wachte über sie. Um die toten Märtyrer der Inquisition zu ehren, verschränkte sie die Hände zur Aquila, verbeugte sie vor den toten Helden des Imperiums und sang das Lied über den tapferen Märtyrer, welcher sein Leben mit Freude für den Imperator opfert. Auch wenn vielleicht nie ein aufrechter Mensch von seinem heiligen Opfer erfuhr, der Imperator wusste es und honorierte es entsprechend, wenn er über die Seele richtete. Ungehört verhallte ihr Gesang in der Gruft und Gavri sprach einen Grabsegen, auf das die Toten nun ihre Ruhe fanden.

Auf ihrem weiteren Weg kam die Pilgerin an einer Art Nest vorbei, wo der Mutantenhund hechelnd seine Wunde leckte, während einige weiße Fellknäuel an ihm saugten.

"Den Mutanten sollst du töten!" sagte Gavri fest zu sich. Der Mutantenhund wendete seinen toten Blick auf das Pilgermädchen und winselte leise. Sie verharrte in der Grundposition, den Stab wie ein Speer stoßbereit erhoben. Sie wollte den verdorbenen Mutanten sehen, sah aber nur eine Mutter, die sich um ihre Babys kümmerte.

Dann seufzte Gavri, senkte vorsichtig den Speer und nahm vorsichtig vor der säugenden Mutter und ihren Kindern abstand. Sie sprach das Gebet der Buße und ohrfeigte sich zur Strafe zweimal selbst, weil sie zu mitleidig mit einem Mutanten gewesen war. Dann drehte sich das Mädchen um und nahm ihre Suche zu einem Ausgang wieder auf. Sie fand auch einen ganz engen Kriechgang, der bequem für Ratten und noch passierbar für den Mutantenhund war, aber nicht für sie, wie Gavri nach nur wenigen Metern feststellte und es gerade noch so schaffte, wieder heraus zu robben. Verdammt!

Schließlich kam das Mädchen wieder zu dem Ort, wo sie mit dem Mutantenhund gekämpft hatte, da sie das vergossene Blut auf dem Boden sehen konnte. Das war nicht gut, ihr war nun klar, dass es hier keinen ebenerdigen Ausgang gab. Gavri seufzte und leuchtete die Wand vor ihr nach oben aus. Da! Ein Absatz! So wie es aussah, gab es in etwa Acht Metern Höhe einen Absatz, auf den man klettern konnte. Da dies die Richtung war, die sie zuerst eingeschlagen hatte, musste es dort weiter gehen.

"Der Imperator beschützt die wahren Gläubigen, die selbst in der dunkelsten Stunde nicht an ihm zweifeln!" Das Mädchen hängte sich ihren Stab um, befestigte die Lampe an eine Öse des Stabes und begann mit dem Aufstieg. Mit Fingern und Zehen ertastete sie Vorsprünge und Haltepunkte an den mit Kalk überzogenen Schädeln und kletterte langsam aber gewandt nach oben. In ihrem Pilgerschiff gab es nicht viele Möglichkeiten zur Zerstreuung, so dass die Kinder das ganze Schiff zu ihrem Abenteuerspielplatz gemacht hatten. Kein Lüftungsschacht war besonders vor ihr sicher und es gab kaum einen Punkt, den Gavri nicht schon erklettert hätte. Natürlich war diese Art von Spiel streng verboten. Einmal hatte sie man dabei erwischt und hatte eine gehörige Abreibung bekommen. Danach war sie vorsichtiger gewesen.

Der Absatz entpuppte sich als kleine Plattform. "Den See der Tränen hast du nun durchschwommen, beweise nun deine Frömmigkeit! Rezitiere demütig die Gebote!" stand dort in einem hochgestochenen Hochgotisch geschrieben, wie es sonst nur in den ältesten Schriften verwendet wurde. Und dahinter lag eine Treppe, die nach oben führte. Davor war eine massive Wand aus einem ihr unbekannten Verbundwerkstoff eingelassen. Jemand hatte mit einer Art Schweißgerät eine Öffnung hinein gebrannt, durch die ein Mensch gerade so passte. Das Schweißgerät war vollständig korrodiert und zerbröselte zu einer Wolke aus metallenen Staub, als sie es berührte. Was hatte das zu bedeuten? Sie wusste es nicht, aber wenigstens schien es hier raus zu gehen.

Gavri sang die Ode der Freude an den göttlichen Imperator, so froh war sie über diesen Hoffnungsschimmer. Die Treppe hatte 108 Stufen, so viele wie die Gebote des Gottimperators zu Terra. Auf jeder der mehrere Meter langen Stufe war eine Zahl eingemeißelt. Hier gab es keinen Unrat, auch wenn alles unglaublich Alt wirkte. Auf jeder Stufe rezitierte sie demütig kniend laut das dazugehörige Gebot, so wie es die Inschrift am Fuß der Treppe verlangt hatte. Dann legte sie sich auf dem Bauch und küsste den Boden. So machte es die demütige und fromme Pilgerin bei jeder Stufe.

Schließlich erreichte das blonde Mädchen eine Kuppelförmige Achteckige Halle von einem dutzend Schritt Durchmesser, in dem sich ein mit klarem Wasser gefülltes Badebecken befand. Gegenüber gab es einen weiterführenden Gang. Als sie das Oktagon betrat, flammte an der Decke eine Lampe auf und tauchte alles in warmes Licht. Die Wände waren mit makellosen weißem Marmor verkleidet und zeigten Reliefs von Engeln.

"Reinige deinen Körper, reinige deinen Geist, denn nur wer wahrhaft Rein ist, der ist würdig genug die Halle des Lichts zu betreten!" stand in großen Altgotischen Lettern auf dem gegenüberliegenden Torbogen. Gavri entkleidete sich und schritt mit der Litanei der Reinwaschung auf den Lippen in das Becken. Das Mädchen wusch sich den Unrat vom Körper und hatte ein schlechtes Gewissen, dass sie das Becken mit diesem Schmutz verunreinigte. Aber schon bald merkte sie, das dieses Wasser im Fluss war und der Dreck weggetragen wurde. Das Wasser war dabei auch noch angenehm warm. Schließlich hatte die Pilgerin die Litanei der Reinigung beendet und hatte die rituelle Waschung vollzogen. Aber da das Wasser so angenehm war, planschte sie noch etwas und betrachte die herrlichen Wandreliefs, welche die Bilderfolge einrahmte, die so unglaublich kunstfertig wirkten. Der Marmor schien makellos und viele Details waren vergoldet. Es kam ihr schon etwas wie eine kleine Blasphemie vor, als sie dann in dem Wasser auch ihr Pilgerkleid wusch. Sie wrang es aus und schlug es mehrmals auf den Boden, bevor sie es zum trocknen auslegte.

Nackt wie der Imperator sie erschaffen hatte, trat sie aus dem Wasser und fühlte sich rein, spirituell wie auch körperlich. Sie warf einen Blick zurück ins Becken und das Wasser war so klar, dass sie ihr Spiegelbild sehen konnte. Sie war ein sehniges dürres Mädchen, dessen Brüste erst kleine Ansätze eines Hügelchens warn. Ihr Körper war mit den rituellen Narben der Läuterung verziert. Auf ihren Rücken war mit gotischen Lettern die Bitte um Erlösung so tief eingebrannt worden, so dass die Worte trotz der Narben der Selbstgeißelung gut zu lesen waren. Schmerz war ein guter Weg zu Erlösung und nur wer viel Schmerz auf sich nahm, würde die Erlösung auf Terra erlangen. So sagte man es ihr jedenfalls seit sie denken konnte. Auf den Handrücken waren die Zeichen der Pilgerschaft eintätowiert, was gleichzeitig auch ihre Fahrkarte auf dem Pilgerschiff war. Ihre Augen waren so blau wie das Wasser des Meeres und ihr streng zu einem Zopf geflochtenes Haar war golden. Sie streifte das Wasser so gut wie möglich ab und setzte ihren Weg fort, um zu sehen, ob es hier noch weiter ging. Es war angenehm warm, so dass sie trotz ihrer Nacktheit nicht fror.

Ein kurzer erleuchteter Gang führte in eine weitere sehr imposante Achteckige Halle, die mit Statuen sieben gewaltiger Engel aus weißem Marmor, die reichlich mit Gold verziert waren in jeder der freien Ecken auf hohen Sockeln standen. Die herrlichen Engel hielten flammende Schwerter in verschiedenen Positionen, schützend, schlagen, abwehrend und zeigend. Einige der Posen zeigten die Grundpositionen des Schwertkampfes. Auch diese Halle war von warmem Licht erleuchtet, dass strahlend Hell von der Decke schien. Das Mädchen wunderte sich über diese fortschrittliche Art der Beleuchtung, war doch diese in den übrigen Räumen der Kathedrale viel primitiver oder gar nicht vorhanden gewesen.

Es gab gegenüber dem Eingang einen weiteren Torbogen mit vergoldeten Türflügeln über dem stand: Ausgang. "Der Imperator sei gepriesen! Wer fest im Glauben ist, dem wird immer seinen Weg finden!" Frohgemut lief sie auf den Ausgang zu. Sie zog an einem der Türgriffe und tatsächlich schwenkte die Türe auf, auch wenn es deutlich in den Angeln knirschte. Aber statt eines Ganges blickte sie auf eine grob gemauerte Wand aus Granit.

[berechtigte Kritikpunkte überarbeitet]

bearbeitet von Nakago
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Exquisit. Nur wenig Grund zur Beanstandung:

"Und das Ding schien Hunger zu haben, denn es begann auf sie zuzuspringen." Hier nimmest du zu viel Dynamik aus dem Geschehen. Es wirkt, als wäre es ein vollkommen alltäglicher Vorgang, dass diese Pilgerin von einem Mutanten angesprungen wird. Verbesserungsvorschlag: "Und das Ding schien Hunger zu haben. Mit weiten Sprüngen preschte es aus dem Dunkel hervor." Es mag sein, dass die P. sich in Verteidigungstechniken geübt hat. Aber die erste Reaktion wird wahrscheinlich trotzdem ein Riesen Schreck sein.

"Reste von Ausrüstung waren auch noch zu sehen, wie Helme, die Symbole der Inquisition trugen, zerbrochene Waffen wie Lasergewehre und andere Tötungsinstrumente." Wieder: Zu alltäglich. Sie müsste mit vor Ehrfurcht offen stehendem Mund davor nieder knien und langsam die Insignien der Heiligen Inqusition seiner Majestät des Gott-Imperators der Menschheit mit den Fingern betasten. Lass sie ruhig in dieser Szene mit den Kampfspuren noch etwas länger verweilen und in Gedanken schwelgen.

"und nur wenige Haare bedeckten ihre Scham, denn sie hatte noch nie geblutet" Hört sich extrem seltsam an. Als ob die erste Monatsblutung eine volle Schambehaarung bedinge.

"Ich soll die weitere Existenz dieses Planeten gegen die Leben deren abwägen, die ihn verteidigen? Idiotie! Befehlt ihnen den Vorstoß. Ihnen allen."

"I asked my broker the other day in what to invest nowadays, he answered: Canned food and ammo!"

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Gefällt mir extrem gut. Hervorragender Stil. Glaubwürdige Dialoge: Eine gute Mischung aus dem trotzigem Tonfall kleiner Kinder und zelotischem Gefasel. Das Setting gefällt mir auch sehr gut. Keine Schlachten-Kotzerei, keine Klischees. Dafür glaubhafte Schilderung einer Gruppe Pilger und vor allem: interessante generelle Einblicke in das Pilgerwesen im Imperium.

Und vor allem... endlich mal keine Geschichte, die anfängt wie:

"Sergeant Aldi war jetzt schon seit drei Monaten Scharfschütze im 32. Ovomaltine und kämpfte auf dem vierten Planeten des Farcry-Systems gegen Chaos-Renegaden von den Backstreet Boys."

:kotz:

Bin sehr gespannt, wie es weitergeht.

Dem kann ich bedingungslos zustimmmen.

Lässt sich wunderbar flüssig lesen und es passt mMn auch sehr gut ins 40. Jahrtausend :)

Gibts es zu deinen Geschichten eigentlich auch PDF oder Word Dateien?

Ich hatte schonmal mit Test der Zeit angefangen, aber am Monitor zu lesen ist nicht wirklich entspannend...

Und selbst in der Druckansicht kommt noch recht viel vom Forum mit

-Der Feind deines Feindes ist ein Problem für später

Tutorial: Bilder bearbeiten mit GIMP

Armeeprojekt W40k Imperiale Armee

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OK, Danke für das Lob und die Kritik. Habe einige Punkte korrigiert. Freue mich auch weiterhin über jede Anmerkung, Kritik und Lob! Besonders ehrliche Kritik ist erwünscht, um einige Sachen noch zu verbessern, die mir entgangen sind.

Von Test der Zeit habe ich die ersten vier Chroniken inzwischen in einige PDFs umgewandelt, da die Kapazität von Anhängen hier ziemlich begrenzt ist. Werde diese dann nach und nach einpflegen. Wer das nicht abwarten kann, soll mir eine PN schicken mit seiner E-Mail Adresse schicken und ich sende ihm die ersten vier Chroniken an einem Stück.

Wie soll ich es in Zukunft mit der Frequenz des Updates halten? Ein großer Block einmal die Woche wie bisher oder lieber kleinere Blöcke über die Woche verteilt wie bei Test der Zeit? Die jetzigen Stücke waren jeweils 3.5 bis 4.5 Seiten in 12er Times New Roman lang.

-

"Verdammte Scheiße!" rutschte es ihr heraus und sofort schlug Gavri die Hände auf den Mund. Fluchen an einem solchen Ort tat man einfach nicht, egal wie frustriert man war. Und sie war jetzt wirklich frustriert, so das sie dann gleich noch mehrmals wütend gegen den Stein schlug. Aus einer schmerzenden Hand erzielte sie keinen Effekt. Die Mauer war massiv und undurchdringlich. Die Pilgerin seufzte tief und sprach ein Gebet, um sich zu beruhigen. Was war das nur für ein Ort?

Diese Wände hier im Oktagon waren nicht mit Schädeln verziert, wie die anderen in diesen weitläufigen Gewölben. Hier befanden sich weiße marmorne Grabplatten, in goldenen gotischen Lettern war geschrieben, wer hier ruhte. Nach den Namen zu urteilen waren hier ausschließlich Frauen beerdigt worden. Die Jahreszahlen hatten alle eine 3 am Anfang und die höchste Jahreszahl war 32345, also war hier seit fast Achttausend Jahren niemand mehr zur Ruhe gebetet worden. Einige Kammern waren offen und leer. In einer der weiter oben offen liegenden Kammern schien was zu liegen. Da sie dort bequem hochklettern konnte, tat sie das einfach.

Sie entdeckte einen kleinen Klapptisch und in einem blauen, goldbestickten Tuch waren zwei Siebenarmige Kerzenleuchter und ein Behälter aus Glas eingeschlagen, wahrscheinlich ein glasklarer Leuchtkörper in Form eines Sterns in dem man eine Kerze stellen konnte. Die Gegenstände sahen nicht besonders wertvoll aus, aber sie waren auch nicht alt. Für Kultgegenstände waren sie zu profan, die Leuchter bestanden aus einfachem blanken Messing, der Leuchtkörper aus billigem Glas. Die goldene Stickerei auf dem blauen Tuch zeigte einen sechseckigen Stern, in dessen Inneren sich ein Ritterkreuz befand, welches gerne von Space Marines als Wappen getragen wurde. Der Stern wurde von einem Kreis umrahmt, dem auf der linken Seite ein Drittel fehlte. Dieses Symbol war ihn gänzlich unbekannt, es war kein Symbol der Ekklesiarchie oder einer ihr bekannten imperialen Organisation des Gottimperators.

Gavri verstand nicht, welchen Zweck diese Gegenstände hatten oder warum sie so oberflächlich versteckt waren. Aber in letzter Zeit war hier jemand gewesen, also musste es neben dem Schacht und dem zugemauerten Gang noch einen weiteren Zugang zu diesem Bereich geben. Dieses Wissen gab ihr neuen Mut. Das Pilgermädchen legte die Gegenstände zurück in das Tuch und kletterte wieder nach unten. Und nun? Gavri sah sich suchend um, lies den heiligen Ort auf sich wirken. Die Präsenz der Engel schien diesen Raum auszufüllen und gaben ihm eine ganz besondere Note, wie sie das Mädchen noch nie empfunden hatte.

Ihr war kalt und ging zurück zu ihrem Kleid, dass aber noch Nass war, um wieder angezogen zu werden. Da musste sie wohl noch geduldig etwas weiter frieren. Sie schritt zurück zum Eingang in die große Halle, drehte sich um und begann einen rituellen Tanz zu tanzen, um ihre Ergebenheit zu diesem überaus heiligen Ort zu bekunden. Und um sich etwas aufzuwärmen. Es schien ihr einfach richtig, diesen heiligen Ort mit einem Tanz zu ehren. Tempeltänze waren im orthodoxen imperialen Glauben eigentlich nicht vorgesehen, aber einige Pilger waren von einer Welt zu ihnen dazu gestoßen, wo es üblich war, dass Frauen zu Ehren des Imperators tanzten. Und Gavri hatte schon immer der Gedanke gefallen, dass man auch so seine Liebe und grenzenlose Ergebenheit zum Imperator ausdrücken konnte, ohne sich dabei zu verletzen. So hatte sie sich oft in den Bereich dieser Pilger geschlichen und man hatte ihr nur zu gerne gezeigt, wie man für den Imperator tanzte. Sie summte dabei die Melodie der Ode an die Freude. Eine unendliche Glückseligkeit durchströmte sie bei ihrem Tanz in dieser heilige Halle. Bald waren alle Sorgen vergessen, alles Leid verdrängt, sie würde hier herausfinden, daran konnte es keinen Zweifel geben. Hier gab es nur sie und ihre unendliche Liebe zum Imperator. Wie ein Schmetterling tanzte sie über den Boden aus glattem Marmor. Ihr glückliches Summen hallte durch das Gewölbe und schien durch Echos vielfach verstärkt zu werden und schließlich war die Musik in ihr. Reine heilige Musik. Sie lachte vor Freude und wirbelte um ihre eigene Achse, bis sie erschöpft und ergeben vor einer der Statuen schweratmend zusammenbrach.

Schließlich beruhigte sich ihr Herzschlag und sie nahm ihre Umgebung wieder wahr. Gavri war vor einer der Statuen zur Ruhe gekommen und sie blickte nun direkt in die gütigen Augen des Engels über ihr. Es war der einzige Engel, der feminine Attribute hatte, während alle anderen sechs Engel trotz ihrer Androgynität eher maskulin wirkten. Und im Sockel befand sich nun eine Öffnung, groß genug, um bequem hindurch zu gehen. Dahinter lag ein Gang. Gavri war sich sicher, dass vorher der Sockel massiv gewesen war. Was hatte das nun zu bedeuten? Ein Ausgang? Und warum war er jetzt erschienen? War das ein Zeichen des Imperators, der sie leitete? Geschmeidig stand sie auf und spähte erwartungsvoll in die Dunkelheit.

Nach und nach leuchteten Lampen an dessen Decke auf. Der Tunnel hatte etwas bedrohliches an sich. Sie sah die Überreste von Dutzenden von Skeletten. Und so wie sie angeordnet waren, schienen manche mit großer Wucht in mehrere Stücke zerhackt worden zu sein. Hier und da waren zerbrochene Ausrüstungsgegenstände zu sehen. Die Wände waren teilweise beschädigt, als hätte man auf sie geschossen. "Tanze den gehorsamen Tanz!" stand auf dem Boden in den typischen hochgotischen Lettern geschrieben.

Was hatte das zu bedeuten? Langsam wurde Gavri klar, dass dies kein normaler heiliger Ort war, auch wenn sie nicht verstand, was das alles zu bedeuten hatte. Der Boden des Ganges bestand aus unregelmäßig geformten Steinfließen, in die jeweils ein Buchstabe eingemeißelt war. Jedenfalls in den meisten, aber einige waren so zerstört, dass man nichts mehr lesen konnte. Die Wände waren mit einem Relief verziert, welche ein Mädchen in einem Kleid zeigte. Vorsichtig trat das Mädchen in den Gang, um die Bilder besser betrachten zu können. Kaum hatte die Pilgerin die Schwelle überschritten, als sie einen scharfen Luftzug hinter sich spürte. Erschreckt drehte Gavri sich um und sah eine Massive Wand hinter sich. Sie war hier gefangen!

"Nein! Ich will hier raus!" Mit aller Kraft drückte Gavri gegen die Wand, aber nichts rührte sich. Sie musste zurück, schließlich lag da noch ihr Kleid zum trocknen aus und da war noch das Buch mit den Knochen ihrer Eltern, das sie nicht verlieren durfte. Ganz zu schweigen von Saphiras Amulett. Furchtsam spähte das Mädchen den Gang entlang, auf die unzähligen Überreste von Leichen und Ausrüstung, welchen denen in der Gruft glichen. Was sollte sie nur tun? Was wurde von ihr erwartet? Gavri reif sich den Psalm des Gehorsams ins Gedächtnis und ihr ging auf, dass die Buchstaben auf den Fliesen durchaus die Worte des Psalms bildeten. Wenn man sie abschritt, schien das in der Tat wie eine Art Tanz zu sein. Die Pilgerin biss sich auf die Lippe und studierte das Relief an der Wand. Es war ein Tanz, welches das abgebildete Mädchen auf den Steintafeln vollführte. In Gedanken ging Gavri die gelernte Tänze durch und fand einen, der eine fast identische Schrittfolge hatte. Dieser Tanz nannte sich "Der Tanz der fügsamen Gläubigen". Wahrscheinlich war das damit gemeint.

"Gottimperator von Terra, der du bist in aller Ewigkeit auf dem Goldenen Thron des Imperiums, sei gepriesen! Siehe, ich tanze zu deinen Ehren!" Und Gavri tat den ersten Schritt. Die ersten zehn Herzschläge passierte nichts außergewöhnliches, sie passierte Öffnungen in der Wand, hinter der sich metallene Vorrichtungen zu befinden schienen. Aber nichts geschah. Mehrmals wäre das tanzende Mädchen beinahe über Bruchstücke ihrer unglücklichen Vorgänger ins Stolpern geraten, aber sie behielt jedes mal gerade so ihr Gleichgewicht und tanzte ihren Tanz weiter durch den sich schier endlos hin und her windenden Gang. Jeden Augenblick erwartete Gavri, dass eine der Vorrichtungen etwas nach ihr schleuderte, um sie zu zerteilen, wie die vielen Ungeschickten, über dessen Überreste sie tanzte. Aber nichts zerriss sie, nichts griff sie an. Ihr Tanz war wohl fehlerfrei genug, um weiter leben zu dürfen.

Schließlich erreichte das Mädchen nach einer gefühlten Ewigkeit den Ausgang aus diesem Gang, der Tanz war zu Ende. Ihr Herz raste vor Anspannung und ihr Atem ging Stoßweise. Sie sank zu Boden, umklammerte ihre Knie und wiegte sich weinend vor und zurück. Das war zu viel für sie gewesen. Wer baute nur so etwas grausames und gemeines? Da lagen mindesten dreißig bis vierzig Tote unbestattet in dem Gang. Erst langsam begann sie die Umgebung zu registrieren. Sie befand sich in einer hohen runden Kammer, in deren Mitte sich eine gewaltige Säule erhob. An der Säule lehnte eine schwer gerüstete Gestalt in einer stark beschädigten archaischen Rüstung. Sie ähnelte denen, die Space Marines trugen. Gavri hatte in ihrem Leben noch nie einen leibhaftigen Space Marine gesehen, aber dutzende Statuen, tausende Bilder und viele Filme von ihnen, die zur Erbauung in den kleinen Kinos des Pilgerschiffes gezeigt wurden. Ein großes I prangte in der Ausführung der Inquisition an der Brust. Auch trug die Leiche so eine Säule als Anhänger um den Hals, was ihn als einen leibhaftigen Inquisitor auswies. Was hatte ein Inquisitor nur hier zu suchen gehabt? War dieser Ort böse? Überreste von scharfzackigen Wurfscheiben steckten noch in der Rüstung, auch waren zwei Löcher hinein gebrannt. Vorsichtig näherte sie sich den Überresten und sank in die Knie. Ein wahrhaftiger Inquisitor lag hier tot vor ihr. Ehrfurchtsvoll küsste sein Symbol und sprach dann die Totengebete für ihn. Es war eine Schande, dass solch ein Mann hier hatte sterben müssen, waren doch die Inquisitor die ewigen Sucher und Befreier von den Übeln, was das Imperium befallen hatte. Den Ketzer, die Hexe, den Mutanten und das Xenos! Alle mussten sie brennen, geläutert werden im reinigen Feuer!

Nachdem Gavri die heiligen Riten verzogen hatte, stand sie wieder auf und rieb sich ihre klamme Haut. So langsam wurde es ihr kalt. Hätte sie doch nur ihr Kleid wieder angezogen. Wenn sie jetzt den Ausgang fand, wie wollte sie ihre Blößen bedecken? Was sollten die anderen Leute dann nur von ihr denken? Sie beschloss, sich darum erst Gedanken zu machen, wenn sie einen Ausgang gefunden hatte, der sie wirklich an die Oberfläche zurück brachte. Das Mädchen schritt um die zentrale Säule und stellte zu ihrer großen Enttäuschung fest, dass es keinen weiteren sichtbaren Ausgang gab. An der Säule hoch zu klettern, war unmöglich, selbst für sie, die an fast jede Stelle des heimischen Schiff herum geklettert war. Auch die Wände waren so glatt, dass ein fortkommen undenkbar war. Wobei sie auch keinerlei Grund hatte, hoch klettern zu wollen, da sie keinen Ausgang entdecken konnte. Sie sah eine Inschrift neben dem Eingang. "Nur wer reinen Herzens ist, wird würdig sein!" Und daneben stand folgende Frage:

"Du bist als letzter Aufseher mit Gefangenen auf einem brennenden Schiff, es gibt nur eine Rettungskapsel, was tust du?

1. Mich selbst retten!

2. Den jüngsten retten!

3. Niemanden retten!

4. Versuchen, das Feuer zu löschen und alle zu retten!

Neben den Antworten ragte je ein goldener Knopf aus der Wand, von denen sie wahrscheinlich den richtigen drücken musste. Sie kannte dieses Art Spiel, "Wer ist der Gläubigste?" wurde mit religiösen Fragen oft zur Erbauung in kleinen Gruppen in der Pilgerschule des Schiffes gespielt, wenn der Lehrer mit etwas anderem beschäftigt war. Lag man mit der Antwort aus vier vorgegebenen Möglichkeiten richtig, gab es ein heiliges Symbol, lag man falsch, gab es Hiebe. Allerdings bekam sie nie Schläge, da sie ein gutes Gedächtnis und sehr belesen war. Wer als erster zehn heilige Symbole gewonnen hatte, gewann das Spiel. Sie überlegte lange und drückte dann die vierte Antwort, da sie versuchen würde, alle zu retten. Damit rettete man auch das Schiff, hatte damit eine höhere Überlebenschance und wenn es nicht klappte, konnte man ja immer noch die Rettungskapsel nehmen. Es gab ein knirschen, als Stufen aus der Wand fuhren die etwa zwei Meter in die Höhe der Wand entlang führten. Ein Wandsegment am Ende der Stufen drehte sich und offenbarte eine weitere Frage. Sie erklomm die Sprossen, lass die Frage in Hochgotisch und folgte ihrem Herzen. Die Stufen unter ihr wurden eingefahren und weitere über ihr aus der Wand gefahren. Es gab wohl kein Zurück.

Nach der dritten Frage öffneten sich Bodensegmente und ihr und gaben den Blick auf eine mit unzähligen Skeletten gefüllte Grube frei. "Oh Nein! Hört das den gar nicht mehr auf! Imperator hilf!" Angst kroch in ihr hoch und sie schluchzte verzweifelt auf. Nachdem sie allein hundert Schädel gezählt hatte, und nur einen Teil damit erfasst hatte, hörte sie auf zu zählen. Dies war eine Art Prüfung und sie hatte keine Ahnung, was die Belohnung oder Zweck des ganzen war. Jedenfalls war die Strafe für Versagen der Tod durch einen Sturz in eine Grube. Aber vielleicht kam sie so hier raus. Ein zurück gab es nun sowieso nicht mehr.

"Der Imperator hilft denen, die sich selbst helfen! So sei es!" Also betete sie um Erleuchtung und genug Klugheit, die Fragen zu beantworten, atmete tief durch und bewegte sich weiter in die Höhe. Nach der fünften Frage begannen die Stufen schon vor der nächsten Lösung wieder in die Wand zu fahren und setzten so dem ganzen ein tödliches Zeitlimit. Immer schneller schraubte sie sich weiter in die Höhe. Hatte sie anfangs bequem Zeit sich eine Antwort zu überlegen, blieben ihr am Ende weniger als zwanzig Herzschläge, um die Frage zu lesen und zu beantworten.

Schließlich erreichte sie die 108. Frage und nach deren Beantwortung schob sich eine Brücke aus der Wand und führte zur Säule, in der sich gerade eine bisher versteckte Türe öffnete. Tief unter ihr war der Boden und die Brücke war nur einen halben Meter breit. Sie versuchte nicht nach unten zu blicken und überschritt den Abgrund. Überrascht weiteten sich ihre Augen, als sie den Inhalt des Raumes erfasste. Das hatte sie nun wirklich nicht erwartet.

bearbeitet von Nakago
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Ich glaub ich abonniere dieses Thema. ;)

Wieder sehr gut geschrieben, bis auf wenige flapsig formulierte Passagen, die man jetzt aber nicht unbedingt erwähnen muss. Sehr gute Einfälle. Charakter bleibt glaubwürdig.

Bin gespannt, womit sie nicht gerechnet hat. Bei den Updates musst du nichts einhalten. Damit setzt du duch sonst zu sehr unter Druck und die Story leidet. Lass dir also gern Zeit.

"Ich soll die weitere Existenz dieses Planeten gegen die Leben deren abwägen, die ihn verteidigen? Idiotie! Befehlt ihnen den Vorstoß. Ihnen allen."

"I asked my broker the other day in what to invest nowadays, he answered: Canned food and ammo!"

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Schöne Geschichte, zumal hier mal nicht aus der Sicht eines Soldaten, sondern einer einfachen Zivilistin erzählt wird, die nicht alle Probleme mit dem Bolter lösen kann;).

Schön fand ich die Szene mit dem mutierten Hund - nur weil er eklig aussieht, ist er noch lange nicht automatisch böse.

Bin nur mal gespannt, wer oder was die Inquisitionsleute umgebracht hat - seine eigenen Toten, sofern vorhanden, scheint der Feind ja weggeräumt zu haben. Aber irgendwer scheint ja in diesen Katakomben herumzuspuken - nicht zuletzt würde sonst nach so langer Zeit wohl kaum noch das Licht brennen.

Wobei ich wirklich am rätseln bin, wer das ist. Chaosanhänger denke ich nicht, die hätten wohl eine solche Sakralstätte erst mal gründlich entweiht / verwüstet.

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Danke für das Lob und die Anmerkungen! Ich werde dann in Zukunft ein Update aus mehreren Seiten einmal die Woche posten.

Kapitel II

Position:

Imperium

Segmentum Pacificus

Sektor Jyoti

System Ghersom

Planet Ghersom IV

Nördliche Hemisphäre

Kontinent Ephrat

Kathedralsstadt

Raumflughafen

Landeplattform V

Zeit: 2 246 994.M41

Person: Gavri Pilgerstochter

Gavri blinzelte in das grelle Sonnenlicht von Ghersom. Einen Augenblick hatte sie das Gefühl zu fallen, sie stolperte einen Schritt vorwärts, konnte aber ihr Gleichgewicht wieder finden. Desorientiert blickte sie sich verwirrt um. "Hä?" Wo war sie? Unter ihr war Feuerfester massiver Stahlplastbeton, die Standardbeschichtung für Landeplattformen. Sie konnte die gewaltige Imperatorkathedrale auf der einen Seite sehen, deren gewaltiger Turm fast einen Kilometer in die Höhe reichte, um so den Ruhm des Imperators weit sichtbar zu zeigen. Auf der anderen Seite ragte das weitläufige Terminal des Raumhaufens auf, dass gleichzeitig ein gewaltiger Bahnhof für Züge war. Dahinter schraubten sich die schlanken Türme der Commercia und Handelsgilden Niederlassungen, Bankhäuser wie Alderstein & Meldorn und Wohngebäude für die Besserbegüterten in die Höhe. Filigran wirkende Brücken verbanden die Gebäude in verschiedenen Ebenen. Bildeten so ein gigantisches Wirrwarr aus Wegen und Regelrechten Straßen in schwindelerregender Höhe. Aber keines der Gebäude erreichte auch nur annähernd die Höhe des Hauptturmes der viele tausend Jahre alten Imperatorkathedrale.

Was war gerade passiert? Wie in aller Welt kam sie hierher? Hinter ihr startete gerade ein Luxusgleiter mit aufheulenden Turbinen und nahm Kurs auf die Commercias. Gavri selbst stand am Rande der großen Landeplattform, wo die "Gesegnete Erlösung der wahren Gläubigen" selbst wie eine kleine Kathedrale aufragte. Die Gangways des Schiffes waren bis auf eine schon eingefahren. Der große Versorgungsturm wurde gerade von einem hochrangigen Techpriester mit vielen von seinem Körper abstehenden Mechadendriten mit den Riten der Trennung vom Rumpf des Schiffes gelöst. Ein Chor aus Elektrokultisten sang eine Liturgie im Maschinencode dazu. Langsam aber stetig versank der ganze Turm in den Untergrund des Raumflughafens. So wie es aussah, gingen gerade die letzten Pilger und Besatzungsmitglieder an Bord. Sollte das Schiff nicht erst nach sieben Tagen Aufenthalt wieder starten? Ohne zu zögern rannte Gavri los.

"Wartet auf mich!" schrie sie und einige Personen drehten sich zu ihr um. Eines der Gesichter war ihr vertraut, da es sich um die Nonne Gerechter Zorn handelte, welche ihre Ausbilderin in den Kampfkünsten war. Die Schwester trug ihre schwarze gepanzerte Tracht, welcher die eines Inquisitionsgardisten ähnelte, da der kleine Orden der blutigen Lanze nicht über die teuren Servorüstungen der großen Orden des Adeptus Sororitas verfügte. Die Brustpanzerung der Plattenrüstung war weiblich Anatomisch ausgeformt und war mit zwei Totenschädel, die mit dem Strahlenkranz des Ministorumssymbol umrahmt waren, im Brustbereich verziert. Die Totenschädel und er Strahlenkranz wiederholte sich bei ihren Beinschienen auf der Höhe der Knie. Auf dem schwarzen Brustpanzer waren 108 silberne Fleur-de-Lys eingearbeitet. Um den Hals trug sie die Säule des Adeptus Ministorum aus Knochen geschnitzt. Ein weiteres Symbol der Ekklesiarchie hing an ihrem Rosenkranz mit ebenfalls 108 Perlen, jede aus einem anderen Material. Die linke Platte der ausladenden Schulterpanzerung zeigte die geflügelte Säule des Adeptus Ministorum, die rechte zwei gekreuzte Schwertlanzen mit blutroter Klinge.

Bewaffnet war die Nonne mit einer Schwertlanze, auf der ein Reinheitssiegel klebte und die Stange war mit mehreren Gebetsbändern umwickelt, welche eine reibungslose Funktion der technischen Teile der wertvollen Waffe garantierten. Die lange stabile Klinge schimmerte feucht von dem heiligen Öl, welches den Maschinengeist besänftigte. Auf der Klinge war der Name des edlen Spenders eingraviert, so dass jeder Ketzer lesen konnte, wem er seinen gerechten Tod mit zu verdanken hatte. In der Stange war die gleiche Technik intrigiert, welche ein Lasergewehr hatte. So waren die Nonnen mit einer eindrucksvollen Waffen ausgerüstet, die nicht nur in der Lage war, mit der Elektrisch aufgeladenen Klinge durch jede Art von Rüstung zu schneiden, sondern auch den Feind auf Entfernung zu bekämpfen. Als Seitenwaffen trug die Schwester ein Kurzschwert mit einem massiven Korbgriff und Klingenfänger an der linken Seite und eine Laserpistole im Civitas Schema aus Plaststahl in einem schwarzen mit Gebetsbänder behangenen Holster auf der rechten Seite.

Schwerster Gerechter Zorn war eine Frau um die vierzig Standardjahre. Ihre schwarzen, sorgfältig zu einem strengen Pagenschnitt geschnittenen Haare zeigte schon das erste grauen Strähnen. Eine große tiefe Narbe zog sich von ihrer Stirn bis zur Wange und ihr verlorenes braunes Auge war durch ein hervorragendes technisches Implantat ersetzt worden, mit dem sie auch in vollständiger Dunkelheit noch etwas sehen konnte. Auf der anderen Wange trug sie als Tätowierung das Symbol des Adeptus Ministorum. Ihre Gesichtszüge hatten etwas edles und erhabenes, trotz der Narben und des Augenimplantats, von dem ein dicker Kabelstrang wegführte und sie mit einem Zielsensor auf ihrer Waffe verband.

"Gavri? Dem Imperator sei gedankt! Ich hatte die Hoffnung schon beinahe endgültig aufgeben, dass du noch kommst!" Die Nonne fing sie auf, umarmte sie überschwänglich und drückte ihr einen feuchten Kuss auf die Wange. Das Mädchen war etwas über die freudige Begrüßung überrascht, lies sie aber lächelnd über sich ergehen. "Du siehst gut aus für jemand, für den schon die Totengebete gelesen worden sind. Was ist passiert?"

"Totengebete? Ich war doch nur ein paar Stunden weg. Oder?"

"Stunden? Du bist vor sieben Tagen verschwunden! Deine Kleinen kamen vor einer Woche ganz aufgelöst hier an, ein netter junger Novize aus der Kathedrale hat sie abgeliefert. Es hieß, du wärst verschollen, in irgend einen Schacht gefallen. Mit ein paar Schwestern haben wir mit Jadon dann sofort nochmal nach dir gesucht. Ich konnte doch meine beste Schülerin nicht einfach so aufgeben. Mit ein paar herzhaften Argumenten konnte ich die dort unten arbeitenden Frateris motivieren, mit uns nach dir zu suchen. Sie zeigten uns ein Dutzend Schächte, aber wir fanden dich einfach nicht. Ich brachte die von der Kathedrale sogar dazu, ein paar Servoschädel nach unten zu schicken, aber da waren nur Grüfte mit uralten Toten. Leider durften wir selber nicht heruntersteigen. Die vierte Ebene ist schon vor so langer Zeit von einem Inquisitor versiegelt worden, dass kein Mensch mir sagen konnte, warum das nötig war. Vorgestern gaben wir dann aufgegeben und deine Totenmesse abgehalten. Also, was ist genau passiert?"

Sieben Tage? Sie war sieben lange Tage weg gewesen? Während Gerechter Zorn ihr die Ereignisse schilderte, überschlugen sich ihre Gedanken. Es war eigentlich unmöglich, dass sie so lange dort unten herum geirrt war. Das ganze was sie dort unten erlebt hatte, konnte nicht länger als fünf Stunden gedauert haben. Sie hatte zwar keinen Chrono oder ein Stundenglas dabei gehabt, aber dadurch, dass sie so viele Psalmen gebetet und Lieder gesungen hatte, konnte sie anhand der normalen Länge dieser Liturgien die dort unten verbrachte Zeit auf etwas um die fünf Stunden bemessen. Oder war sie so lange bewusstlos gewesen? Mehrere Tage, war das überhaupt möglich?

"Nun ja, ich bin in diesen einen Schacht gefallen, weil ich das Amulett von Saphira retten wollte und bin in einer Gruft gelandet", erklärte Gavri etwas lahm. "Mein eigenes Buch hat mich KO gehauen und ich war wohl ziemlich lange Zeit ohnmächtig. Ich habe den Imperator um Führung gebeten und habe einen Ausgang mit seiner Hilfe gesucht. Und dann bin ich herumgelaufen, bis…" Tja, bis was eigentlich? Verwirrt versuchte sie sich zu erinnern. Der Gang, der Achteckige Raum mit den sieben Engeln. Ein weiterer Gang mit den vermeintlich schrecklichen Fallen und den Raum mit der Säule, wo ein toter Inquisitor gelegen hatte. Die ganzen seltsamen Fragen, die Fallgrube und dann die Brücke zur Säule in der sich eine Tür aufgetan hatte. Da war noch ein komisches blaues Leuchten gewesen. Und das war ihre letzte Erinnerung. "bis ich einen Ausgang gefunden habe", beendete sie zögerlich den Satz. Eigentlich sollte sie sich doch freuen, aus dem Labyrinth der Gruft entkommen zu sein. Aber wirkliche Freude stellte sich bei ihr nicht ein. Dazu war im Moment alles zu unwirklich.

"Und das hat sieben Tage gedauert? Du musst ausgehungert sein."

"Äh ja." Dabei fühlte sie sich eigentlich satt. Was hatte sie sieben lange Tage nur getrieben? Was war nur passiert? Wie war sie überhaupt aus der Gruft heraus gekommen? Das gab es doch einfach gar nicht.

"Und woher hast du die ganze Dinge? Das hast du doch nicht etwa aus einer Gruft gestohlen?" Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie schwer zu tragen hatte. Neben einem länglichen Bündel mit einem Trageriemen hatte sie noch einen Rucksack auf den Rücken. Und sie trug ein schönes blaues Kleid. Woher hatte sie nur das ganze Zeug? Um den Hals trug sie das Buch, in dem die Gebeine ihrer Eltern eingearbeitet waren, ebenfalls Saphiras Amulett, in der Hand hielt sie ihren Pilgerstab. Hatte sie die nicht im Raum mit dem Reinigungsbecken zurück gelassen? Was war nur passiert? Wie kam sie hierher? Fragen, die sie niemand stellen durfte. Fragen, die sie aber beantworten musste.

"Gavri!" kreischte eine Stimme und einen Bruchteil später schlug Saphira mit voller Wucht in ihr ein. Ein Tränennasses Gesicht presste sich zwischen ihren Schritt. Es war unangenehm, sie ging schnell in die Knie und rückte den Kopf des Kindes an eine weniger peinliche Stelle. Mit schrecken registrierte sie, dass Saphiras Kleid auf dem Rücken Blutflecken hatte. "Was beim gnädigen Imperator ist mit deinem Rücken passiert?"

"Ich habe mich selbst gegeißelt, weil ich dachte, dich getötet zu haben", schniefte das kleine Mädchen mit den zwei Langen Zöpfchen. Mühsam tröstete sie das Kind und war froh, so weiteren bohrenden Fragen auszuweichen. "Dem Imperator sei Dank! Du lebst!" Jadon drängelte sich durch die Erwachsenen und drückt sich an ihre freie Schulter. Auch er hatte einen verschorften Rücken, da er kein Hemd trug, konnte sie die typischen Wunden sehen, die eine Geisel riss, die Widerhaken an den Enden hatte. Jemand hatte großzügig Desinfektionsmittel auf die inzwischen verschorften Wunden aufgetragen. "Ich habe wirklich alles versucht, dich da raus zu holen. Aber niemand von den Erwachsenen wollte mir erst helfen. Nur der junge Priester, der uns die Fackeln gegeben hat, kam mit dann mit nach unten, aber ich habe dann den Raum mit dem verdammten Schacht nicht mehr gefunden. Die anderen Tempeldiener sagten nur, dass wäre der Wille des Imperators und deiner Seele wird es an nichts mangeln, wirst du doch an einem der heiligsten Orte des Imperiums sterben oder weilst eh schon beim Imperator. Ich habe dann versucht einen unserer Pilger zu finden, aber das hat so lange gedauert. Und dann haben wir den Schacht auch nicht mehr gefunden. Und ein Seil hatten wir auch nicht. Und ich wollte dich nicht loslassen. Wirklich nicht!" Jadon redete, ohne auch einmal Atem zu holen und dicke Tränen rannen seine Wangen herunter.

"Beruhigt euch, ihr Beiden. Mir geht es gut, es ist ja nichts passiert. Der Imperator hat mich beschützt. Und hier Saphira, dein Amulett. Pass gut darauf auf, ja? Jadon, ich habe mich bei dir zu entschuldigen. Ich hätte deinen Einwand beherzigen müssen, da er klug und rational war, während ich äußerst dumm gehandelt habe. Es tut mir furchtbar Leid, dass ich euch solche Sorgen bereitet habe, weil ich so unvorsichtig gewesen bin. Und es tut mir so unendlich Leid, dass ihr euch deswegen selbst gegeißelt habt, wo ihr doch ohne Schuld seid. Und nun hoch mit euch Beiden." Sie küsste ihnen auf die Wangen und drückte sie noch einmal fest, darauf achtend, ihren Rücken nicht zu berühren. Sie mussten die ganze Zeit hier noch auf sie gewartet haben. Das rührte sie doch. Und es tat ihr so unendlich Leid, dass die beiden sich wegen ihr solche schlimmen Verletzungen zugefügt hatten. Wie sollte sie das nur wieder gut machen? Aber wenigstens war sie wieder zuhause, auf ihrem Pilgerschiff, auch wenn sie keine Ahnung hatte, wie sie aus der Gruft entkommen war.

Die "Gesegnete Erlösung der wahren Gläubigen" war ein recht kleines interstellares Schiff mit der Eigenschaft zur Planetenlandung und gehörte zu der Kategorie der Pilgerschiffe. Das Schiff war etwas über Achthundert Jahre alt, was für ein ziviles Raumschiff als ein durchaus gutes Alter galt, da Schiffe für die Ewigkeit gebaut wurden. Sie maß etwas über dreihundert Meter in der Länge, siebzig Meter in der Breite und durch den weit nach unten gezogenen spitzen Bug und den Türmen der Kathedrale maß sie zweihundertundfünfzig Meter in der Höhe. Das Kernstück wo sich das eigentliche Leben auf dem Schiff abspielte, waren die vier Passagierdecks, die mit den Buchstaben A bis D gekennzeichnet waren. Die Reisenden hatten den Buchstaben passende Worte zugeordnet. Das A Deck war nur für sehr wohlhabenden Pilger zugänglich und wurde deswegen das Adligendeck genannt. Unter diesen reichen Gästen fanden sich zwei Töchter von planetaren Gouverneuren, die Witwe eines Hochdekorierten Generals der Imperialen Armee und viele Mitglieder vom Adel verschiedenster Planeten. Diese Pilger blieben fast ausschließlich unter sich, von ihren eigenen Dienern umsorgt, von eigenen Köchen bekocht. Sie hatten in der Kathedrale in einem der Seitenschiffe auch eine eigene Empore mit gepolsterten Sitzen mit einem besonders guten Blick auf den Altar. Die Kabinen waren richtige Zimmerfluchten, mit eigenen luxuriösen Badzimmern, Schlafzimmern und Salons, um andere Adlige zu empfangen. Selbst ihre Bediensteten hatten dort ihre eigenen Kojen in den kleinsten Räumen.

Im B Deck reisten die Betuchten. Das waren Angehörige von Familien, die Geld, aber keine Titel hatten. Oder Titel, aber nicht genug Geld um sich eine Passage auf den A Deck zu leisten. Deren Kabinen waren geräumig, hatten eigene Nasszellen und Hygieneeinrichtungen. Dieses Deck war nicht hermetisch abgeschottet wie das A Deck, aber auch diese Leute blieben lieber unter sich, da sie mit den gewaltbereiten Zeloten, fanatischen Flagellanten und ungewaschenen verarmten Pilgern wenig anfangen konnten.

Das C Deck war das der Commoner. Einfache Bürger des Imperiums mit genug Geld, sich eine eigene kleine Kabine für ihre Pilgerfahrt zu leisten. Die meisten hatten ein großes Bett für Ehepaare und genug Stauraum für Kleidung und Haushaltsgegenstände. Andere Kabinen hatten vier getrennte Kojen und einen Schrank, diese Kabinen waren entweder für Alleinreisende oder Kinder vorgesehen. Sechs Kabinen teilten sich einen Aufenthaltsraum und die angeschlossene, nach Geschlechtern getrennte Hygienekammer. Das war immer noch eine recht bequeme Art zu reisen.

Das D Deck war das Dreck Deck. Hier lebten die fast Mittellosen Pilger. C und D Deck waren von der Anzahl der Kabinen gleich aufgebaut. Ein breiter Gang in der Mitte durchzog das Deck vom Speisesaal bis zum für Passagiere verbotenen Antriebsmaschinenbereich. Druckschotts sorgten für 15 getrennte Bereiche, die über dem Mittelgang erreichbar waren. Ein knapper Meter breiter Gang verband die drei großen auf jeweils auf einer Seite liegenden Gemeinschaftskabinen, die aus einem Aufenthaltsraum und sechs angrenzenden Schlafräumen bestanden. Ein Schlafraum des D Decks hatte sechs Kojen, von denen sich drei je übereinander auf jeder Wandseite aufreihten. Gemeinsam war der Schrank am Ende des Raumes. Die Kojen selbst besaßen im Fußraum ebenfalls noch Stauraum und am Kopfende gab es einen Absatz, um seinen ganz privaten Schrein aufzustellen. Am Ende des Segments zum Außenrumpf hin, gab es die gemeinschaftlichen Wasch und Hygienebereich. Der Hygienebereich auf dem D Deck bestand aus Löchern im Boden und einer Pinkelrinne an der Wand, es gab keinerlei Abtrennungen und die Geschlechtertrennung fand über die Benutzungszeiten statt, die man von einem Chrono ablesen konnte. Der Waschbereich bestand aus einigen Duschköpfen, aus denen wenn man Glück hatte etwas kaltes Wasser tröpfelte, dass man mit gutem Willen noch als sauber bezeichnen konnte und einigen Waschbecken, die an der Wand aufgereiht waren.

Auf diesen Ebenen gab es jeweils eine Großküche und einen Speisesaal. Im D Deck konnten die Pilger zu verschiedenen Stunden ihre tägliche Hauptmahlzeit aus geschmacklosem aber nahrhaftem Brei zu sich nehmen, da einfach nicht genug Platz für alle auf einmal war. Im hinteren Bereich der Decks zum Maschinenbereich hin, gab es den kommerziellen Bereich. Läden wie in Städten, kleinere Restaurants, die heimische Küche für die von verschiedensten Planeten stammenden Pilger als zusätzliche Nahrung anbot. Kleine Kinos zeigten für ein paar Schekel Eintritt Filme unterschiedlichster Art, aber meist mit religiösen Themen oder von heldenhaften Space Marines, die alleine Straßen mit tausenden von Orks pflasterten, dass sie nie auf normalem Boden, sondern immer nur auf toten Orks standen. Kleine Werkstätten fertigten tägliche Gebrauchsgegenstände für den Pilger an. Manch einer der Reisenden verdiente sich dort ein kleines Zubrot. Die Betreiber und Mieter dieser Geschäfte lebten meist auf dem C Deck.

Unter den Passagierdecks befand sich das Unterdeck, dass sich in mehrere durch massive Schotte unterteilte Bereiche gliederte, welche die gewaltigen Wassertanks für die Versorgung, Klär und Wiederaufbereitungsanlagen für Wasser und Luft enthielten. Auch Hangars mit Beibooten und Rettungsbarken, die aber für die Besatzung und die reichen Pilger vorbehalten waren. Auch befanden sich hier Notstromaggregate, Schwerkraftgeneratoren und Werkstätten für die Instandhaltung. Tanks in denen Algen zur Eigenversorgung gezüchtet wurden. Lager mit Fässern, die das heilige Öl enthielten, welche den Maschinengeist besänftigte. Silos mit Nahrungsmitteln. Vorrats und Lagerräume. Dieser Bereich war der unübersichtlichste Bereich des Schiffes. Gänge und Laufstege wanden sich hier durch das Schiff, Treppen und Hallen bildeten wahre Labyrinthe. Ein einzig riesiger Abenteuerspielplatz für die Kinder, so lange sie die Matrosen nicht erwischten und ihnen eine Abreibung verpassten.

Die oberen Decks waren dreigeteilt. In der Mitte erhob sich die Schiffskathedrale, dass religiöse und spirituelle Zentrum des Schiffes in der weit über zehntausend Pilger Platz fanden, wenn man sich dabei auch wie ein Dosenfisch vorkam. Im vorderen Teil befanden sich die Quartiere und Bereiche der geistlichen Begleiter. Hier lebten die Prediger und das religiöse Personal der Ekklesiarchie, welche für die geistige Führung sorgte und das administrative Personal unter dem Hauptdekan, welcher das Schiff verwaltete. Die Führungsriege unter Pontifex Astra Nadab residierte im obersten Deck. Ein kleines Hospital versorgte die Kranken und Verletzten des Schiffes, betrieben ebenfalls von der Ekklesiarchie.

Hundert Kampfnonnen vom Orden der blutigen Lanze bildeten den bewaffneten Arm der Ekklesiarchie auf den Schiff, die auf dem untersten Oderdecksegment ihr eigenes Klosterareal hatten. Bewaffnet waren diese in einer reich verzierten Abart der imperialen Gardistenrüstung gehüllten Frauen mit Schwertlanzen, in dessen Stangen ein Lasergewehr intrigiert war. Sie gehörten zu keinem der legendären Orden des Adeptus Sororitas, sondern zu den vielen kleinen Orden im Dienste der Ekklesiarchie, von denen die meisten noch nie etwas gehört hatten.

Im hinteren oberen Teil des Hauptsegments lebten die Matrosen und ihre Familien. Während die Männer die schweren Arbeiten oder sich um die primitiveren technischen Belange kümmerten, arbeiteten die Frauen in den Küchen und stellten das Servicepersonal für die die betuchteren Decks. Hier waren auch hundert bewaffnete Sicherheitskräfte stationiert, die sich aus Veteranen verschiedener imperialer Regimenter zusammensetzten, die nach ihrer Ausmusterung entweder mit dem Zivilleben nichts anfangen konnten oder sich so ihre Pilgerreise ohne Nebenkosten finanzierten. Man nannte sie die Silberrücken wegen ihrem grauen Haar, weil der jüngste knapp Fünfzig und der älteste kurz vor seinem achtzigsten Lebensjahr stand.

Ein weiterer Bereich in diesem Segment war für die für den reibungslosen Schiffsbetrieb zuständigen Techpriester und ihren Servitoren vorbehalten, welche die arbeiten im Reaktorraum verrichteten, welche für Menschen zu tödlich waren. Beide bestanden mehr aus Metall als menschlichen Fleisch und blieben meist unter sich, da es unter den fanatisierten Pilger einige gab, welche den Kult des Maschinengottes als Ketzerei und nicht als anerkannte Interpretation des Imperialen Glauben betrachteten. War doch der Maschinengott Omnissiah nichts anderes als der Imperator selbst. Die Flügel der Aquila versinnbildlichten auch den Adeptus Mechanicus.

Das Fundament der Kathedrale bildete das so genannte Hauptdeck, welches über den vier Passagierdecks lag. Es war eine Ansammlung von Hallen, in den Waffenübungen und Exerziesien der Erlösertruppen, bewaffneter Zeloten, Nonnen und Veteranen abgehalten wurden. Auch befanden sich hier die Räume, in welche die Schule des Schiffes untergebracht war. Jedes Kind zwischen sechs und zwölf war angehalten, täglich den Unterricht zu besuchen. Sie bekamen dort Niedergotisch beigebracht, um sich besser untereinander verständigen zu können, da viele Pilger nur ihren örtlichen Dialekt sprachen. Hochgotisch, um die heiligen Schriften und Liturgien verstehen zu können. Lesen und Schreiben, um die heiligen Bücher zu kopieren. Rechnen, um alltägliche Aufgabestellungen lösen zu können, die solcher Art waren wie, ein Imperialer Soldat eliminiert in einer Minute neun Ketzer, wie lange braucht er um zweiundsiebzig Ketzer zu töten? Oder, ein Klafter Holz reicht um drei Hexen zu verbrennen, wie viele Hexen kann man mit siebzehn Klafter Holz verbrennen? Weiterführende Themen wie die Katastrophentheorie oder die Sadlerianischen Liturgie kannten sie nur den Namen nach. Und die Schüler bekamen die Tugenden des Gehorsams vermittelt, deswegen wurde jeder Lehrer von einem strengen Zuchtmeister unterstützt, der sich ganz auf die Bestrafung der Ungehorsamen und Dummen konzentrieren konnte. In großen Buchstaben waren auf die Wände der Grundsatz der Schule geschrieben: Lernen durch Schmerz. Ein guter Schüler fürchtet seinen Lehrer und liebt den Stock.

Auch gab es im Hauptdeck einige kleine private Kapellen und Andachtsräume. Grüfte für die höher gestellten Geistlichen und Besatzungsmitglieder, welche im Laufe von Generationen auf diesem Schiff gestorben waren. Normale Besatzungsmitglieder und Pilger waren in der Kathedrale selbst eingearbeitet worden. Verdiente Mitglieder durften als Servoschädel weiter ihren Dienst tun.

Das letzte Drittel des Schiffes bildete das Reaktor und Antriebsdeck. Hier befand sich der Plasmareaktor, die Antriebsdüsen und der Warpgenerator, welcher Überlichtschnelles Reisen ermöglichte. Auch befand sich hier eine kleine Kapelle des Maschinengottes, um den Maschinengeist des Schiffes wohl zu stimmen und den Techpriestern zu ermöglichen, ungestört ihre eigenen Riten durchzuführen.

Die Brücke des Schiffes befand sich im Kuppelförmigen Mittelturm der Kathedrale. Im Turm selbst waren die Kabinen und Zimmerfluchten der Brückenbesatzung und Offiziere des Schiffes untergebracht. Oben direkt unter der Kuppel befand sich am höchsten Punkt des Schiffes die Brücke und Kommandozentrale, von wo aus Kapitän Le Grange seine Befehle gab und der Navigator das Schiff durch den Warpraum steuerte. Den Navigator hatte noch nie jemand gesehen, da er in seiner Kanzel lebte und diese noch nie verlassen hatte.

Das war ihr Schiff, hier war Gavri geboren worden. Es war der Ort, den sie Heimat nannte und sie selbst zu einem Kind der Leere machte.

"Da, guck mal! Sororitas Schwestern!" Saphira hüpfte aufgeregt herum und zeigte auf eine Fahrzeugkolonne aus schwarzen Rhinos mit verschiedenen Aufbauten, welche in hoher Geschwindigkeit in Keilformation auf das Schiff zuhielten. Deutlich waren die Markierungen des Adeptus Sororitas zu sehen. Schnell kamen die Fahrzeuge näher und Gavri konnte sich eines unguten Gefühls nicht erwehren. Die kamen doch nicht etwa wegen ihr?

bearbeitet von Nakago
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Aͺch wenn ich deine letzte Geschichte nich mochte bin ich doch ein Fan deiner Geschichte. Genau genommen mochte ich deine erste Geschichte sosehr, dass ich nach Rackers "ende" erstma beleidigt war.

Naja neue Geschichte neues Glück. Die hier mag ich auf jedenfall und möchte erstmal mehr:yeah: Viiieeellll mehr!

Quod nos adepati astartes sumus, nos Xenon superemus. Quod nos servii Imperatoris sumus, nos Haereticos cademus.

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Besonders gefallen mir an dieser Geschichte neben der Handlung auch die guten Beschreibungen der Schauplätze, in dem Fall jetzt des Schiffes.

Bei der Handlung wirds ja jetzt ziemlich rätselhaft. Da sitzt also jemand in den Katakomben, der offenbar mehrere Inquisitionssoldaten und einen Inquisitor auf dem Gewissen hat, aber Gavri wird versorgt, neu eingekleidet, erhält ihren Besitz zurück, dafür wird aber ihr Gedächtnis gelöscht? Das einzige, was mir da jetzt spontan einfiele, wäre, entgegen meiner letzten Vermutung, ein Tzeentchkult - die meisten anderen feindlichen Fraktionen aus dem 40K-Universum würden ja wohl grobschlächtiger vorgehen... ich bin da ja mal sehr auf den nächsten Teil gespannt.

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Nur weil der tote ein Inquisitor war heist das ja noch lange nicht das er auch rein im glauben war. Könnte auch ein Radikaler gewesen sein. Was mich viel mehr verwundert. Woher weise eine kleine, vollkommen unbedeutenden Pilgerin von der Inquisition? Es gibt nur wenige die von der Inquisition wirklich wissen, aber einem Pilger wird man davon wohl kaum etwas erzählt haben. Aber ansonsten gefällt mir deine Geschichte sehr gut. Freue mich auf weitere teile.

"I like bunnies they taste crunchy"

Meine p250 Projekte: Shields of Dorn, 3. Kompanie [WH40k] (P250)

"Knowing is half the battle. The other half, Violence"

-Isaac Toups

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@ Thain of Hannover

Schön, dass dir diese Geschichte besser als "Test der Zeit" gefällt. Keine Angst, es wird noch viel mehr kommen.

@ Lurch

Es wäre ja schlimm, wenn jetzt schon alles klar wäre. Der Plot ist recht komplex und wird sich noch weiter entwickeln.

@ Deathlord

Ich orientiere mich in einigen Belangen eher an den Fluff der zweiten Edition. Damals waren die normalen Bürger des Imperiums, also jene die auf einer zivilisierten Welt aufgewachsen sind und eine gewisse Schulbildung genossen haben, noch nicht die unwissenden Vollidioten, wie sie inzwischen teilweise im Hintergrund dargestellt werden. Der Fluff der zweiten Edition halte ich persönlich in vielen Punkten besser ausgearbeitet als wie der aktuelle. Deswegen kennt Gavri auch ein Inquisitorsymbol und weiß grob, was die machen.

-

Kurz vor dem Schiff lösten die Rhinos ihre Gefechtsformation auf und bildeten eine lang gezogene Kolonne, wie für eine Parade. Ohne die Geschwindigkeit zu drosseln rasten die Rhinos an ihnen vorbei. Jedes dieser Fahrzeuge war ein Unikat, da prächtige Reliefs von kämpfenden Engeln und Heiligen des Ordens sie verzierten. Jeder Panzer erzählte eine eigene Geschichte. Die meisten Rhinos wiesen oben noch weitere barocke Verzierungen auf, wie vergoldete Lautsprecher in Form trompetender Engel oder vergoldete Abgasrohre mit Rankenmuster. Eines der Fahrzeuge hatte sogar eine richtige Orgel auf dem Dach, die natürlich auch vor Gold glänzte. Andere hatten golden schimmernde Flammenwerfer auf einem verglasten Drehturm. Überall waren die heilige Insignien des Adeptus Ministorum, das Fleur-de-Lys und des Orden des tapferen Herzens zu sehen, ein weißes Ritterkreuz, in dessen Zentrum ein Rotes Herz prangte. An Fahnenstangen, an deren Spitze, meist mit goldenen Strahlenkränzen umrankte, Totenschädel staken, wehten verschiedene Motivfahnen, von denen einige so aussahen, als wären sie schon hunderte Male geflickt worden. Es war ein prächtiger und einmaliger Anblick, diese unglaublich schönen Fahrzeuge aus der Nähe sehen zu dürfen. Und da sie an ihnen vorbei rauschten, entspannte sich Gavri merklich.

Die kleine Saphira war ganz aus dem Häuschen und winkte entweder enthusiastisch den vorbei donnerten Fahrzeugen zu oder gab ihnen Kusshändchen. Eine der Schwestern, die in einem der verglasten Türme saß, winkte sogar zurück, was Saphira begeistert auf quietschen ließ. Die Schwester im letzten Fahrzeug, die hinter einer offenen Luke hockte, ihren geheiligten Bolter im Godwin-Deaz Schema in den Händen haltend, schien direkt Gavri anzusehen. Oder war es Schwester Gerechter Zorn, die mit einem recht bösen Blick die vorbei rumpelten Rhinos musterte?

"Nichts ist vergessen, niemals werden wir vergeben", rief die Schwester ihnen zu. Gavri wusste nicht, was sie davon halten sollte. Die Nonne erwartete wohl keine Antwort, sondern rutschte durch die Luke zurück in den Passagierraum.

"Denken wohl, nur weil sie Rhinos unter ihren fetten Hintern, Servorüstungen am Leib und Bolter in den Händen haben, wären sie was besseres", murmelte Schwester Gerechter Zorn aufgebracht.

"Was war das denn jetzt?" fragte Gavri immer noch höchst irritiert, während die Kolonne eine Rampe nahm, um vom Landefeld herunter zu fahren.

"Sie hat mich gemeint. Wir sind etwas aneinander geraten, nachdem ich eine Audienz beim Kardinal erzwungen haben."

"Aha?"

"Anfangs waren die ganzen Kleriker in der Kathedrale etwas Unkooperativ wegen meiner Suche nach dir und ich musste recht deutlich werden, um meinen berechtigten Wünschen nachdrücklich Gehör zu verschaffen. Aber schließlich haben sie verstanden. Belassen wir es dabei." Gavri hatte noch viele Fragen, aber Schwester Gerechter Zorn machte nicht den Eindruck, dass sie weiter über das Thema sprechen wollte.

Glocken ertönten, dass Zeichen für den Aufbruch. Sie liefen als letzte die Gangway hoch, die direkt hinter ihnen hochgezogen wurde. Gavri kam an den Posten, bestehend aus Nonnen und mit Lasergewehren bewaffneten Silberrücken im Schleusenbereich vorbei und zeigte die Tätowierungen auf ihrem Handrücken, welche ihre Fahrkarte für diese Pilgerreise zum heiligen Terra waren.

"Der Imperator sei gepriesen! Ich dachte, du wärst tot, Gavri Pilgerstochter! Oder bist du ein Geist, der gekommen ist, um einen alten Mann zu erschrecken?" begrüßte sie Hauptmann Gorogin von den Silberrücken lächelnd, ein uralter Mann mit einem weißen Vollbart, der ihm bis zum Gürtel reichte und einen Großteil seiner prächtig dekorierten roten Uniform bedeckte. Er trug den hohen mit Fell bekleideten Helm seines alten Regiments und genoss den allgemeinen Respekt von Passagieren und Besatzung, da er ein umsichtiger, aber doch konsequenter Mann war und die Silberrücken schon seit über einem Jahrzehnt erfolgreich führte. Seine blauen Augen waren klar und in seinem Mund steckte immer eine Pfeife, angeblich sein Glücksbringer. Bewaffnet war er mit einem ornamentierten Energieschwert und einer mit goldenen Totenköpfen verzierten Boltpistole, welche seit Jahrhunderten von Hauptmann zu Hauptmann der Schiffswache weiter gereicht worden war. Auf der Scheide des Energieschwertes waren auf kleinen Elfenbeinplättchen die ehrenvollen Namen aller bisherigen Träger vermerkt. Gavri kannte ihn als geliebten Freund und geschätzten Kameraden ihres verstorbenen Großvaters, der einst auch als Silberrücken hier seinen Dienst getan hatte. Ab und zu besuchte sie den Hauptmann in seiner Kabine, lauschte seinen spannenden Geschichten von seinen ruhmreichen Abenteuern an der Seite ihres Großvaters im aufreibenden Dienst der glorreichen Imperialen Armee des heiligen Imperators, genauer gesagt des 7. Coelia und beobachtete die Rauchkringel seiner Pfeife, wie sie hoch zum Lüftungsgitter schwebten. Im Laufe der Jahre hatte sie die Erfahrung gemacht, dass die Geschichten immer fantastischer wurden. Als sie noch ein Kleinkind gewesen war, war es noch eine Killerdose der Grünhäute gewesen, welche der Hauptmann einst mit einer gut gezielten Sprenggranate durch den Sichtschlitz gesprengt hatte. Inzwischen war aus der Killerdose ein Turmhoher Titan geworden.

"Der Imperator schützt! Nein, Großväterchen, ich lebe, war alles nur halb so schlimm", wiegelte Gavri ab, die unbedingt in nächster Zeit eine glaubwürdige Geschichte brauchte. Auf dem langen Weg zu ihrem Quartier hoffte sie, sich eine halbwegs nachvollziehbare und glaubhafte Geschichte ausdenken zu können.

"Es war eine schöne Totenmesse, die wir für dich abgehalten haben."

"Davon habe ich schon gehört", meinte Gavri etwas verkniffen, als ob es ihre Schuld wäre, dass sie noch lebte. Der Hauptmann schlug ihr lachend auf die Schulter.

"Du musst mir unbedingt von deinen Abenteuern erzählen."

"Das werde ich, Großväterchen." Obwohl das Mädchen den Hauptmann sehr mochte, war sie froh, als sie weiter gehen konnte.

Hinter der Gangway lag die mit Schleusen versehene Empfangshalle des Schiffes, deren Wände mit Bildern von wundersamen Taten des Imperators geschmückt waren. Wo sich die gotischen Bögen an der Decke trafen, hing ein gewaltiger, vergoldeter Kronleuchter herunter, dessen Kerzen für flackerndes Licht sorgten. Ein geflügelter Cherubim umschwirrte stetig den Leuchter und wechselte die abgebrannten Kerzen gegen neue aus. Hier, am tiefsten Punkt des Schiffes, wurden neue Pilger empfangen und die Gebühren der Überfahrt ausgehandelt. Hinter Stehpulten füllten niederrangige Kleriker Pergamente mit Passagierakten aus und das Kratzen der Thermofederkiele und das mechanische Klacken der Tasten von Cogitatoren erfüllte den Raum. Einige Neuankömmlinge standen mit ihrem Gepäck etwas verloren herum, warteten darauf, eine Kabine oder Koje zugewiesen zu bekommen.

Dahinter ging es durch ein Druckschott eine kolossale Treppe nach oben, welche die große Haupttreppe genannt wurde, die sich bis in den höchsten Klosterbereich fortsetzte und zu jedem Stockwerk einen Zugang hatte. Die eiserne Treppe wand sich einen viereckigen Schacht nach oben. Im Zentrum des Schachtes ragte der Fahrstuhlschacht in Form einer runden Säule hoch, verbunden mit dem Schiff durch unzählige Brücken. Der Fahrstuhl war für die Passagiere des A bis C Decks und die Besatzung vorbehalten. An den Wänden des Treppenschachtes zogen sich von innen beleuchtete Glasbilder mit der heiligen Imperatorgeschichte entlang. Die ersten Bilder zeigten sein heiliges Werk auf Terra während des Zeitalters des Weltenbrandes, wie er die Menschen der Erde einigte und mit seinem wirken den Weltenbrand beendete. Dann, wie er in Begleitung seiner neun heiligen Primarchensöhne zu dem großen Kreuzzug aufbrach, um die Galaxie der Menschheit unter seiner heiligen Herrschaft als alleiniger Gottimperator zu einen.

"Lüge!" Dieser Gedanke durchfuhr sie schmerzhaft und sie blieb abrupt stehen. Jadon und Saphira zogen an ihren Armen und schauten sie irritiert an. Sie selbst war auch verunsichert, was hatte sie gerade gedacht? Natürlich war der Imperator mit seinen Primarchen von Terra aufgebrochen, um das Imperium zu errichten, so stand es doch in den heiligen Schriften. Gavri lächelte ihren kleinen Schützlingen beruhigend zu und beeilte sich, zu Schwester Gerechter Zorn aufzuschließen.

Ihr ganzes Leben lang war sie fast täglich diese Treppe hoch oder runter gelaufen, aber zum ersten mal schien sie die eigentlich recht kitschigen Bilder wirklich bewusst wahrzunehmen. Und was sie sah, erfüllte sie mit einer unerklärlichen Mischung aus Entsetzen, Ekel und Empörung über soviel Ignoranz, Verlogenheit und Blasphemie. Früher war sie mit großer Freude und Demut die Geschichte der Gründung des Imperiums entlang gelaufen. Hatte die farbenfrohen Bilder betrachtet und die heiligen Textpassagen darunter gelesen. Dann kam ein gewaltiges überdimensionales Bild, wie der aufrecht stehende Imperator Horus, der in Form einer gehörnten Schlange dargestellt wurde, mit seinem Schwert tötete. Der gefallene engelsgleiche Sanguinius zu seinen Füßen liegend.

"Dabei war doch Horus so ein gut aussehender Mann, ganz sein Vater!" Wieder ein Gedanke, der ihr vollkommen unverständlich war. Der gar nicht von ihr zu stammen schien. Dieser Abschnitt war wichtig, da der Imperator das Böse überwand und so die Menschheit von Horus, dem tückischen Verräter, befreite. Diese scheinheilige Kreatur hatte sich die Freundschaft des Imperators erschlichen und ihn hinterrücks in seinem Palast auf Terra angegriffen. Aber seine treuen Söhne waren an die Seite des Imperators geeilt und gemeinsam vernichteten sie Horus und schlugen dessen acht Spießgesellen, eine groteske Parodie auf die einzig wahren Söhne des Gottimperators, in die Flucht, um sie für alle Zeit im Ocularis Terribus einzukerkern. So stand es in den heiligen Schriften und die waren über jeden Zweifel erhaben.

Gekrönt wurde das Ganze von der Darstellung eines auf dem goldenen Thron sitzenden, lebenden Imperators, der milde lächelnd seine segnende Hand erhob, während die andere sich auf sein noch von Horus Blut verschmiertes Schwert stützte. Hinter seinem goldenen Thron ragte eine grell leuchtende Lichtsäule auf. Das Licht, dass man das Astronomican nannte, welches den Raumschiffen des Imperiums den Weg wies und dessen Leuchtkraft die Grenzen des Imperiums definierte, wie jedes Schulkind nachdrücklich eingetrichtert bekam. Die Armlehnen des goldenen Thrones bildeten die Flügel eines Engels, dessen Körper die Frontseite des Throns schmückte, der sich auf ein flammendes Schwert stützte. Darunter stand eingemeißelt: "Ein Imperium für die Menschheit, geschützt, gesegnet und geeint durch den einzig wahren Glauben an einen göttlichen lebendigen Imperator". Dieses Bild war das größte und am besten ausgearbeitete des Bilderzyklus.

Tausendmal war sie an dem Bild aus buntem Glas vorbei gelaufen, tausendmal hatte sie sich von der Darstellung des lebendigen Imperators beschützt gefühlt. Jetzt kam nur eine Woge von nie gekanntem Zorn über dieses Abbild in ihr hoch. Für einen kurzen Augenblick verkrampfte sie sich und ihre Kleinen schrien erschreckt auf. Sie konnte sich dieses intensive Gefühl nicht erklären, zeigte das Bild doch nichts anderes als die ultimative und unverrückbare Wahrheit. Was war nur heute los mit ihr? Wahrscheinlich nur die Belastung durch ihr herum Irren in der Gruft. Und der Verlust der Erinnerung der letzten sieben Tage. Da durfte man schon etwas durch den Wind sein.

"Was ist mit dir?" Schwester Gerechter Zorn sah sie mit einer Mischung aus Irritation und Sorge an.

"Ich weiß es nicht!" Ihre Stimme war seltsam rau, gar nicht wie ihre eigene. Dann kamen die Tränen. Ob als Versuch von dem gerade geschehenen abzulenken oder weil sie einfach das Bedürfnis zu weinen hatte, war ihr nicht klar. Schwester Gerechter Zorn legte ihr tröstend die Arme um die Schultern und zog sie zu sich her. Gavri empfand eine solche Geborgenheit, wie sie diese noch nie zuvor empfunden hatte.

"Lass es nur raus, begrabe den Schmerz und die Angst nicht in dir. Es ist gut, nun bist du wieder in Sicherheit. Alles ist gut." Die Nonne redete beruhigend auf sie ein, strich ihr zärtlich tröstend wie eine Mutter über den Kopf. Normalerweise war Schwester Gerechter Zorn eine unbarmherzige Drillnonne, die von ihren Schülern nichts weniger als vollständige Hingabe an ihre strengen Lektionen verlangte. Nur wenige genügten ihren hohen Ansprüchen, aber da Schwester Gerechter Zorn als die beste Lehrmeisterin des Schiffes galt, gab es immer genug Aspiranten, die sich ihrem erbarmungslosen Regiment aussetzten, nur um dann oft nach wenigen Lektionen ausgemustert zu werden oder freiwillig zu gehen. Gavri war schon recht lange in der Gruppe von Gerechter Zorn. Ein Umstand, auf den das Mädchen sehr stolz war.

"Geht es wieder?" fragte die Schwester, nachdem Gavris Tränen versiegt waren.

"Ja, alles in Ordnung. Ich bin nur so froh, wieder hier zu sein." Und das kam aus ihrem innersten Herzen. Sie gab dem Zerren ihrer kleinen Schutzbefohlenen nach und wollte weiter laufen.

"Warte!" Der harte Befehlston lies Gavri erstarren. "Ihr zwei, wartet dort oben auf uns." Ohne Widerworte lösten sich ihre beiden kleinen Schutzbefohlenen von ihr und beeilten sich auf die von Schwester Gerechter Zorn angegebene Position zu kommen. Ihre Lehrmeisterin konnte sehr streng sein und genoss den Respekt ihrer Schutzbefohlenen nicht ohne Grund. Die Treppe war gerade in diesem Bereich menschenleer.

"Mit dir stimmt doch was nicht!" Der unbarmherzige Blick aus dem verbliebenen Auge der Nonne schien ihre Seele zu sezieren.

"Mir geht es wirklich gut!" stotterte das Mädchen.

"Hat einer dieser Kleriker dich angefasst?"

"Was?"

"Dich am Gesäß berührt. Oder an du weißt schon!" Gavri merkte, wie ihr Mund offen stand, so baff war sie über diese Frage.

"Nein, dass hat keiner getan."

"Hat einer dir beim umziehen zu gesehen?"

"Nein, was sollen diese Fragen?"

"Ich trau diesen frömmelnden Pfaffen auf diesem Planeten nicht. Das hat mir eine Frau gegeben, die ich vor der Kathedrale getroffen habe." Schwester Gerechter Zorn zog aus einer Tasche ein zusammengefaltetes Stück hochwertigen Papiers, wie es auf hochentwickelten Planeten statt Pergament verwendet wurde. Darauf war das farbige Bild eines jungen Mädchens mit sehr heller Haut, klaren blauen Augen und Goldglänzendem Haar, dass sie offen von einem Reif gehalten trug. Es sah schmächtig und schüchtern aus. Im aller ersten Moment hatte Gavri geglaubt, dass Bild würde sie mit einer anderen Frisur zeigen, die Ähnlichkeit war frappierend. "Vermisst!" stand in großen gotischen Lettern darüber. Darunter: Abigail Talmun, seit 105 994.M41 im Areal der Imperatorkathedrale verschwunden. Es folgte eine kurze Beschreibung des Mädchens zur Ergänzung des Bildes, dann das Versprechen auf eine Belohnung, falls jemand etwas wusste, was zur Auffindung des Mädchens beitrug und eine Kontaktnummer für das hier ansässige Televidnetzwerk.

"Und? Ich verstehe nicht, was das mit mir zu tun hat."

"Sie sieht dir ähnlich. Und da wir keinerlei Spur von dir gefunden haben, da habe ich mir schon so meine Gedanken gemacht. Auch, dass die dort Anfangs gar nicht helfen wollten."

"Ich verstehe immer noch nicht." Gavri hatte keine Ahnung, worauf Schwester Gerechter Zorn hinaus wollte. Die Nonne sah sie ein weiteres mal prüfend an und entspannte sich dann sichtlich.

"Das ist auch gut so, dass du das nicht verstehst. Nun komm, deine beiden Kleinen platzen sonst noch vor Ungeduld." Gavri zuckte hilflos mit den Schultern und folgte der Nonne, froh sich nicht weiter erklären zu müssen. Auch wenn das Mädchen sich beim besten Willen sich nicht das Gebaren der Nonne erklären konnte. Ihre kleinen Schutzbefohlenen hängten sich buchstäblich wieder an sie und gemeinsam betraten sie das D Deck, dass Dreckdeck, ihre Heimat.

Im D Deck kam man direkt am Schnittpunkt zwischen den Quartieren der Pilger und dem großen Saal heraus, in dem die tägliche Mahlzeit eingenommen wurde. Hier stand der so genannte Ort der Schande, eine Art Pranger. Die Gesetze an Bord waren hart und für die meisten Verfehlungen gab es die Prügelstrafe. Je nach Schwere des Vergehens und Alter des Delinquenten wurde entweder der leichte Stock, die Peitsche oder die Geißel genommen. Auch die Anzahl der Schläge variierte von minimal fünf bis zu vielen Tausend, die natürlich nicht auf einmal vollstreckt wurden, sondern über Monate hinweg. Nach der Bestrafung, die auf dem so genannten Bock stattfand, einem Gestell, worauf der Sünder gefesselt wurde, stellte man den Übeltäter am Ort der Schande zur Schau. Ihre gefesselten Hände wurden an Deckenhaken und Ketten so fixiert, dass die Verbrecher gerade so mit den Zehenspitzen den Boden berühren konnten. Um den Hals hingen dann Schilder an schweren eisernen Ketten, auf welchen das Verbrechen stand, dessen sie vom Zuchtmeister Weißkopf für Schuldig befunden worden waren. Bei Schwerverbrechern befestigte man die Schilder mit Fleischerhaken an der Brust. Servoschädel mit Lautsprechern flogen auf und ab und sangen dabei Hymnen und Gebote der Ekklesiarchie, damit die Sünder in ihrer körperlichen Läuterung auch gleichzeitig die notwendige Seelische erfuhren. Die Wände in diesem Bereich waren mit Gesetzestexten und Paragraphen der Schiffsordnung eng beschrieben. Als Spaltentrenner dienten die Schädel all jener, die im Laufe der Jahrhunderte auf dem Schiff hingerichtet worden waren, für Verbrechen, denen die Prügelstrafe nicht gerecht wurde, oder die diese nicht überlebt hatten.

Auf diesem Deck herrschte qualvolles Gedränge. Jede Koje war belegt, manche sogar mehrfach, so dass die Pilger in Schichten schliefen oder sich mehrere Kinder eine teilen mussten. Alles machte hier einen abgewohnten und schmutzigen Eindruck. Ruß aus offenen Kochfeuern, deren Rauch über die Lüftungsschächte abzog, bedeckte die Decken und Wände. Viele Pilger nahmen zu der täglichen pampigen Mahlzeit noch eine selbst gekochte Mahlzeit mit einem heimattypischen Gericht ein. Deswegen stank es in den Gängen und Kabinen nicht nur nach Schweiß ungewaschener Körper, Urin, Kot und Blut, sondern auch nach exotischen Gewürzen und beißendem Rauch. Einige hielten sich auch Kleintiere, wie Hühner, Schweine und Ziegen. Einmal hatte ein Passagier sogar versucht, sich ein Grox zu halten, den er als Jungtier an Bord schmuggeln konnte. Irgendwann war die Echse aber zu groß geworden, war völlig panisch durch das Schiff gestürmt und hatte für viel Aufregung gesorgt, bis es von Hauptmann Gorogin erschossen worden war. Der Möchtegernzüchter bekam seine gerechte Strafe auf dem Bock in Form von hundert Hieben mit der Geißel, welche Zuchtmeister Weißkopf persönlich vollstreckte. Leider konnte der Pilger nichts mehr daraus lernen, da er noch während der Bestrafung verstarb.

Ein nur im Nachtzyklus nachlassenden Stimmgewirr verschiedenster Dialekte sorgte für ein stetiges, lautes Hintergrundgeräusch. Mütter schrien nach ihren lärmenden Kindern, Ehepaare stritten sich, hier und da waren auch die typischen Geräusche zu hören, wenn ein verheiratetes Pärchen sich eben nur durch einen dünnen Vorhang vor der Koje von der Außenwelt getrennt gerade paarte. Manche Pilger hatten Musikabspielgeräte verschiedenster Bauart dabei und traktierten ihre Mitreisenden mit den seltsamsten Musikrichtungen. Einige musizierten sogar selbst und benutzten dafür so ziemlich jedes Denkbare Instrument, von primitiven Trommeln, einfachen Flöten, Zupfinstrumenten jeder Größe und Art über wirklich kunstvolle Tasteninstrumente, die so groß wie Schränke waren.

Oft fühlten sich einige Pilger dazu berufen, auf Kisten im Gang stehend, ihre Ansicht über einzelne Kapitel der Imperatorgeschichte, Heiligengeschichten und die der großen Reformatoren wie Thor oder Dolan wider zu geben. Besonders die Geschichten über Heilige konnten regional sehr stark abweichen und die meisten Pilger waren sehr fanatisch in ihren Ansichten. Auch wurde oft handfest darüber diskutiert, ob der Imperator schon als Gott geboren worden war oder er erst bei der Vernichtung des Bösen in Form des schlangengleichen Horus zum Gott wurde. Es konnte schon mal vorkommen, dass über ein Streitgespräch über kleinste Nuancen eine ernsthafte Auseinandersetzung zustande kommen konnte, in der reichlich Blut floss und es durchaus zu Toten kommen konnte. Das D Deck war für den Aufenthalt von maximal sechstausendvierhundertachtzig Pilgern ausgelegt, aber in Wahrheit tummelten sich hier knapp Zehntausend herum. Die meisten reisten in Familienverbände und hatten Kinder im verschiedensten Alter dabei.

Gavri hatte ihr Quartier im äußersten Bereich des D Decks, also der Ort, der am weitesten vom Speiseraum entfernt war. Koje D 15 B 4 2. Das D Stand für das Deck, Die 15 Stand für das Segment, B für die Großkabine in diesem Segment, in dessen vierten Raum ihre Koje Nummer zwei lag. Dieser Raum maß genau drei auf drei auf drei Meter, beherbergte sechs Kojen und einen fest eingebauten Schrank aus Metall. Sechs dieser Kabinen teilten sich einen drei mal neun Meter langen Aufenthaltsraum, der mit weiteren Schränken, Tischen und Stühlen fast vollständig zugestellt war. Von der Decke hingen Bündel mit den Haben von Pilgern. Der Raum 15 war sozusagen ein Waisenhaus. Hier lebten die Kinder, deren Eltern während der Reise gestorben waren. Viele Pilger hatten die Reise für sich für die ganze Länge im Voraus bezahlt und so erbten die Kinder, die oft erst später auf der Reise geboren worden waren, die Passage der Eltern. In Raum vier hauste sie mit ihren zwölf Schützlingen, also sechs Kojen für Dreizehn Personen. In anderen Räumen hausten sogar noch mehr Kinder.

Was dieses Quartier ganz besonders schlecht machte, selbst für D Deck Verhältnisse, war der Umstand, dass über der Kabine ein Wasserrohr verlief, das Wasser von den Außentanks ins Innere leitete. Das Wasser war in den Außentanks nur knapp über dem Gefrierpunkt, wenn es nun durch das durch die Luft des D Decks aufgeheizte Rohr lief, bildete sich an der Außenseite Kondenswasser, das auf das Kabinendach tropfte und das hatte sich im Laufe der Jahre durchgefressen, sodass es immer feucht war. Überall war Schimmel und Rost, kein besonders gesundes Klima.

Obwohl das Mädchen nun seit zwei Jahren, seit ihr Vater im heiligen Krieg gefallen war, hier lebte, fiel ihr zum ersten mal dieser entsetzliche Zustand der Kabine richtig auf. Wie hatte sie das nur bisher einfach hinnehmen können? Aber bevor sie weiter über den desolaten Zustand ihrer Lebensverhältnisse nachsinnen konnte, musste sie sich erst mal um ihre Kleinen kümmern. Ihre Gruppe begrüßte sie stürmisch und sie musste viele tränennasse Wangen küssen, bis die Kleinen sich beruhigt hatten. Irgendwie beglückte es Gavri, dass ihre Schutzbefohlenen sich so über ihre Rückkehr freuten. Alle erzählten ihr, wie sie um ihre Rettung gebetet hatten. Und wie schön die Totenfeier gewesen war, die für sie abgehalten worden war. Und wie froh sie waren, dass sie nun nicht in Havilahs Gruppe mussten. Havilah war zwei Jahre älter als Gavri und die strengste der sechs Erzieherinnen, die eigentlich selbst noch Kinder waren. Die kleinste Verfehlung wurde bei ihr sofort mit aller erlaubten Härte bestraft, so dass ihre Schützlinge immer mit blutigen Striemen und Hämatomen bedeckt waren.

Dann musste Gavri ausführlich erzählen, was ihr widerfahren war. Die Pilgerin hatte sich inzwischen einen halbwegs nachvollziehbaren Schluss ausgedacht. Den Raum mit den vielen seltsamen Fragen klammerte sie auch komplett aus. "Ich irrte dann schließlich völlig orientierungslos durch die ganzen Gänge. Von den Wänden lief Wasser, was ich aufleckte. Ununterbrochen bat ich den Gottimperator um Führung und verzagte nicht in der drückenden Dunkelheit. Er gab mir die Kraft durchzuhalten und leitete mich nach einer halben Ewigkeit zu einem Ausgang. Ich habe das dann einem der Verantwortlichen gezeigt und zur Belohnung, dass ich diese alten Krypten wieder entdeckt habe, bekam ich diese Sachen geschenkt. Der Imperator sei gepriesen." Es war nur gut, dass sie gleich abhoben, so konnte niemand von ihr verlangen, diese geheimnisvollen Krypten gezeigt zu bekommen.

"Irgendwie komisch, mich lässt man nicht nach unten, weil ein Inquisitor die tiefen Grüfte versiegelt hat. Aber du bekommst ein Belohnung dafür, einen Weg dorthin zu finden? Und was hast du eigentlich Schönes dafür bekommen?" Bevor Gavri es verhindern konnte, hatte Schwester Gerechter Zorn den Rucksack geöffnet und mit einem überaus überraschten Gesichtsausdruck zog die Schwester den ganz oben liegenden Gegenstand heraus, sodass alle sehen konnten, was sie in der Hand hielt. Gavri wünschte, ihre Lehrmeisterin hätte das nicht getan, denn sofort fingen ihre Kleinen laut zu kreischen an, als diese realisierten, was die Nonne da in der Hand hielt.

][

"Bonbons!" kreischten ihre kleinen Racker so laut, dass Gavris Ohren klingelten und man sie bestimmt noch auf dem A Deck hören konnte. Es gab kein Halten mehr, bevor sie die Packung nicht gerecht unter ihren Waisenkindern aufgeteilt hatte. Es waren noch weitere Packungen von Süßigkeiten zu sehen, aber auch einen Zylinder aus Messing, wie er für zusammengerollte Pergamente benutzt wurde. Ungeniert öffnete die Nonne den Zylinder und zog eine Pergamentrolle heraus. Mit gerunzelter Stirn las die Schwester das Pergament durch. Es war Gavri unangenehm, dass ihre Lehrmeisterin so dreist in dem seltsamen Rucksack herumwühlte. Aber wenn sie etwas dagegen sagte, machte sie sich nur noch mehr verdächtiger. Dabei war die junge Pilgerin sich noch nicht mal sicher, was sie verbarg. Aber die Wahrheit wollte sie auch nicht erzählen. Sieben verlorene Tage, dass klang auch nicht wirklich Glaubwürdig. Und es warf weitere unangenehme Fragen auf, was sie so lange nur getrieben hatte und warum sie sich nicht erinnern konnte.

"Beim Thron! Sieht so aus, als wäre deine Geschichte wahr. Tut mir Leid, dass ich Zweifel hatte. Aber du hättest ja auch gleich das Dokument zeigen können." Die Nonne gab ihr das Pergament. Es war eine reich verzierte Urkunde, der Seitenrahmen war sorgfältig mit einem Rankenmuster und blauen Blüten verziert. Der Text bestand aus kunstvoll verschlungenen hochgotischen Worten. Es war ein Dankesschreiben, gerichtet an Gavri Pilgerstochter, in dem für die Wiederentdeckung uralter, längst verschollener Gruftbereiche außerhalb des gesperrten Bereichs gedankt wurde. Die Unterschrift des Kardinals Zadok VIII war von zwei Säulen des Adeptus Ministorum aus Blattgold umrahmt. Daneben war ein Siegel mit einem Dankesgebetspruchband angebracht.

"Daran habe ich jetzt gar nicht gedacht", meinte Gavri äußerst irritiert. Sie hatte sich diese Geschichte gerade ausgedacht und hier hatte sie einen Beweis, dass ihre Erfindung stimmte. Oder hatte sie unbewusst die Wahrheit gesagt? Aber dann müsste sie sich doch daran erinnern, es war zum verrückt werden.

"Und warum hast du dann nicht einfach über Televid angerufen oder eine Nachricht geschickt? Wir haben uns alle schreckliche Sorgen gemacht."

"Äh…" Gavri versuchte verzweifelt sich eine sinnige Ausrede auszudenken.

"Lass mich raten, diese Kleriker wollten die Gebühren dafür sparen?" Ohne sie zur Antwort kommen zu lassen fuhr die Schwester fort. "Natürlich, diese elendigen geizigen Pfaffen, genug Geld um Türen vergolden zu lassen, aber nicht genug, um eine verloren gegangene Pilgerin bei ihren Leuten anrufen zu lassen. Wenn wir nicht bald starten würden, dann…." Schwester Gerechter Zorn lies ihre Handknöchel so laut knacken, dass nicht nur Gavri Angst und Bange wurde. Dies war einer der Momente, wo sie jedem unmissverständlich klar machte, dass die Schwester ihren Namen zu Recht trug und Gavri hoffte, niemals in den Fokus ihres Zorns zu geraten. Aber wenigstens unterlies es die Nonne, tiefer in den großen Rucksack herum zu wühlen. Über diesen Umstand war Gavri aus einem ihr nicht bekannten Grund ganz froh.

"Ich sehe dich dann morgen beim Training, wir sollten dringend an deinem Gleichgewichtssinn arbeiten, da sind wohl ein paar Lektionen auf dem Balken fällig. Und etwas Stärketraining könnte auch nichts Schaden. Verdirb dir nicht den Magen von den ganzen Süßigkeiten."

"Bis Morgen, Schwester Gerechter Zorn. Und Danke!" Die Nonne trat noch mal auf sie zu und presse sie an sich. "Und tu mir so was nie wieder an? Ja?"

"Ich verspreche es, ich fall in keine Schächte mehr. In Zukunft werde ich mich absichern." Die Nonne drückte ihr einen Kuss auf die Lippen, tätschelte ihren Kopf und ging. Es tat ihr innerlich weh, die Nonne so anlügen zu müssen. Aber was hätte sie sagen sollen? Die Wahrheit? Die kannte sie ja noch nicht mal selbst.

Auch andere Pilger die sie etwas besser kannte, waren froh, Gavri zu sehen und sie musste ihre Geschichte ein Dutzend mal erzählen. Und so langsam begann sie diese selbst zu glauben. Nur Havilah machte einige überaus gehässige Bemerkungen in ihre Richtung. Sie mochten sich nicht und würden sich nie mögen. "Schade, dass du blöde ***** dort unten nicht verreckt bist. War ja auch zu schön um wahr zu sein", murmelte Havilah so leise, dass nur sie es gerade noch verstehen konnte. Was hatte die brünette Havilah nur gegen sie?

"Liebe Gemeinde! Seid gesegnet! Hier spricht Pontifex Astral Nadab. Ich heiße euch alle wieder an Bord willkommen. Besonders ein herzliches gesegnetes Willkommen für unsere neue Gäste. Ich vertraue darauf, dass ihr liebe gläubige Gemeinde, die neuen Pilger uneingeschränkt in unserer interstellaren Gemeinde herzlich willkommen heißen werdet. Die Startsequenz wird in einer Viertelstunde eingeleitet, wir werden um 16.00 Uhr Bordzeit starten. Um 18.00 Uhr wird der Dankesgottesdienst in der Kathedrale über den geglückten Start stattfinden. Ich bitte um vollständige Teilnahme. Möge der gnädige Gottimperator auf Terra seine schützende Hand auch in dieser Stunde über uns halten. Ich gebe nun an Kapitän Le Grange weiter."

"Hier spricht ihr Kapitän Le Grange. Der Imperator sei gepriesen. Ich heiße alle neuen Passagiere an Bord ebenfalls willkommen. Wir starten in knapp fünfzehn Minuten. Bitte verstauen sie ihr Gepäck in den Schränken und sichern sie bitte alles. Die Schotten werden zur Sicherheit in zehn Minuten verschlossen. Bitte begeben sie sich nun in ihre Kabinen. Schnallen sie sich in ihrer Koje an und verlassen diese nicht, bis die Freigabe erteilt ist. Der Imperator schützt!" Eine hektische Aktivität setzte ein. Der Großteil aller Gegenstände war immer gut verstaut, da auch während des normalen Fluges es immer zu Turbulenzen kommen konnte, wenn einer der Schwerkraftgeneratoren ausfiel oder ein Stabilisator wegkippte. Gavri stopfte zuerst ihr seltsames Gepäck in ihren persönlichen Stauraum am Fuße ihrer Koje, dann half sie den anderen, alles bewegliche zu verstauen oder zu sichern. Danach gurtete sie ihre kleinen Schutzbefohlenen in ihre Kojen an, so gut wie es eben ging, da manche der Kleinen sich einen Gurt teilen mussten.

"Startsequenz wird in einer Minute eingeläutet. Jeder Passagier hat sich jetzt anzuschnallen. Die Riten des Starts sind eingeleitet. Der Imperator in seiner Inkarnation als Omnissiah sei gepriesen. Möge sein gütiges Auge auf uns ruhen und er nun seine schützende Hand über uns halten. So sei es!" Gavri legte sich in ihre Koje, gurtete sich an und stimmte mit in die über die Lautsprecher übertragene Liturgie des Starts ein. Glocken begannen zu läuten, ein zittern durchlief das Schiff, als die drei unteren Starttriebwerke ansprangen. Die Vibrationen verstärkten sich, als nach etwa einer halben Minute die Triebwerke auf Betriebstemperatur waren und der Schub sich stetig erhöhte. Die Neigung veränderte sich unmerklich und Gavri wusste, dass sie nun abgehoben hatten.

Die Triebwerke erhöhten den Schub, die kleinen sekundären Antriebsdüsen fielen in den infernalischen Chor ein, der langsam lauter wurde, dass sogar die geschriene Liturgie des Starts kaum noch zu verstehen war. Gavri hatte schon dutzende von erfolgreichen Abflügen von Planeten hinter sich, aber dies war immer der kritischste Augenblick einer Reise. Wenn etwas wirklich schlimmes passieren konnte, dann meist in den ersten Minuten des Starts. Deswegen betete sie von ganzem Herzen, dass der Imperator auch jetzt seinen wohlwollenden Blick auf das Pilgerschiff richtete und mit seinen beschützenden Händen sie durch die gefährliche Startfrequenz lotste.

Die Neigung verstärkte sich immer stärker, bis sie etwas dreißig Grad betrug, dann gab es einen mächtigen Schlag ins Kreuz, als das Haupttriebwerk aufbrüllte und jedes andere Geräusch verschluckte. Rost rieselte von der oberen Koje auf Gavri herab. Aus früheren Abflügen und Gesprächen mit Matrosen wusste Gavri, dass sie jetzt mindestens zehntausend Meter über dem Boden waren und sich über unbesiedeltes Gelände befanden. Der Schub dieses Haupttriebwerks war durchaus in der Lage schwächere Strukturen am Boden selbst aus dieser Höhe zu beschädigen. Von der Lärmbelästigung ganz zu schweigen. Einen kurzen Moment wurde sie in ihre durchgelegene Matratze gepresst, dann setzten die Andruckabsorber ein und stellten wieder die Standardgravitation her.

Das infernalische Dröhnen der Triebwerke lies nach, ebenso die starken Vibrationen. Langsam aber sicher konnte man wieder das knacken, knirschen und stöhnen des Maschinengeistes des Schiffes vernehmen, welcher sich so über die Belastung des Startes beschwerte. Jetzt setzte auch die Liturgie der Besänftigung ein, damit der Maschinengeist sich beruhigte und nicht wütend wurde. Ein wütender Maschinengeist eines Raumschiffes konnte viele grausame Dinge mit seinen Passagieren anstellen. Schon ein kleiner Druckabfall oder eine ausgefallene Luftaufbereitungsanlage konnte tausende Gemeindemitglieder zu einem Qualvollen Tod verurteilen. Deswegen war es auch kein Wunder, dass ausnahmslos jeder Pilger in die Liturgie der Besänftigung mit aller Inbrunst einstimmte. Einige ihrer Schutzbefohlenen weinten, obwohl es ihr das Herz zerriss, konnte sie diese Kinder jetzt nicht trösten. Die Vibrationen wurden deutlich weniger und der Krach sank zu dem typischen Hintergrundgeräusch herab, wie er im freien Raum zwischen den Sternen üblich war.

"Unser Dank an den Imperator in der Inkarnation des Omnissiah, er hat uns wahrlich beschützt. Hier spricht Kapitän Le Grange. Wir haben so eben die Atmosphäre von Ghersom IV verlassen und nehmen Kurs auf unseren Absprungpunkt, den wir in Neunundsechzig Stunden erreichen werden. Die Startsequenz ist damit erfolgreich abgeschlossen. Der Imperator sei gepriesen. Alle Passagiere haben nun die Erlaubnis, ihre Plätze zu verlassen. Die Schotts dürfen wieder geöffnet werden, unser Druck ist in allen Sektionen stabil. Alle Matrosen begeben sich nun auf ihren Gang der Besänftigung, sprecht die Liturgien mit ganzem Glauben und führt den Ritus korrekt aus. Rapport in einer Stunde. Ich wünsche allen einen angenehmen Flug. Der Imperator schützt! Ende und Aus!" Gavri schnallte sich ab und schaute, ob alle ihre Waisen den Abflug gut überstanden hatten. Es sah so aus, hier und da musste sie jemanden trösten, aber alle waren bald wieder wohlauf. Besonders da sie noch ein Tüte mit Bonbons verteilte.

Als der Nachtzyklus begann, konnte das Mädchen sich endlich wegschleichen. Gavri hatte in den Weiten des Unterdecks einen kleinen Raum entdeckt, von dem sie nie jemand erzähl hatte. Dorthin zog Gavri sich zurück, wenn sie einmal alleine sein wollte. Und das wollte sie jetzt unbedingt, wenn sie den ominösen Rucksack und das Bündel näher untersuchte. Wer wusste schon, was sie darin noch alles fand? Für Bonbons allein war er einfach zu schwer. Der Raum war nur durch einen schmalen Lüftungsschacht erreichbar, da dessen eigentliche Türe von der anderen Seite mit einem inzwischen fest verschweißten Schrank für Ersatzteile zugestellt war. Als erstes packte sie das Bündel aus, dass mit einem dicken Seil verknotet war, so dass sie es über der Schulter hatte tragen können. Heraus kam schließlich ein Schwert, genauer gesagt ein Anderthalbhänder. Die Parierstangen waren in der Form von Engelsflügeln gehalten. Die Scheide war einfach und bestand aus schmuckloses Metall. Warum hatte sie ein Schwert? Wer hatte ihr, ein halbes Kind noch, eine solche Waffe gegeben? Oder hatte sie die irgendwo gestohlen? Aber warum?

Trotz aller unbeantworteter Fragen überaus neugierig zog sie das Schwert aus der Scheide. Die Klinge war lang und damasziert. Sie lag gut in der Hand, nicht zu leicht, nicht zu schwer. Und nach wenigen Herzschlägen zuckten kleine blaue Flammen über die gerade Klinge und der Griff vibrierte leicht. Der Raum wurde in ein sanftes blaues Leuchten getaucht. Ehrfurchtsvoll und auch ein wenig ängstlich starrte sie auf die Waffe, die sehr wertvoll sein musste. Wenn die gestohlen war, würde ihr Besitzer alles Mögliche tun, um dieses Schwert zurück zu bekommen. Gavri prüfte die Schärfe der Klinge, in dem sie eine Haarsträhne darauf fallen lies, das in zwei Hälften geteilt wurde, bevor die Hälften in Rauch aufgingen. Auf der Klinge stand in alten gotischen Buchstaben "Ausgleicher". Vorsichtig steckte Gavri Waffe zurück in die Scheide. Dann wickelte sie die Waffe wieder ein und versteckte sie in einem der Schränke.

Dann öffnete sie den Rucksack, der mehrere in feine Tücher eingehüllte Bündel neben den oben liegenden Tüten mit Bonbons und Süßigkeiten enthielt. Das erste was das Mädchen auspackte war eine reich verzierte Holzschatulle. Gavri öffnete sie und sah eine filigrane Laserpistole, die sehr elegant wirkte. Eine Waffe, wie ein Schmuckstück gefertigt. Die Energiezelle war aufgeladen, wie eine Ladungsanzeige in Grün verriet. Sie nahm die Waffe in die Hand und sie hatte das Gefühl, dass diese Waffe für sie gemacht war. Fast perfekt lag sie in der Hand und wenn sie ausgewachsen war, würde sie vollendet in der Hand liegen, da war sie sich aus irgendeinem Grund sicher. In der Schatulle lagen mehrere Ersatzmagazine, etwas Werkzeug und die Schatulle schien auch über die Funktion zu verfügen, die Energiezellen in den Fächern wieder aufladen zu können, da sie noch ein kurzes Kabel mit Stecker fand, dass man ausziehen konnte.

Gavri kannte sich theoretisch mit Laserpistolen aus, da sie die schon auseinander nehmen und reinigen hatte dürfen. Abgeschossen hatte sie noch nie eine. Aber einmal mit einer Trainingswaffe schießen dürfen, die nur harmlose Lichtimpulse von sich gab. Gerade stark genug um die Oberfläche einer Papierscheibe anzusengen. Ins Auge sollte man so einen Strahl aber trotzdem nicht bekommen, deswegen war es auch streng verboten, diese Trainingsgeräte auf eine lebende Person zu richten. Die vor ihr liegende Pistole war keines der normalen Modelle, die viel klobiger, größer und schwerer waren. Auch hatte sie weder ein Reinheitssiegel, noch war sie mit einem Gebetsband versehen, welche den Maschinengeist gnädig stimmte. Und wieder stellte sich ihr die Frage, woher hatte sie diese Waffe? Und warum? Sie versorgte die gut eingewickelte Schatulle in einem anderen Schrankfach.

Das nächste Paket enthielt ein kunstvolles Datablock, dessen goldenes Gehäuse leicht angelaufen war. Datablocks waren recht verbreitet und dienten auf dem Schiff oft dazu, um wertvolle Bücher zu speichern. Sie aktivierte es und drückte sie durch die Menüs. Es nach einer gewissen Zeit wurde ihr bewusst, dass sie bis zu einem bestimmten Grad zu wissen schien, wie dieses Datablock funktionierte, obwohl sie so dieses Gerät noch nie berührt hatte. Sie wurde auf das Stirnband aufmerksam, welches im Bündel mit gelegen hatte und setzte es auf. Auf dem Stirnband waren in der Innenseite blanke Kontakte angebracht, damit konnte sie die Daten aus dem Datengerät direkt in ihr Gehirn einspielen. Jedenfalls wusste sie das aus irgend einem Grund. So eine Technologie hatte sie noch nie gesehen und musste unglaublich teuer sein.

In schneller Folge arbeitete sie sich durch die Daten, wenn sie meist auch nur die Überschrift der Datei las. Die Themen waren mannigfaltig, Wissenschaft, Wirtschaft, Berichte von Schlachten, der Verlauf von Feldzügen. Dazu interne Analysen, Berichte, Daten, die teilweise deutlich als geheim oder klassifiziert eingestuft waren. Und das war nur die Spitze des Eisberges. Komplette Baupläne von unterschiedlichsten Geräten waren gespeichert, mit dessen Bezeichnungen sie überhaupt nichts anfangen konnte, geschweige den Zweck davon erraten konnte. Nach einem Logverzeichnis waren die neusten Daten innerhalb der letzten Tage eingespielt worden, davor in einem halbjährlichen Rhythmus, der sich nur um wenige Tage variierte. Und das über Jahrtausende lang. Wer tat so was mit solch einer Ausgiebigkeit über Jahrtausende? Wie war so etwas nur möglich?

Vorsichtig packte sie das Gerät wieder ein. Wer hatte ihr nur diese unglaublich wertvollen Dinge gegeben? Oder hatte sie diese gar gestohlen? Sie versuchte sich zu erinnern, was war hinter der Türe mit ihr passiert war. Was hatte sie diese ganzen Tage lang nur gemacht? Sie schloss die Augen, lies die letzten Ereignisse Revue passieren. Aber da war nichts. Rein gar nichts. Ganze sieben Tage hatte sie verloren, eine komplette Woche ohne Erinnerung. Als sich Kopfschmerzen einstellten, gab Gavri erst mal auf. Das letzte an was sie sich erinnern konnte, war, wie sich die Tür geöffnet hatte. Was dahinter war, lag im Dunkeln. Ihre Erinnerung setzte erst wieder auf Landeplattform ein. Das war erschreckend, wurde sie wahnsinnig? Nach einer gewissen Zeit beruhigte sie sich wieder und beschloss erst mal die anderen Sachen in Augenschein zu nehmen. Vielleicht gab es noch was, dass ihr Aufschluss gab.

Das nächste Paket führte eine schwere Kassette und einen Geldbeutel zu Tage. Die Kassette bestand aus einem schweren Metall, Alderstein & Meldorn stand in goldenen Lettern auf dem Deckel. Das war ein großes Bankhaus, dass sehr viele Fialen zu haben schien. Auf jedem Planeten wo sie bisher war, hatte es eine Niederlassung gegeben. Ihre Gebäude waren meist sehr hoch und der Schriftzug stand auf dem Dach weit sichtbar. Die Kassette war verschlossen, hatte aber auch kein Schloss, so wie sie es kannte. An einer Seite war ein kleines Gitter angebracht, wie die, welche empfindliche Mikrophone bedeckten. "Öffne dich!" Nichts passierte. Sie probierte einige dutzend ihr Sinnige Wörter, aber nichts passierte. Mit einem Schulterzucken legte sie die Kassette erst mal zur Seite.

Gavri sah in den Geldbeutel und ihr stockte der Atem. Sie sah jede Menge Imperiale Credits vor sich liegen, teilweise in Nennwerten, die jenseits der geistigen Gesundheit lagen. Die konnten nicht echt sein, dass gab es einfach nicht. "Beim goldenen Thron! Was hat das zu bedeuten? Woher kommt das nur? Was ist mit mir passiert? Was ist mit mir nur passiert?" Träumte sie? War dies alles nur ein gemeiner Scherz? Sie kniff sich und es tat weh, sie träumte nicht, das war Real. Sie war unermesslich reich. Mit zitternden Händen legte Gavri Kassette und Beutel wieder in das Tuch und sah was sonst noch darin war. Als nächstes förderte sie eine Art blaue Uniform zu Tage, die einfach geschnitten, aber sehr schwer war. An der Schulter befanden sich als einziger Schmuck goldene Epauletten. Als Symbol oder Rangabzeichen trugen sie einen sechseckigen Stern, mit einem Kreuz in der Mitte, umgeben von einem Dreiviertelkreis. Das Symbol hatte sie schon mal gesehen. Genau, es war auf dem Tuch gewesen, dass sie in der Gruft mit den Engeln gefunden hatte.

Sie zog die Uniform an, aber sie passte nicht besonders gut, da sie zu groß geschnitten war. Als letztes zog sie die dazu gehörigen Stiefel an, auch die waren ihr zu groß. Noch zu groß. Wenn sie ausgewachsen war, würde sie perfekt passen, auch das wusste sie irgend wo her. Die Handschuhe schlossen mit dem Anzug ab und ihr wurde klar, dass diese Uniform ein sehr leichter Raumanzug sein musste. Ein Multifunktionsarmband war in dem Anzug eingearbeitet und sie probierte verschiedene Tasten aus. Eine klare Haube stülpte sich über ihren Kopf und gotische Symbole leuchteten vor ihren Augen auf. Darauf konnte sie ablesen, welche Temperatur hier herrschte, wie schnell ihr Herz schlug und noch viele andere Sachen, mit denen sie nichts anfangen konnte.

Ganz unten im Rucksack befand sich noch eine Armschiene, auf der ein metallener Ring im Durchmesser eines Esstellers befestigt war. Sie schnallte sich die Armschiene an, die genau so passte, dass das Bedienfeld des Multifunktionsarmbands frei blieb. Das Gerät schien mit ihrem Anzug kommunizieren zu können, denn weitere Statusanzeigen tauchten auf. Das schien ein Schildgenerator zu sein, jedenfalls stand das über der obersten Statusanzeige. Allerdings verstand sie nicht, wie sie ihn aktiveren sollte, da er über keinerlei Bedienmöglichkeiten zu verfügen schien. Nach kurzem Überlegen packte sie ihr Datablock wieder aus, führte dass in die Beintasche des Anzuges, wo es genau hinein passte und legte das Stirnband an, welches sie in eine Buchse am Kragen einstöpselte. "Energiefeld ein!" dachte sie und tatsächlich baute sich eine flimmernde Glocke um sie herum auf. Die ganzen Komponenten waren nun ein Teil von ihr. Sie probierte verschiedene Sachen aus und war überwältigt von den Möglichkeiten, welche der Anzug und sein ganzes Zubehör ihr bot. Probehalber nahm sie die Pistole in die Hand und wusste augenblicklich, wo sie genau treffen würde, wie viel Energie die Waffe hatte, wie weit das Ziel, also die nächste Wand, entfernt war. Mit kurzen Gedankenbefehlen konnte sie die Stärke der Waffe regulieren. Auch mit dem Schwert konnte sie eine Verbindung aufbauen, nachdem sie es in die Hand genommen hatte. Allerdings wurde ihr der Zugriff verweigert. Das Schwert schien also mehr zu können, als nur blau zu leuchten.

In einer langen Seitentasche des Rucksacks förderte sie ein seltsames Messer zu Tage. Es bestand aus einem Material, dass sie nicht kannte und hatte eine seltsame verdrehte Form. Rein Instinktiv ordnete sie es als eine verbotene Xenoswaffe ein. Das passte jetzt gar nicht zu den anderen Gegenständen. Als letztes fand sich in einer anderen Seitentasche die schöne Taschenlampe aus der Gruft, die immer noch leuchten konnte. Sie packte alles wieder ordentlich ein.

Als nächstes überprüfte die Taschen ihres Kleides und förderte einige kleinere Creditstücke und Schekel zu Tage. Dann eine Eintrittskarte zu einem Ort namens "Seidenschleier", die Karte diente auch als Gutschein für ein alkoholisches Getränk, stand jedenfalls auf der Karte. Im Hintergrund der Schriftzüge räkelte sich eine gemalte unbekleidete junge Frau auf einem roten Liegesofa. Sie konnte mit dieser Karte absolut nichts anfangen und legte sie zur Seite. Als nächstes kam eine Rechnung über zwei Eisbecher zu Tage. Aha? Sie hatte wohl mindestens einen Eisbecher gegessen und konnte sich nicht daran erinnern! Sie zog einen Schmollmund. Und mit wem hatte sie den gegessen? Dann förderte sie eine Quittung von einem Tabakladen zu Tage, über eine Packung Lho-Stäbchen. Sie rauchte doch gar nicht, auch wenn ihr Kleid leicht danach muffelte. Dann eine Quittung über die Mietung eines Luxusgleiters für sieben volle Tage samt zweier Piloten. Sie erinnerte sich an den Gleiter, der hinter ihr abgehoben hatte. Und so was hatte sie gemietet? Was sollte sie nur von alldem nur halten? Wer hatte ihr diese unglaublich wertvollen Dinge nur gegeben? Und was sollte sie damit nur anstellen? Sie stand vor einem großen Rätsel und wusste nicht, was sie von alldem halten sollte. Außer das in ihr die Angst hochkroch, mehr als nur diese unglaublichen Sachen aus der Gruft mitgebracht zu haben.

bearbeitet von Nakago
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Vielen Dank für das Lob! Heute mal ein etwas längerer Text. Viel Spaß auch weiterhin mit der Story.

Kapitel III

Position:

Imperium

Segmentum Pacificus

Pilgerschiff "Gesegnete Erlösung der wahren Gläubigen"

Zeit: 2 245 996.M41

Person: Gavri Pilgerstochter

Sie sah auf einem hohen Hügel stehend in den strahlenden Sonnenaufgang einer gelben Sonne, keine Wolke trübte den klaren Himmel, wo gerade die Sterne der Nacht erloschen. Das Land unter ihr war karg, von der Sonne verbranntes Gras. Im Osten konnte sie einen großen See erkennen, zwei Städte waren zu sehen, eine davon lag direkt am See, die andere weiter im Innenland. Es waren primitive Städte, alle Gebäude, aus luftgetrockneten Lehmziegeln bestehend, hatten nur ein Erdgeschoss, die Straßen ungepflastert, die Stadtmauern nicht mehr als aufgeschüttete Wälle. Es gab einige mühsam bewässerte Gärten. Hirten, die kleine Herden auf verödete Weiden trieben. Das frühmorgendliche Leben erwachte gerade in den Städten. Mütter jagten ihre Kinder aus den Schlaflagern zu ihren Pflichten. Sie sah auf die Höhe der Sonne und wusste, dass es nun Zeit war. Sie zog ihr flammendes Schwert aus der Scheide. Die Zeit des Tötens war gekommen.

Gavri schreckte auf, knallte wie üblich gegen den Schaumstoff, den sie an die Decke ihrer Koje angebracht hatte und federte zurück auf ihr Kissen. Es war nicht der erste Traum dieser Art, aus dem sie abrupt aufschreckte. Ihr Körper bebte und war nassgeschwitzt. Ihr Blick suchte die Leuchtziffern ihres neuen mechanischen Chronos, es war kurz vor dem Ende des Nachtzyklus. Saphira lag wie ein Kätzchen zusammengerollt zu ihren Füßen, schlief aber weiter. Die anhängliche Kleine schlich sich immer wieder zu ihr in die Koje, wenn Gavri eingeschlafen war.

In letzter Zeit hatte sie diesen seltsamen Traum schon öfter gehabt. Ein anderer war, wie sie durch unendliche Labyrinthe aus Korridoren und Hallen irrte, gefüllt mit Mutanten und gewaltigen Kämpfern in schweren Rüstungen, die sie auf ihrer Suche allesamt erschlug. Manche Irrgänge enthielten auch nur mechanische Absonderlichkeiten, mit vielen scharfen Klingen und äußerst bizarren Waffen. Oder Träume von epischen Schlachten, riesige Maschinen ließen die Oberfläche von Planeten erbeben, gewaltige Armeen prallten im infernalischen Chaos der Schlacht aufeinander und der Tod hielt reichlich Ernte. Oder sie kämpfte gegen Wesen, die wirklich in einen Albtraum passten und hoffentlich niemals Realität werden würden.

Auf den Tag genau waren nun zwei Jahre seit den seltsamen Ereignissen vergangen. Noch immer wusste Gavri nicht, was in den sieben verlorenen Tagen passiert war. Nur, dass sie weitere Minuten, teilweise Stunden verloren hatte, an die sie keinerlei Erinnerung hatte. Bald nach ihrer wundersamen Rückkehr hatte das angefangen und in den letzten Monaten wurden diese Momente immer zahlreicher. War es früher nur einmal alle paar Wochen gewesen, wurde daraus schließlich einmal in der Woche. Inzwischen passierte es fast jeden Tag, dass es Momente gab, in denen sie einfach nicht wusste, was sie gerade getan hatte oder was sie hier eigentlich wollte. Wurde sie wahnsinnig? Hatte sie etwas aus der Gruft mitgebracht, dass niemals dort hätte raus dürfen? Und wie war sie überhaupt dort heraus gekommen? Fragen, auf die sie keine Antworten hatte. Fragen, die sie nie jemandem stellen durfte, wollte sie nicht im vernichtenden Feuer der Inquisition enden.

Vier weitere Planeten hatten die Pilger besucht. Vom letzten, dem ehrwürdigen Chiros, der Heimatwelt des heiligen Konfessors Dolan, waren sie erst vor drei Tagen gestartet. War sie früher Tiefgläubig gewesen, hegte sie jeden Tag mehr Zweifel am imperialen Glauben. Viele der Rituale erschienen ihr unnötig grausam und blutig. Früher hatte sie Stolz ihre eingebrannten Buchstaben mit der Bitte um Erlösung getragen und hatte sich sogar gefreut, als sie mit acht Jahren endlich gebrandmarkt worden war. Es war eine religiöse Verzückung gewesen, als Buchstabe um Buchstabe die Bitte um Erlösung an den Gottimperator der da war auf Terra auf seinem Goldenen Thron für Ewig in die Haut ihres Rückens eingebrannt worden war, begleitet von inbrünstigen Gebeten und aufpeitschenden Gesängen, welche den brennenden Schmerz in heilige Verzückung transformierten. Jetzt ekelten sie diese Zeremonien nur noch an, wenn einem Kind das angetan wurde, egal ob es damit nun wider besserem Wissens einverstanden war oder nicht. Oder die Selbstgeißelungen mit Geißeln, die manchmal Widerhaken an den Enden hatten und stark blutende Wunden und später tiefe Narben hinterließen. Manche geißelten sich ekstatisch bis zur Bewusstlosigkeit und manchmal bis zum Tod. Hatte sie früher freudig mitgemacht, auf den erlösenden Schmerz gehofft, der sie von ihren Sünden und Unzulänglichkeiten befreite, denn das Gebet läuterte den Geist, der Schmerz den unreinen Körper, drückte sie sich inzwischen vor diesen Zeremonien. Das waren alles Auswüchse, die so nicht toleriert werden durften, aber doch als Ideal auf diesem Deck galten. Und auch sonst so in vielen Erlösergemeinden mehr oder weniger im Imperium im Namen des Gottimperators praktiziert wurden.

Die letzten zwei Jahre waren wie im Flug vergangen. Es schien, als würde sie seitdem alles bewusster wahrnehmen. Hatte sie früher alles als gegeben akzeptiert, versuchte sie nun Dinge zu ändern, wenn sie dazu in der Lage war. Sie hatte den desolaten Zustand dieses Bereiches beendet, allein indem sie sich darüber Gedanken gemacht hatte, wie sie verhindern konnte, dass unablässig Kondenswasser durch die Kabine tropfte und alles rosten oder schimmeln lies. Sie kaufte eine Plane, hing sie unter das Rohr, setzte am tiefsten Punkte eine Öffnung, in dem sie einen Schlauch mit einem Filter steckte, der das Wasser in eine Kanne lenkte, und so hatte sie auch immer Trinkwasser für ihre Kinder. Dann hatte sie sich entsprechendes Werkzeug von den Matrosen der Instandsetzung geliehen, hatte den ganzen Schimmel entfernt, den Rost abgekratzt, Teile der maroden Decke ersetzen lassen, das ganze verspachtelt und dann mit blauer Farbe gestrichen. Mit bunten Farben hatten ihre Kleinen dann Fische dazu gepinselt, sodass das Ganze wie ein Aquarium wirkte. Auch hatte sie für alle Kojen des Waisenhauses neue Matratzen, Laken und Decken von ihrem Geld besorgt. Minimaler Aufwand, große Verbesserung der Lebensumstände.

Auch das die gemeine Havilah nicht mehr bei den Erzieherinnen war, hatte einiges an Lebensqualität gebracht. Da dieses Mädchen das älteste der Erzieherinnen war, hatte sie gemeint, dass sie das Recht hatte, auch in anderen Gruppen mitreden zu dürfen. Der üppig gebaute Brünette hatte es überhaupt nicht gefallen, dass Gavri soviel änderte und auch andere Mädchen dazu brachte, die Probleme mit ihren Schutzbefohlenen erst mal in aller Ruhe zu bereden und nicht so lange drauf zu schlagen, bis das Problem vor Schmerz aus der Welt war wie es Havilah schon mehrmals praktiziert hatte. Schon kurz nach ihrer Rückkehr hatte sie die Lage zugespitzt, als Havilah die Renovierungsarbeiten verbieten wollte. Gavri hatte sogar zu Vater Medad müssen, der theoretisch für die Waisenbetreuung zuständig war, aber sich selten persönlich um seinen eigentlichen Arbeitsbereich kümmerte. An das Gespräch hatte sie keinerlei Erinnerung, aber danach war Havilah als zu alt eingestuft worden und hatte eine Dienststelle als Müllsammlerin bekommen, die niedrigste Arbeit auf dem Schiff. Nur Latrinendienst war noch mieser, aber das machten nur Missetäter als Buße.

Die Schiffsglocken hallten dreimal durch das Schiff, der Weckruf. Zeit für das Morgengebet. Leben kam in die Kojen um sie herum und sie begann mit dem morgendlichen Gebet, sie war die Vorsprecherin, die Kinder sprachen ihr nach. Hatte sie früher dieses Gebet mit heiligem Eifer zelebriert, kamen ihr die Verse des Rituals nur noch wie leere Worthülsen vor. Sie fand im Gebet keinen Glauben, keine Erlösung, keinen Trost. Ketzerische Gedanken quälten sie stattdessen, weil sie den Glauben an den Imperator bei sich hinterfragte. Sie konnte es sich nur so erklären, dass diese Bewusstseinsänderung mit den Erlebnissen in der Gruft zu tun haben musste. Nicht mal in ihren Träumen kamen Visionen davon aus ihrem Unterbewusstsein hoch.

Nachdem die letzten Worte verklungen waren, scheuchte sie ihre Schutzbefohlenen aus dem Bett, brachte Ordnung in den wuselnden Haufen und schaffte es, als eine der Ersten mit ihrer Gruppe den Hygieneraum zu betreten. Da es nur einen Raum in diesem Bereich gab und es keine wirkliche Geschlechtertrennung oder einen Sichtschutz gab, waren Zeiten vorgeschrieben, wo entweder nur Frauen oder nur Männer die Räume betreten durften. Eine laut tickende mechanische Uhr zeigte jeweils das Geschlecht an, das gerade Einlass bekam. Bei Kindern bis zu sieben Jahren gab es keine Trennung. Das Wasser war kalt und mit rostigen Partikeln durchsetzt, aber mehr war auf dem D Deck nicht zu bekommen. Und man musste schon froh sein, dass überhaupt Wasser aus den Hähnen floss. Sie achtete darauf, dass ihre Kleinen sich alle die Zähne putzten, sich das Gesicht wuschen und ihren Körper wenigstens oberflächlich an den Stellen reinigten, wo sie verschwitzt waren.

Dann richteten sie gemeinsam ihren Tisch und das Frühstück aus Brot und Wasser. Das Brot war zwar hart, aber wenigstens nicht verschimmelt. Natürlich dankten sie vorher dem Imperator und der Ekklesiarchie für diese üppige Mahlzeit. Jadon und zwei andere Jungen unterhielten sich mit vollem Mund über den Film, den sie gestern ihren Kleinen spendiert hatte. In einem der kleinen Kinos des Schiffes war "Die Helden von Höhe 495" gezeigt worden. Dort hatte ein Rekrutenzug der planetaren Verteidigungsstreitkräfte von Boonhaven eine ganze Orkhorde samt dem Waaghboss vernichtet. Am Ende waren bis auf einen Rekruten alle als Märtyrer gefallen. Der Film war ein einziges Gemetzel gewesen, Welle auf Welle von Grünhäuten, zu Fuß oder mit Fahrzeugen, war gegen die Höhe angestürmt und im peitschendem Lasergewitter oder vernichtendem Trommelfeuer gefallen. Gavri und die Mädchen ihrer Gruppe hatten sich gelangweilt, die Jungs der Gruppe waren jetzt noch Feuer und Flamme und waren zu der Erkenntnis gelangt, dass sie unbedingt in die Imperiale Armee mussten, um ebenfalls Grünhäute in Massen sterben zu lassen. Der einzige praktikable Weg, wie man mit Xenos zu verfahren hatte.

"Wenn ich sechzehn bin, gehe ich zur Imperialen Armee und töte Millionen von Grünhäuten!" verkündete Jadon im Brustton vollster Überzeugung, wie sie nur zehn Jahre alte Jungen haben können.

"Und ich werde ein Space Marine und töte noch mehr Grünhäute!" Saphira machte den Imperialen Adler vor ihrer Brust.

"Dumme Nuss! Mädchen können nämlich gar keine Space Marines werden. Die sind nämlich viel zu schwach und mickrig dazu", konterte Jadon mit vollem Mund.

"Gar nicht wahr! Oder Gavri?" Die Mädchen ihrer Gruppe schauten sie aus großen Augen fragend an.

"Jadon hat in dem Punkt recht, dass Mädchen wirklich keine Space Marines werden können. Aber er hat unrecht, wenn er Mädchen als klein und mickrig bezeichnet."

"Und warum können Mädchen keine Space Marines werden?"

"Weil der Imperator nur Neun Söhne hatte, davon stammen alle Space Marines ab." Das war das, was man in der Schule lernte, aber sie wusste, dass dies nicht der Wahrheit entsprach. Auch wenn sie nicht sagen konnte, was daran nun genau falsch war.

"Ja, die großen neun heiligen Pirmarchen! Der engelsgleiche Sanginius von den Blood Angels, der ritterliche Lion el Johnson von den Dark Angels, der ehrenhafte Roboute Guillaume von den Ultramarines, der listenreiche Jaghatai Khan von den White Scars, der edle Rogal Dorn von den Imperial Fists, der starke Vulkan von den Salamanders, der wilde Leman Russ von den Space Wolves, der trickreiche Corax von der Raven Guard und der eiserne Ferrus Manus von den Iron Hands!" zählte Jadon begeistert auf.

"Das ist gut Jadon! Wirklich gut! Ich sehe, bei Themen die dich interessieren, bleibt ab und zu mal was hängen." Jadon schaute sie an und man konnte ihm ansehen, dass er überlegte, ob das nun ein Lob oder ein Tadel war. Dann grinste er, da er ihre Worte für ein Lob hielt.

"Dann gehe ich halt auch zur Imperialen Armee und werde mehr Grünhäute platt hauen als du, Ätsch!" Saphira griff das ursprüngliche Thema wieder auf und streckte Jadon die Zunge heraus.

"Du bist dann immer noch ein mickriges Mädchen!"

"Gar nicht wahr! Gavri sagt nämlich, dass ich gar nicht mickrig bin!"

"Streitet euch nicht, Kinder, esst lieber auf, was die Gemeinde uns in ihrer unendlichen Güte gespendet hat."

Sie mussten sich beeilen, da die nächste Gruppe unter der rabenhaarigen Rhoda schon auf den Tisch wartete. Ihre Gruppe wusch gemeinsam das Geschirr in einem Eimer, trockneten es ab und stellte es in den Schrank zurück. Gavri las den Tagesablauf für diesen Tag durch.

5.00 Wecken, Morgengebete

5.05 Waschen und Ankleiden

5.15 Frühstück, Dankesgebet und Abwasch

5.45 Aufbruch zur Morgenmesse

6.00 Morgenmesse, Teilnahme am Chor

7.15 Körperertüchtigung und Kampftraining in verschiedenen Nahkampfdisziplinen bei Schwester Gerechter Zorn

9.30 Schule für ihre Schutzbefohlenen:

Heutige Fächer:

1 Stunde Lesungen über das Leben des Sebastian Thor,

1 Stunde Praktisch angewandte Mathematik,

1 Stunde Hochgotik,

1 Stunde Religionskunde, die Gebote 25 bis 36. Sie würde in der Zeit in der hintersten Reihe sitzend Bücher handschriftlich kopieren, da sie mit Vierzehn Jahren schon zu alt für die Schule galt.

13.30 Essen im großen Saal auf Deck 4

14.00 Dankesgebete

14.15 Arbeitsdienst, Reinigung der Lüftungsschächte auf dem C Deck, Sektionen 5 bis 8.

18.00 Abendmesse, Teilnahme am Chor

19.15 Anschließend Chorprobe für den nächsten Tag

20.00 Abendessen

20.30 Arbeitsdienst, gemeinschaftliches Kopieren heiliger Schriften in der Bibliothek

21.30 Freizeit

21.45 Waschen und Abendgebet

22.00 Nachtruhe

Glocken wurden zum Gottesdienst geläutet, es wurde Zeit aufzubrechen. Sie eilte mit ihren Schutzbefohlenen, die sie diszipliniert in einer Zweierreihe laufen lies, in die Hauptkathedrale Sankt Quaglia des Schiffes, die penetrant nach Weihrauch stank, um den Gestank der über zehntausend Gläubigen zu übertünchen, von denen manche sich das Gebot auferlegt hatten, sich erst wieder am Ziel ihrer Pilgerreise zu waschen. Die Kathedrale Sankt Quaglia bedeckte den größten oberen Teil des Schiffes. Sie war hundertfünfzig Meter lang und an der breitesten Stelle mit den Seitenschiffen fünfundsiebzig Meter breit. Im Kreuzungspunkt der Kirchenschiffe erhob sich auf einem Stufenförmigen Absatz der Altar. Über dem Altar erhob sich die Kanzel des obersten Predigers, des Pontifex Astral dieses Schiffes. Mehr als zehntausend Gläubige fasste diese Kathedrale. Zwei Emporen, auf denen weitere Gläubige aus den C und B Decks Platz hatten, waren an den hohen Wänden angebracht. An den Eckpunkten der Emporen waren steinerne Engel im Flug geformt, ihre Schwingen bildeten die Geländer der Emporen. Sie hielten mächtige Posaunen, in denen leistungsstarke Lautsprecher untergebracht waren.

Über dem Altar erhob sich hoch die Kuppel, in der sich die Schiffsbrücke und der Ausguck des Navigators befanden. Logen waren knapp unter der Kuppel befestigt worden, wo die privilegierte Brückenbesatzung den Gottesdienst verfolgen konnte. Servoschädel mit Lautsprechern, welche Gläubige mit Psalmen erquickten und geflügelte Cherubim mit qualmenden Weihrauchgefäßen in den Händen flitzten hektisch im Raum hin und her.

Beleuchtet wurde die Kathedrale der St. Quaglia von zehn mächtigen Kronleuchtern, auf denen unzählige Kerzen brannten. Die Kronleuchter waren gleichmäßig im Raum verteilt und jeder bestand aus einem anderen Material. Verarbeitet worden waren nur die edelsten Materialien wie Gold, Elektrum, Platin, Silber und andere wertvolle Edelmetalle. Einige Cherubim taten die ganze Zeit nichts anderes, als die makellosen Leuchter zu polieren, die abgebrannten Kerzen auszutauschen, Wachsflecken zu entfernen oder die neuen Kerzen wieder anzuzünden. Von den Kränzen der Leuchter hingen unzählige kleine Reliquien, wie in Kunststoff eingegossene Fingerknochen, Zähne und Knochensplitter von Märtyrern verschiedenster Welten und Epochen des Imperiums, herab. Oder auch Gebetsstreifen, Liturgiebänder und Glücksamulette.

Der Boden bestand aus mehreren bunten Mosaiken, deren bunte Steinchen von den Glasfenstern der Basilika St. Thor von der Welt Coronis Agaton stammten, die von Grünhäuten zerstört worden war. Die Scherben der zerborstenen Buntglasfenster waren gesammelt, in kleine gleichmäßige Stücke zerbrochen und als Mosaiksteinchen wieder verwendet worden. Vier mächtige Mosaikbilder bedeckten den Boden, das größte im südlichen Hauptschiff zeigte die Galaxis an den Grenzen des Imperiums. Hervorgehoben waren die heiligen Planeten, welche das Schiff auf seiner Route besuchte. So konnten Pilger den Pfad des Imperators abschreiten, in der Reihenfolge wie das Schiff die Systeme ansteuerte.

Das nördliche Mosaik zeigte die Welt Coronis Agaton, mit der Stadt Nordhafen im Zentrum. In dieser Stadt hatte die Basilika des St. Thor gestanden. Die Welt wurde von Gebetsbändern eingerahmt, auf denen dem Imperator für die Rettung der Stadt Nordhafen gedankt wurde. Dazu musste man wissen, dass vor knapp 850 Jahren eine gewaltige Orkinvasion die Welt Coronis Agaton heimgesucht hatte. Der Gouverneur rief um Hilfe und das Imperium schickte Dutzende von Regimentern, die sich zunächst vergeblich gegen die grüne Flut stemmten. Die Regimenter wurden zum Rückzug gezwungen und bald war Nordhafen die letzte Stadt im Besitz des Imperiums auf dem südlichen Kontinent von Coronis Agaton.

An die Basilika St. Thor war ein Hospital der Sororitas Hospitalerinnen angeschlossen und schon bald war die gesamte Basilika ein gewaltiges Verwundetenlager. Verteidigt wurde die Basilika von zehn greisen Kriegernonnen des Adeptus Sororitas, die als zu alt eingestuft worden waren, um aktiv noch im Feld kämpfen zu können. Es war ausgerechnet an Imperator Himmelfahrt, als die Orkhorde die äußeren Verteidigungsstellungen der Stadt durchbrach und die blutrünstige Meute in die, mit Flüchtlingen überfüllte, Stadt strömte. Auf ihrem Weg lag die Basilika. Die zehn verbliebenen Schwestern nahmen ihre heiligen Bolter auf und stellten sich der Grünen Flut entgegen. Hinter ihnen richteten sich die schwer verletzten Verwundeten und nur zum Sterben hergebrachten Soldaten des Imperiums auf, nahmen ihre Gewehre und bildeten eine undurchdringliche Schützenlinie. Kriegerbanden der Orks brandeten gegen die geheiligten Mauer, nur um von peitschenden Lasergewehrsalven getötet zu werden.

Immer mehr Grünhäute bestürmten die strategisch unwichtige Basilika, nur um im Lasergewitter zu vergehen, von Geschossen aus geheiligten Boltern niedergestreckt zu werden oder ihr verdientes Ende im feurigen Atem der Flammenwerfer zu finden. Das verschaffte den Verteidigern der Stadt die notwendige Zeit, einen Gegenangriff zu starten, der jedoch schon bald stecken blieb und zurückgeworfen wurde. Aber die Verteidiger der Basilika kämpften verbissen weiter, bereit, lieber zu sterben, als einer schmutzigen Grünhaut zu erlauben, den heiligen Ort zu entweihen, wo einst Sebastian Thor selbst gepredigt hatte. Ein Oberst des 7. Valhalla, der beide Beine, den linken Arm und ein Auge verloren hatte, lies sich an einen Sergeanten schnallen, der keine Arme mehr hatte. Aus seiner erhöhten Position koordinierte er die Verteidigung, streckte mit seiner Boltpistole Orks nieder, die es bis fast in die Kathedrale geschafft hatten.

Der südliche Turm wurde von einer Maschinengewehrstellung verteidigt, deren Schütze aller Sinne bis auf die zu hören beraubt worden war, als ein Flammenwerfer ihn in Brand setzte und sein Visier auf sein Gesicht schmolz. Seine Augen lieh ihm ein Soldat, der alle Glieder verloren hatte. Er wies den Schützen ein und gemeinsam töteten sie mehrere tausend Orks, während der Turm, auf dem sich ihr MG Nest befand, zerschossen wurde. Am Ende stand nur noch das Stück, wo sich die MG Stellung in den Stein krallte, denn die Hand des Imperators weilte schützend über ihnen und lies sie ihr heiliges Werk der Vernichtung verrichteten.

Verteidiger auf Verteidiger starb, ihre Waffen wurden von Flüchtlingen und Hospitalschwestern aufgehoben, welche verbissen weiter kämpften. Schließlich stand nur noch eine der Nonnen, ein Großteil der Basilika war durch massive Artillerietreffer eingestürzt und kaum noch ein Verteidiger war am Leben. Dann tauchte der Waaghboss persönlich auf. Groß wie ein Cybot der Space Marines, erfüllt von Wut und Kampfeslust. Er brüllte seine Herausforderung und die letzte der greisen Nonnen mit Namen Schwester Quaglia nahm an. Bewaffnet mit einem mächtigen Zweihänder, einer Reliquie aus uralter Zeit, stellte sie sich der wütenden Bestie ohne Furcht entgegen. Diese Szene zeigte das Mosaik im westlichen Seitenschiff. Die uralte Nonne stand mit hoch über den Kopf erhobenem Schwert auf einem Trümmerstück der Basilika, auf dem folgender Satz aus Sebastian Thors Predigten eingemeißelt war: "Ein einzelner Gläubiger kann über eine Legion Ungläubiger triumphieren". Das Zitat ging eigentlich noch weiter, aber mehr passte nicht auf das Trümmerstück. Darunter stapfte der Waaghboss heran, die eine Hand war eine gigantische Kralle, die andere hielt etwas, dass an die Kanone eines Panzers erinnerte. Es war ein überaus dynamisches Bild und wie jeder Gläubige wusste, zerteilte die Nonne ihn ein paar Sekunden später mit einem einzigen, mit der Kraft des Imperators geführten Hieb, sauber in zwei Hälften. Die Schwester Quaglia schritt erhobenen Hauptes zurück in die Basilika, um außer Sicht der Orks tot zusammen zu brechen. Später entfernte man aus ihrem Körper dreizehn großkalibrige Geschosse, welche sie im Laufe der vorgehenden Kämpfe um die Basilika abbekommen hatte, jedes einzelne wäre eigentlich sofort tödlich gewesen. Danach flohen die restlichen Orks panisch, verfolgt von der reorganisierten Imperialen Armee, um anschließend vor den Toren der Stadt bis auf die letzte Grünhaut niedergemacht zu werden. Auf gewaltigen Scheiterhaufen wurden die vernichteten Orks zu Asche verbrannt.

Siebzehn Verteidiger, darunter der Oberst, sein Träger und die beiden MG Schützen, hatten die Schlacht überlebt, jeder bekam den Stern von Terra verliehen, ein einmaliges Ereignis in der Geschichte der Imperialen Armee. Jeder dieser Helden war mit einem Mosaik im östlichen Kirchenschiff verewigt. Neben ihren Portraits zeigte eine Schrifttafel ihre Namen und Lebensdaten. Ausnahmslos alle von ihnen waren später im Dienst bei einer großen Heldentat gefallen und weilten nun an der Seite des Imperators. Welche zuvor ihre Glieder oder Sinne verloren hatten, waren mit den besten Bionics versorgt worden, welche das Adeptus Mechanicus zu bieten hatte. Die Portraits wurden von den Wappen und Namensbändern der an der Verteidigungsschlacht beteiligten Regimenter umrahmt. Darunter so berühmte Namen wie das 405. Cadia, 7. Valhalla und 34. Tallarn, oder vollständig unbekannte, wie 2. PVS Nordhafen, 1. Miliz Nordhafen, 3. Miliz Caledonia.

Schon am nächsten Tag begannen die Gläubigen die Trümmer der Basilika teilweise mit bloßen Händen weg zu räumen. Eine gewaltige Spendenbereitschaft versetzte die Gemeinde von Nordhafen in die Lage, die Basilika größer und schöner wieder aufzubauen. Dazu noch ein neues modernes Hospital, dass fortan nun den Namen St. Quaglia Hospital trug, denn die mutige Schwester war innerhalb kürzester Zeit heilig gesprochen worden, ihre neun Schwestern sprach man selig. Am Ende blieb noch eine gewaltige Summe an Spendengeldern übrig und der Dekan der Gemeinde beschloss, davon ein Pilgerschiff bauen zu lassen, um das ganze Imperium an ihrem Wunder teilhaben zu lassen. Eben die "Gesegnete Erlösung der wahren Gläubigen". In nur zwanzig Jahren wurde das Schiff gebaut und in die Kathedrale wurden nicht nur die Scherben der Buntglasfenster der Basilika als Mosaik eingebaut, sondern auch viele der ursprünglichen Steine fanden als Innenfassade wieder Verwendung. Auf ihrer ersten Reise brachte dieses Schiff ein Buch mit dem Namen der Verteidiger nach Terra, das dann dem Imperator vorgelesen wurde, die höchste Ehre, auf die ein Untertan des Imperiums hoffen durfte. Auch wurde das Herz von St. Quaglia in einer goldenen Kugel eingeschlossen in den Imperialen Palast gebracht und zu Füßen des Throns abgelegt, auf dass auch ihr Herz beim Imperator ruhte.

Mehrere der einhundertundacht Schreinnischen enthielten Reliquien der damaligen Schlacht. Im Ostflügel gab es einen brutal aussehenden Schrein, der aus Trophäensammlungen getöteter Orkanführer gebaut worden war. Siebzehn Bajonette aus Adamantium waren so arrangiert, als ob sie gerade auf den Schrein einstechen würden. Auf jedem Bajonett war der Name eines der Überlebenden graviert. Im westlichen Flügel gab es einen Reliquienschrein, der aus über zweitausend Bolterhülsen gefertigt worden war, welche die Nonnen bei der Verteidigung abgefeuert hatten. Jede Hülse war von einem anderen Künstler von Coronis Agaton individuell graviert worden. Die Hülsen umrahmten ein steinernes Weihwasserbecken, in dem die Schwestern ihre heißgeschossenen Bolter abgekühlt hatten. Ein anderer Schrein im Nordflügel enthielt den Helm von St. Quaglia, der aber immer hinter verschlossenen, goldbeschlagenen Türen ruhte. Nur zum Gedenkgottesdienst der Schlacht um die Basilika St. Thor an Imperator Himmelfahrt wurde der Schrank geöffnet und die Reliquie auf dem Altar präsentiert. Der Transport fand jeweils mit einer prächtigen Prozession statt, die über alle Balustraden führte, was natürlich ein großer Umweg war, aber die wenigen Meter vom Schrein zum Altar ließen den würdigen Rahmen einfach vermissen.

In den äußeren Wänden der Kirchenschiffe waren Runde Glasfenster angeracht. Das waren natürlich keine richtigen Fenster, da hinter ihnen der Stahl der Schiffshülle war. Das mächtigste Glasfenster im Nordschiff zeigte den doppelköpfigen Adler, welcher die Schlange Horus in seinen Schnäbeln und Klauen zerfetzte. Das Fenster im Osten zeigte den großen Reformator Sebastian Thor als noch jungen Ekklesiarchen, bekleidet mit einem einfachen weißen Gewand, als einziger Schmuck sein bescheidenes, silbernes Aquila auf der Brust. Das westliche zeigte den geschundenen Konfessor Dolan mit blutigem Oberkörper, der mit seinem Martyrium die Bucharis Häresie beendete. Das Fenster im Süden zeigte den stehenden Imperator, auf sein mächtiges Schwert gestützt. An seiner rechten Seite stand, stark verkleinert, die heilige Schwester St. Quaglia, wie sie wohl in jungen Jahren ausgesehen haben mochte, ebenfalls auf ein Schwert gestützt. Zur linken Seite stand der Dekan Lionus der St. Thor Basilika zu Coronis Agaton, welcher dieses Schiff hatte bauen lassen. Natürlich stützte er sich auch auf ein Schwert, was für einen Dekan eine recht merkwürdige Pose war.

Der Adel und die Betuchten hatten in den Seitenschiffen ihre eigenen Emporen, wobei die privilegierten Adligen sogar gepolsterte Sitze hatten, um die Messe zu verfolgen. Der Rest der Gläubigen hatte zu stehen. Gavri und ihre Schutzbefohlenen waren, wie alle halbwegs talentierten Waisen, Mitglieder des Kinderchors. Es gab vier Chöre, die jeder einen eigenen Platz auf der obersten Empore des Hauptschiffes hatten. Hier war auch die gewaltige Orgel untergebracht und bot sogar noch Platz für ein Orchester, welches erbauliche Stücke spielte.

Die Orgel spielte einen Eröffnungsakkord, dann sang der Kinderchor das erste Lied des Tages. Danach begrüßte der Pontifex Astral Nadab, ein spindeldürrer Mann jenseits der Sechzig mit einer viel zu großen Nase, seine Gemeinde und verlas die Namen heiliger Märtyrer und Heiliger, was meist das Gleiche war, die an diesem Tag einst für ihren Glauben, das Imperium und den Gottimperator gestorben waren. Dann sang der Frauenchor ein Trauerlied, um diesen Helden zu gedenken. Danach kam die eigentliche Morgenpredigt, diesmal ging Domherr Nadab auf den Märtyrertod ein. Das Fundament des Imperiums war auf dem Blut der Märtyrer errichtet und jetzt, in dieser wie immer schweren Stunde, wo die Imperiale Armee sich Heldenhaft gegen die Verräter, Ketzer und Xenos stemmte, war diese Opferbereitschaft mehr gefordert, denn je. Seit sie denken konnte, waren es schwere Stunden und die imperiale Armee schlug tapfer Aufstände und Revolten nieder, bekämpfte verbissen Xenos, verteidigte heldenhaft die Grenzen des galaxisweiten Imperiums vor schier übermächtigen inneren wie äußeren Bedrohungen.

Gavri verfolgte mit halbem Ohr die flammende Ansprache des Obersten Predigers des Schiffes und versuchte interessiert zu wirken. Aber ihre Gedanken schweiften immer wieder ab und sie folgte der Predigt nicht wirklich, mochte sie noch so einpeitschend sein. Sie hatte auch kein Auge für die wirklich prächtige Räumlichkeit, die mit Menschenknochen einstiger Pilger ausgekleidet war und in deren Nischen sich wertvolle goldverzierte Reliquienschreine von Heiligen aus dutzender besuchter Welten befanden. Ihre Gedanken drehten sich eher um sie selbst und was langsam aus ihr wurde. Das nahm alles bedenkliche Züge an.

Vor einem Jahr hatte sie angefangen, die Lehre der Ekklesiarchie in Frage zu stellen. Viele Passagen in den heiligen Schriften kamen ihr verdreht vor, falsch, nicht in sich schlüssig. Als wäre einst alles ganz anders gemeint gewesen, aber die Lehre im Laufe der Zeit einseitig zu Lasten des einfachen Gläubigen verändert worden sei. Der normale Mensch hatte nur zu glauben und zu geben, seine weltlichen Güter, sein Blut und letztendlich auch sein Leben. Das heilige Buch der Ekklesiarchie war in der ganzen Galaxis gleich aufgebaut. Das erste Drittel war die Imperatorgeschichte, also seine Geburt, sein Aufstieg zum Imperator von Terra, sein Kreuzzug und die Überwindung des Bösen in Form der Schlange Horus, für dessen Sieg er seinen sterblichen Körper opfern musste. Er saß nun für ewig auf dem goldenen Thron, erleuchtete die Galaxie mit seinem ewigen Licht und beschützte die Menschen seines Imperiums vor dem Bösen. Der heilige Senat herrschte nun in seinen Namen unter dem Vorsitz des Ekklesiarchen über Terra und das Imperium, den Willen des Imperators interpretierend und umsetzend.

Das zweite Drittel enthielt Psalmen, Gebote, Verbote und Pflichten der Gläubigen. Der Ritus der Gottesdienste wurde hier beschrieben und der Stand der einzelnen Menschen im Imperium definiert. Diese ersten beiden Abschnitte waren überall gleich, ein Buch vom westlichen Rand des Imperiums war identisch mit einem aus dem östlichen. Nur das letzte Drittel enthielt die regional genehmigten Abweichungen zum Ritus, band regionale Heilige oder zu Heiligen degradierte Götter in die Heilslehre ein. Oft gab es noch zusätzliche Bücher, wenn das letzte Drittel nicht ausreichte. Auf manchen Planeten, meist waren diese noch nicht so lange in der Familie des Imperiums, gab es das erste Buch gar nicht, sondern man hielt sich an die zusätzlichen, vom Ministorum abgesegneten, Bücher, die nur noch recht wenig mit der eigentlichen Imperatorgeschichte zu tun hatten. Diese Diözesen hatten meist die Auflage, ihren Ritus und Glauben im Laufe der Zeit an das erste Buch anzugleichen. Manchmal gab es im letzten Drittel des ersten Buches auch noch Abschnitte aus den Schriften des Sebastian Thor, des größten Ekklesiarchen, der jemals gelebt hatte. Der große Reformator, welcher das Imperium aus dem schrecklichen Zeitalter der Apostie geführt hatte, in welchem ein gar schrecklicher Usurpator den Willen des Gottimperators absichtlich missinterpretiert hatte.

Manches in der Imperatorgeschichte hörte sich für sie so unglaublich falsch an, als wüsste sie es aus irgendeinem Grund einfach besser. Sie hatte darüber mit der einzigen Erwachsenen geredet, die sie gut genug kannte, um so ein heikles, so ein todbringendes Thema zu erörtern, war doch Zweifel am Glaube gleichzusetzen mit Ketzerei. Mit Schwester Gerechter Zorn, die für eine Nonne ein recht umgänglicher Mensch war, besonders ihr gegenüber. Gavri sprach darüber, wie die Lehre sein sollte und was sie alles falsch fand. Während diesem Gespräch verlor sie wieder Zeit. Ihre fehlte eine komplette halbe Stunde, in der sie nicht wusste, was geschehen war. Das Verhalten von Gerechter Zorn ihr gegenüber war seitdem etwas reservierter, aber auch respektvoller.

Als sie sich das nächste mal mit Schwester Gerechter Zorn zu einem solchen Gespräch traf, waren weitere Nonnen aus dem kleinen Freundeskreis ihrer Lieblingsschwester anwesend und wieder verlor sie Zeit. Sie wagte nicht, die anderen zu fragen, was in der Zeit passiert war. Leise Zweifel an der Auslegung der Lehre zu haben und darüber zu debattieren war das eine, aber zuzugeben, nicht zu wissen, was man in der letzten Viertelstunde getan hatte, etwas ganz anderes. Wurde sie wahnsinnig? War sie verrückt? War sie etwa gar besessen? Darauf hatte sie keine Antworten.

Die Gespräche fanden in einem immer größeren Kreis statt. Einige ausgesuchte Pilger nahmen bald daran teil. Schon bald brauchten sie einen geeigneten Raum für ihre Zusammenkünfte, den sie in einer unverschlossen Lagerhalle im Unterdeck für Ersatzplatten für die Schiffsummantelung fanden. Alle drei Tage trafen sie sich und jedes mal wurden es mehr Zuhörer und die verlorene Zeit wurde immer größer. Eigentlich sollte dieser sehr gefährliche Gedankenaustausch in einem sehr kleinen Rahmen stattfinden und niemand sollte etwas darüber erzählen, aber mit jeder Zusammenkunft gab es trotzdem immer mehr Teilnehmer. Waren es zuerst nur Nonnen und Pilger des D Decks gewesen, kamen mit der Zeit auch Matrosen, ihre Angehörigen und sogar Pilger der höheren Decks hinzu. Auch ihre kleinen Schutzbefohlenen hatten irgendwann zu diesem Kreis gehört. Was sie da taten, war Ketzerei, sie stellten die Lehren in Frage, debattierten darüber, wie wohl die Gebote einst ausgesehen haben könnten und warum sie so strickt verändert worden waren. Ein Verbrechen, für das die Prügelstrafe nicht ausreichte, ein Verbrechen, das nur im Feuer gesühnt werden konnte. Im Büro des Zuchtmeisters Weißkopf gab es einen Rost, auf dem Ketzer verbrannt werden konnten und darauf wollte Gavri nicht enden.

Heute würden sie wieder eine Zusammenkunft haben. Und Gavri hatte Angst, dass diese Häresie bald auffliegen würde. Inzwischen gingen die Teilnehmer in die Hunderte und allein durch diese große Anzahl, musste doch das irgendwann den Glaubenswächtern auffallen. Die waren sicherlich nicht die hellsten, da sie eher nach körperlicher Größe und Stärke ausgesucht worden waren, aber so blöd waren die auch nicht. In der letzten Zusammenkunft waren sogar Pilger des A Decks anwesend gewesen. Und damit meinte sie nicht nur die Bediensteten, die dort wohnten, sondern Angehörige der imperialen Adelskaste. Sie hatte nur den Anfang und das Ende der Zusammenkunft mitbekommen. Als sie wieder da war, küsste gerade eine leibhaftige Tochter eines planetaren Gouverneurs ihre Hände und bat sie um ihren Segen. Gavri hatte geglaubt, sie müsste Ohnmächtig werden, hatte sich aber zusammengerissen und eine Segensformel gesprochen. Was tat sie nur in dieser Zeit?

Der Männerchor sang nun das Lied vom opferbereiten Märtyrer. Danach wurde ein Gebet gesprochen, in dem der Gottimperator angefleht wurde, den tapferen Truppen des heiligen Imperiums den verdienten Sieg zu schenken. Jetzt war wieder der Kinderchor dran und sie sangen ein Siegeslied über eine längst vergessene Schlacht. Danach wurden die Namen der Pilger verlesen, die seit gestern verstorben waren. Es waren nur zwei Namen, da es zu keinen Auseinandersetzungen gekommen war. Ein weiteres Trauerlied später, wurde daran erinnert, das es heute Nachmittag noch eine freiwillige Messe für einen herausragenden Heiligen geben würde und natürlich die tägliche Abendmesse. Der Gedanke des Tages wurde verlesen: Selbst ein Mensch der nichts besitzt, kann für das Imperium immer noch sein Leben geben. Der Satz wurde mehrmals immer lauter von der Gemeinde wiederholt. Zu guter Letzt sprach der Pontifex Astra Nadab sein Segen, die Gemeinde war entlassen, ihr heiliges Tagwerk zu beginnen, dann setzten Orgelmusik und die Glocken ein.

Gavri sorgte dafür, dass ihre Kinder wieder eine Reihe bildeten und schleuste sie durch das Gedränge in eine der Trainingshallen im Hauptdeck. Auch andere Kinder, nicht nur Waisen, hatten sich in der Halle versammelt und Gruppen nach Alter wurden gebildet. Nach einem Gebet, in welchem sie der Ekklesiarchie für ihre Großzügigkeit dankten, hier trainieren zu dürfen, fingen sie mit den Aufwärmübungen an. Danach begannen die eigentlichen Übungen, Unterweisungen und Trainingskämpfe.

Schwester Gerechter Zorn machte heute Morgen einen fröhlichen und beschwingten Eindruck, deswegen fingen die Aufwärmübungen vergleichsweise milde an. Fünfzig Liegestützen auf den geballten Fäusten, gefolgt von zweihundert Kniebeugen zum ausruhen, dann noch vierzig Klappmesser in sechzig Sekunden. Wer das nicht schaffte, durfte nochmal vierzig dran hängen. Nicht zur Strafe, nur zur Übung. Danach kamen dreißig Minuten lange verschiedene Kraftübungen, gefolgt von ein paar leichten Übungen am Balken, um den Gleichgewichtssinn etwas zu trainieren. Anschließend begannen individuelle Übungen.

Gavri übte gerade eine Kata mit einem Schwert, das in Form und Gewicht dem Schwert aus der Gruft glich. Diese Kata nannte man den unbarmherzigen Schlaghagel des Leman Russ. Eine recht brutale Abfolge kraftvoller Hiebe, die in kurzer Zeit auf ein Ziel niederhagelte. Die Drillnonne lies sie die Kata gerade zum vierundzwanzigsten Mal wiederholen, weil da mal ein Hieb nicht mit der notwendigen Stärke geführt wurde, da stimmte mal der Winkel um mindestens ein Grad nicht oder sie war etwas zu langsam, als ein Servoschädel in die Halle hinein geflogen kam und nach kurzem umsehen auf sie zugeschwebt kam.

"Gavri Pilgerstochter, folgen sie mir!" plärrte der Schädel durch einen Lautsprecher, den er anstelle eines Unterkiefers trug. Es kam öfters vor, dass sie gerufen wurde. Bis jetzt ging es meist um administrative Aufgaben in Bezug auf ihre Waisenkinder. Es konnte reine Routine sein, aber auch bedeuten, dass sie in argen Schwierigkeiten steckte. Sie legte ihr Übungsschwert in den Ständer und folgte mit einem mulmigen Gefühl dem Schädel, der sie in Richtung des vorderen Teil des Schiffes führte. Über die große Haupttreppe betraten sie den Bereich des Schiffes, welcher der Verwaltung der Ekklesiarchie vorbehalten war. Dies hier war ein Bereich verwinkelter Schreibstuben voller Schreiber, staubiger Bibliotheken und klackender Cogitatoren. Sie entspannte sich, als sie den gewohnten Weg erkannte, der zu Priester Medad führte, dem Verantwortlichen für die Verwaltung der Waisen auf dem Schiff. Blicken lies der sich in den eigentlichen Bereichen nie, sondern zitierte die Erzieherinnen immer zu sich in sein kleines Büro.

Aber dann sah sie den obersten Zuchtmeister Weißkopf, dem dritthöchsten Vertreter der Ekklesiarchie nach dem Pontifex Astral und dem Dekan auf dem Schiff vor sich im Gang stehen. Zuchtmeister Weißkopf war ein großer, breit gebauter Mann, ihm fehlte offensichtlich ein Auge, da die leere Höhle gut sichtbar war. Gerüchten zufolge hatte er es sich selbst herausgerissen, weil er aus Versehen einen ketzerischen Satz gelesen hatte. Wo einst seine Nase gewesen war, befand sich jetzt eine nässende Wunde. Über den Verlust seiner Nase gab es ein Dutzend wilder Geschichten, eine unglaubwürdiger als die andere. In seine Wangen waren die heiligen Symbole seines Amtes eingebrannt. Er trug immer ein schweres Buch der erweiterten Gebote, Gesetze und Regeln der Ekklesiarchie für ihre Pilgerschiffe an einer Eisenkette um seine Schulter geschlungen mit sich herum. Seine einfache, vor Dreck starrende, ehemals weiße Kutte, die durch nie heraus gewaschene, unzählige Blutspritzer von Geißelhieben vorne nun dunkelrot war, wurde nur von einer ausgefranzten Schnur zusammen gehalten, in der eine schwere Geißel steckte. Mit der peitschte er nicht nur seine unreine Haut von dem Rücken, sondern auch von denen, die es an der nötigen Inbrunst missen ließen. Er war dafür berüchtigt, schon ein Dutzend Menschen zu ihrem eigenen Besten zu Tode gepeitscht zu haben, teilweise wegen nichtiger vergehen, wie dem Zuspätkommen bei der Morgenandacht. Und Gavri wusste, dass sie viel mehr als das getan hatte.

Sie war aufgeflogen, nur so war sein flammender Blick aus seinem verbliebenen Auge und eine wütende Haltung erklärbar. Alles in ihr schrie, wegzulaufen, sich zu verstecken. Aber wohin? Das Schiff war sicherlich riesig, aber endlich. Bevor sie aber überhaupt reagieren konnte, bekam sie von hinten eine Kapuze über den Kopf gestülpt, ein harter Schlag in die Kniekehle lies sie zu Boden stürzen, dann waren mehrere schwere Körper über ihr und hielten sie erbarmungslos fest. Der Schädel hatte sie offensichtlich in einen Hinterhalt gelockt, ihre Angreifer mussten sich in dem dunklen Schottbereich versteckt haben, den sie gerade passiert hatte. Sie spürte, wie ihr ein schwerer eiserner Kragen angelegt wurde, der ihre Hände vor sich fixierte. Solche Krägen hatten einen ganz speziellen Namen, nämlich Hexenkragen.

bearbeitet von Nakago
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Jetzt bin ich mal gespannt, ob Gavri (buchstäblich) den Kopf aus der Schlinge ziehen kann - wobei, eigentlich muss sie es ja, sonst wäre die Geschichte ja vermutlich bald zuende. Und was es mit diesen Treffen und ihren Gedächtnisausfällen zu tun hat. Die Story macht wirklich Lust auf mehr!

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Danke für die Anmerkungen. Und weiter geht es.

-

"Nein! Bitte nicht! Tut mir nichts!", rief Gavri und versuchte verzweifelt frei zu kommen. Über ihre Fußknöchel schnappten eiserne Schellen ein, die mit einer schweren Kette zusammen gebunden waren. Dann lies man sie los, nur um kurz darauf sie an der Kette durch die Gänge zu schleifen. Das Mädchen schrie, aber ihre Stimme wurde durch den Sack über den Kopf stark gedämpft. Panik überkam sie, sie wand sich in den unbarmherzigen Fesseln, aber sie wurde gnadenlos weiter über den Boden geschleift. Gavri spürte, wie sich ihre Haut aufschürfte, sie mehrere harte Schläge abbekam, als man sie über Kanten von Schotten zerrte. Dann ging es über eine steile Treppe nach unten. Jede Stufe schien nach ihr zu schlagen und starke Schmerzen durchtobten ihren Körper, als sie endlich unten ankam. Das Mädchen war der Gnade von Männern ausgeliefert, die das Wort gar nicht kannten.

"Lasst diese verdammte Hexe brennen!" hörte Gavri eine gehässige weibliche Stimme rufen, die ihr bekannt vorkam. War das gerade die von Havilah gewesen, die nun als Müllsammlerin durch die Gänge zog?

Schließlich kam sie auf einem scharfkantigen Gitter zur Ruhe. Man zwang sie in eine demütig kniende Position, in dem sie mit dem unteren Teil des eisernen Hexenkragen an das Gitter gekettet wurde. Auch die Kette an ihren Füßen schienen durch eine Öse gezogen zu werden und sie hörte ein massives Schloss einrasten. Tief schnitten ihr die Kanten des Gitters in das Fleisch. Die Wunden mussten bluten. Sie hörte schwere Stiefeltritte um sich herum, jemand schnitt ihr das Kleid vom Leib, dann ihre Unterwäsche. Raue Stimmen unterhielten sich über ihren Körper, zu dürr, nichts dran, könnte man aber trotzdem mal anbohren. Es war demütigend. Einer betatschte sie unter lautem Gegröle, drückte ihre Brüste und machte dazu stöhnende Geräusche. Nur einer der Männer protestierte lautstark über ihre Behandlung, wurde von den anderen aber nur ausgelacht. Und das junge Mädchen hatte furchtbare Angst. Ihre schlimmsten Albträume waren gerade wahr geworden.

Vor diesem Moment hatte Gavri sich gefürchtet, seit sie auf das Schiff zurückgekehrt war. Manchmal hatte sie sich gefragt, ob es nicht besser wäre, dies alles hier hinter sich zu lassen. Aber dieses Schiff war ihre Heimat, hier war sie geboren worden. Hier lebten ihre Schutzbefohlenen, jeden den sie kannte.

Gavri schätzte, dass sie sich im runden Gerichtssaal befand, auch untertrieben als Büro des Zuchtmeisters genannt, in dem auch gleichzeitig die Todesurteile durch Verbrennen vollstreckt wurden. Mehrmals hatte sie in der Vergangenheit diesen Raum mit ihren Schutzbefohlenen gesäubert, dass letzte mal vor vielleicht zwei Wochen. Der Raum war Kreisrund, etwa zwanzig Meter im Durchmesser. Im Zentrum war das Rost, auf dem die Ketzer, Hexen und Schwerverbrecher verbrannt wurden. Das Rost konnte man auch zudecken und dann stand während der Verhandlung der Angeklagte in der Mitte des Raumes. Sechs mächtige Säulen in der Form von mit Kapuzen verhüllten Männern, die sich auf blank gezogene Richtschwerter stützten, trugen eine kreisrunde Empore auf ihren Schultern, auf dessen stufenförmigen Rängen Zuschauer Platz finden konnten. Verhandlungen gegen Ketzer fanden allerdings immer unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, deswegen waren die Ränge wohl jetzt auch leer. Ein Teil des Raumes wurde von der massiven steinernen Richterbank eingenommen, in dem auch ein Protokollservitor eingearbeitet war.

Die rauen Hände des Mannes wanderten unter den Zurufen der anderen Greifer weiter ihren nackten Körper entlang, dann war plötzlich Stille. "Keine Minute kann man euch alleine lassen! Gregor! Du verdammter Hurensohn! Ich werde dich lehren, ein Mädchen unzüchtig zu berühren!" Das war die Stimme des Zuchtmeisters und sie hörte das Pfeifen einer Geißel. Die rauen Hände ließen von ihr ab und dann hörte sie einen Mann laut aufschreien. "Mein Auge! Ihr habt mein Auge getroffen."

"Die Unzüchtigen sind in den Augen des Gottimperators ein Gräuel! In Zukunft wirst du jeden Tag daran denken, dass deine Hände nichts auf dem Leib einer Frau zu suchen haben, außer es ist dein angetrautes Eheweib!"

"Aber sie ist doch eine Hexe!"

"Und? Ist sie deswegen nicht unter fünfzehn Jahren? Ist sie deswegen nicht immer noch weiblich? Nur weil sie eine Hexe, Häretikerin und Demagogin falscher Götter ist, erlaubt das niemandem, ich wiederhole niemandem, sie unzüchtig zu berühren! Das Buch der Strafen und Ordnung duldet keine Ausnahmen! Und jetzt aus meinem Auge, du Hundsfott! Über deine angemessene Strafe werde ich später im Buch der Strafen nachschlagen! Und auch ihr werdet noch euer Fett wegbekommen. Ihr habt mich so enttäuscht! Raus, ihr unwürdiges Gewürm! Nur Jakob bleibt, da er als einziger Anstand bewiesen hat." Sie hörte das Trampeln von eisenbeschlagenen Stiefeln, dann wurde eine Türe zugeschlagen. Zum einen war sie erleichtert, nicht mehr länger betatscht zu werden, aber eigentlich konnte es nur noch schlimmer kommen.

"Ist meine Anwesenheit hier wirklich vonnöten? Bringen wir die Sache schnell hinter uns, dass wir zurück in den Warpraum können. War es wirklich nötig, wegen einer Hexe die Reise zu unterbrechen?"

"Eine besessene Hexe auf eurem Schiff sollte euch interessieren. Kapitän Le Grange! Und ja, diese hier ist mächtig, gar nicht auszudenken, was sie für Dinge zu Hilfe rufen könnte, wären wir noch im Immaterium des Warpraums. Gellerfeld hin oder her." Der Kapitän war hier? Kapitän Le Grange war ein elfenbeinhäutiger Mann mit einem kahlen Schädel, aus dem metallene Buchsen ragten, die es ihm erlaubten, mit dem Maschinengeist ohne Verzögerung zu kommunizieren und das Schiff allein durch seinen Willen zu steuern. Sein grauer Bart war immer sorgfältig gestutzt und er trug eine grüne Uniform mit goldenen Epauletten. Normalerweise hatte er immer eine vergoldete Boltpistole im Holster und ein schlankes Schwert an seiner Seite hängen. Gavri konnte ihn jetzt natürlich nicht sehen, aber sie hatte ihn oft genug in ihrem Leben getroffen und sogar mal ein oder zwei Sätze mit ihm gewechselt, als sie mal die Brücke hatte säubern dürfen, was als große Ehre galt.

"Ist das sicher, hat sie gestanden?"

"Die Beweise sind eindeutig. Eure Anwesenheit ist nur eine Formalität, sobald sie geläutert ist, könnt ihr unser Schiff in den Warpraum gefahrlos zurückbringen. Ich will mich bei dieser Angelegenheit so Nah wie möglich an den Vorschriften halten."

"Wäre es nicht besser, sie der Inquisition zu übergeben? Vor drei Tagen hätten wir noch dazu Gelegenheit gehabt."

"Nun, mein lieber Kapitän, lasst euch folgendes Sagen. Einst war ich im Gefolge eines Inquisitors tätig. Diese Art von Menschen sind nie zufrieden, mit dem, was man ihnen freiwillig gibt. Sie würden die häretische Hexe nehmen, dann ihre Anhänger und sehr lange Zeit damit verbringen, ihnen Fragen zu stellen. Der Erfolg eines Inquisitors bemisst sich auch mit der Anzahl der von ihm dem reinigenden Feuer überstellten Personen. Er wäre nicht mit denen zufrieden, die ich ihm geben würde. Er würde weitere Namen verlangen und glaubt mir, ab einem gewissen Punkt würde auch mein Name fallen, und davor der Eure. Und selbst wenn nicht, der Ruf des Schiffes wäre ruiniert, der aller unschuldiger Pilger ebenfalls, die nichts von dieser Ketzerei wussten. Nein, wir erledigen das hier und jetzt, ohne Außenstehende. Wir halten uns an die vorgeschriebenen Richtlinien der interstellaren Raumfahrt, wenn Gefahr in Verzug ist. So hat alles seine Richtigkeit, die Schuldigen werden im Feuer geläutert und die Unschuldigen setzen ihre Pilgerfahrt ungestört fort."

"Wenn man diese Fakten berücksichtigt, habt ihr sicherlich Recht, Zuchtmeister Weißkopf."

"Nun, dann für das Protokoll, Servitor, beginne mit der Aufzeichnung!" Sie hörte eine Mechanik klicken. "Protokoll beginnt, Erbitte Titel und Aktenzeichen." "Prozess der Ekklesiarchie gegen Gavri Pilgerstochter, Aktenzeichen 2 245 996 M41 K96/3/3-7. Ich, Zuchtmeister Weißkopf, walte meines, vom Gottimperator geheiligten, Amtes als Ankläger im Namen der Ekklesiarchie im Prozess gegen die Hexe, Ketzerin und Demagogin falscher Götter Gavri Pilgerstochter. Kapitän Le Grange fungiert als weltlicher Richter und Vertreter des Imperiums.

Das Verfahren gegen die Hexe, Ketzerin und häretische Demagogin Gavri Pilgerstochter, geboren auf diesem Schiff vor vierzehn Standardjahren, ist hiermit eröffnet. Angeklagt wegen Hexerei, Ketzerei und Aufwiegele in mehreren hundert Fällen. Beginnen wir mit der Beweisaufnahme. Wie ihr wisst, kopieren die Pilger heilige Schriften. Hier haben wir das Original, hier eines von Gavri Pilgerstochter mit ketzerischen Passagen gespickte Abschrift. Sie war sogar so perfide, ihren Namen ins Impressum zu schreiben. Ich habe hier eine Seite, die eine leichte Abweichung aufweist, seht ihr diesen Absatz? Weitere Abweichungen finden sich über das ganze Buch verteilt. Diese sind aber so schwerwiegend, dass ich sie nicht mal Euch zeigen kann, ohne das Eure Seele Schaden nehmen würde.

Beweis Nummer 2, die Hexe führt in einem Lagerraum geheime Zusammenkünfte aus. Ich war so frei, eine Spionagekamera dort zu postieren, als mir zugetragen wurde, dass sich dort gewisse Elemente alle paar Tage treffen. Hier ein kurzer Auszug ihrer ketzerischen Reden." Sie konnte ihre durch die Wiedergabe verzerrte Stimme hören, wie sie eine ihrer kleinen Predigten hielt. Allerdings konnte sie sich an diese Rede nicht erinnern. Sie sprach davon, dass das Imperium ein dem Tode geweihtes Konstrukt aus Irrglauben, Stagnation, Grausamkeit und menschenverachtender Bürokratie war.

"So, das dürfte reichen. Die Besucher sind inzwischen alle registriert und ich werde sie nach und nach dem reinigen Feuer übergeben, da alle diese Worte verstanden und keiner, wirklich keiner den notwendigen Anstand besessen hat, mich oder einen Verantwortlichen von diesem Treiben zu unterrichten. Nun, damit wären die Beweise auf dem Tisch. Diese sind so eindeutig, dass ein Geständnis der Angeklagten nicht nötig ist. Protokoll Stopp! Haben sie etwas anzumerken, Kapitän Le Grange?"

"Hm, auf der Liste stehen hier Zweihundertsiebenundneunzig Namen. Darunter sind Fünf Jahre alte Kinder!"

"Jugend schützt nicht vor Strafe. Für Häresie gibt es keine Gnade, keine Vergebung, nur den Tod durch das läuternde Feuer."

"Beim gütigen Imperator! Ich werde keine Kinder einfach so ins Feuer schicken. Diese Liste ist absurd! Hier stehen die Namen von Matrosen, die ich schon ihr ganzes Leben kenne und deren Frauen und Kinder. Was ihr mit euren eigenen Pilgern macht, ist eure Sache, aber meine Leute rührt ihr nicht so einfach an. Das fällt unter meine Zuständigkeit und allein der meinigen. Und ich sehe hier den Namen von Contessa Lolicia de Dokarra, einer Imperialen Hochadligen von Temperis. Ihr Vater ist der berüchtigte Gouverneur Großherzog Talbot de Dokarra, Herr über den Subsektor Cabulus. An der werdet ihr euch garantiert nicht vergreifen. Unter gar keinen Umständen, wenn ihr uns nicht alle umbringen wollt. Ihr Vater gilt als sehr rachsüchtig und maßlos."

"Wäre Euch eine inquisitorische Befragung aller Bewohner dieses Schiffes etwa lieber?"

"Droht Ihr mir etwa? Zuchtmeister Weißkopf?"

"Ich zeige Euch nur auf, was uns allen drohen könnte, wenn wir diese Häresie nicht mit Stumpf und Stiel ausrotten."

"Ich werde kein pauschales Todesurteil für alle ohne Befragung und Prozess unterzeichnen. Das könnt ihr vergessen. Arretieren ja, verhören ja und dann sehen wir weiter, Fall für Fall. Und der ehrwürdige Pontifex Astral Nadab persönlich sollte ihre Beichten abnehmen, wenn diese Schuld so schwer liegen sollte. Seinen Empfehlungen werde ich mich beugen, aber nicht den Euren. Wenn diese Hexe hier so mächtig ist, wie ihr behauptet, hat sie vielleicht die ganzen Leute ja verhext und sie sind gegen ihren Willen manipuliert worden. Dafür verdient niemand den Tod. Schon gar nicht einer von meinen Leuten oder kleine Kinder."

"Ich werde mich der Autorität des Pontifex natürlich beugen, auch wenn er auf seine alten Jahre hin sehr milde geworden ist." Wenigstens würden ihre Anhänger vielleicht noch mit dem Leben davon kommen, das war ein großer Trost für Gavri. Für sie selbst gab es wohl keine Gnade. Das ganze war irgendwie unwirklich, als würde sie neben sich stehen und einem grausamen Hörspiel lauschen.

"Gut, dann wäre das ja geklärt. Ihr habt mir nun einige Beweise für ihre Häresie geliefert, aber wie kommt ihr darauf, dass sie eine Hexe ist?"

"Seht ihr dieses Gerät? Es ist eine tragbare Version eines Psionikmessers. Inquisitionsgardisten und Hexenjäger benutzen solche Geräte um Menschen mit psionischen Fähigkeiten aufspüren zu können. Ein Andenken an meine Zeit mit den Reisen des Inquisitors, von dem ich euch erzählt habe. Die kleine Hexe hier hat sich immer sehr gut abgeschirmt und ihre Kräfte nur sehr sporadisch eingesetzt. Das Gerät hat in den letzten Monaten immer wieder starke Ausschläge angezeigt. Ich dachte schon, es wäre defekt, obwohl ich die notwendigen Litaneien, um den Maschinengeist des Gerätes milde zu stimmen, immer buchstabengetreu ausgeführt und die Maschine mit dreifach gesegnetem Öl gesalbt habe. Aber als ich dann die Aufnahmen ausgewertet habe und ich mich in der Nähe ihrer Kabine auf die Lauer gelegt habe, konnte ich meinen Verdacht schließlich bestätigen, sie war es, die mit ihrer Anwesenheit meinen Psionikmesser ausschlagen lies. Durch die Nullfeldgeneratoren ist ihre Hexenkraft neutralisiert und so kann das Gerät sie nun zweifelsfrei erfassen. Seht selbst, wie es ausschlägt, wenn ich es auf sie richte."

"Ist das Gerät in Ordnung? Der Wert der angezeigt wird, ist absurd hoch."

"In der Tat, darum auch die ganzen Vorsichtsmaßnahmen. Aber nun gut, konzentrieren wir uns erst mal auf diesen schweren Fall von Häresie. Protokoll weiter. Hat die Angeklagte Hexe noch etwas anzumerken? Protokoll Stopp!"

"Bitte, hört mich an. Seit." Weiter kam sie nicht, ein harter Schlag mit einer Geisel traf sie auf dem Rücken. Mit Widerhaken besetzte Gewichte schnitten in ihr Fleisch und der Schmerz steigerte sich, als diese die Haut entlang gezogen wurden, bevor sie mit einem harten Ruck heraus gerissen wurden. Es tat furchtbar weh. Gavri hätte gerne dargelegt, welche Punkte sie in der Lehre für falsch hielt, mehr als sie töten konnten sie ja nicht. Glaubte sie jedenfalls in ihrer jugendlichen Naivität.

"Das war rein rhetorisch gemeint, Hexe! Dein Gewäsch interessiert hier niemanden. Nun, fürs Protokoll, die Angeklagte hat nichts anzumerken. Bevor wir zur Urteilsverkündung kommen. will ich noch erklären, warum das Strafmaß so milde ausfällt. Meiner Meinung nach hast du kleine Hexe, Häretikerin und Ketzerin so ziemlich jedes schwerwiegende Verbrechen begangen, dass man einem Menschen des heiligen Imperiums unseres geliebten Gottimperators anklagen kann. Du bist eine lebende Beleidigung für jeden Gläubigen. Eine verlogene Verräterin wie du am einzig wahren Glauben ist eine Perversion eines Menschen. Dein Leiden sollte Monate, wenn nicht gar Jahre dauern. Ich würde mir bei der schwere deiner Verbrechen viel Zeit lassen und ich habe bei der Inquisition gelernt, wie man selbst mit den einfachen Mitteln die mir hier zur Verfügung stehen, den Schmerz maximieren kann. Als erstes würde ich dir glühende Nadeln ins Nagelbett deiner Finger stoßen." Ein harter Schlag mit der Geißel traf sie ein weiteres mal. Wieder bissen die scharfkantigen Gewichte schmerzhaft in ihr Fleisch. "Dann würde ich dir die Nägel heraus reisen. Einen nach den anderen. Als nächste würde ich dir die einzelnen Fingerknochen mit einem Hammer zertrümmern und dann mit einer Zange dir Fingerglied für Fingerglied abzwicken." Ein weiter Schlag. Und er zählte mit großer Begeisterung weiter auf, was er alles mit ihr anstellen würde. Nach jeder detailreichen Schilderung schlug er ein weiteres mal mit der Geißel auf sie ein. Es tat unglaublich weh, als ihr Haut und Fleisch zerfetzt wurden. Früher hatte sie sich mit religiöser Verzückung selbst gegeißelt, aber die Gewichte waren rund gewesen und die Haut war nur ab und zu durch die Wucht des Schlages aufgeplatzt. Aber diese scharfen Gewichte an der Spitze der Geisel bissen sich schmerzhaft tief in ihr Fleisch und beim herausziehen rissen sie ihr das Gewebe auf.

"Und dann kurz bevor ich dich dem reinigenden Feuer übergeben würde, nachdem ich dich aller Gliedmaßen und Sinne beraubt hätte, würde ich dich pfählen. Aber langsam und mit Geduld, sodass der Pfahl deine wichtigen Organe nicht durchstößt, sondern wegdrückt. Mit einem stumpfen Messer würde ich dir deinen Bauch aufschneiden, sodass deine Innereien herausfallen. Als nächstes würde ich dir deine eigenen Gedärme zu Schmecken geben. Und erst kurz bevor du stirbst, würde ich dich mit dreifach gesegnetem Promethium übergießen und anzünden." Ein weiterer Schlag, weitere Schmerzwellen durchströmten ihren Körper. Inzwischen konnte sie nicht mal mehr schreien, nur noch wimmern. Es tat so schrecklich weh. Mindestens zwanzig Hiebe hatten sie getroffen. Ihr Rücken bis hinunter zum Gesäß schien eine einzige blutende Wunde zu sein.

"Aber leider muss ich das ganze auslassen, da ich dich für ein verdammt gefährliches Miststück halte, das mit der Zeit durchaus in der Lage wäre, die Bindungen des Hexenkragens, der Antipsimaske und des dreifach gesegneten Pentagramms, in dessen Zentrum du mit eisernen geweihten Ketten gefesselt bist, zu durchdringen. Vielleicht sogar die Nullfeldgeneratoren in diesem Raum zum Durchbrennen zu bringen. Aber wenigstens habe ich jetzt ein paar von deinen verderbten Knochen offen gelegt. Ich hoffe, du hast noch etwas gelitten, Hexe! Jakob, schüttet zwei volle Eimer des dreifach gesegneten Promethium über sie." Sie hörte etwas metallenes Scheppern, dann traf sie ein Schwall einer streng riechenden Flüssigkeit. Jemand verteilte das leicht entflammbare Öl gleichmäßig über sie. Auch ihre Kapuze wurde damit getränkt. Sie hatte Probleme zu Atmen und musste husten. Furchtbare Angst hatte ihr Herz im Griff und ihre Augen schwammen in Tränen. Sie hatte sich so vor diesem Moment gefürchtet und nun war er da.

"Protokoll weiterführen! Aufgrund der erdrückenden Beweislast und der nachgewiesenen Schwere der Schuld, kann es keine andere Strafe als den Tod geben. Kapitän Le Grange, euer Urteil?"

"Ähm, ja, den Tod. Die Beweislage ist eindeutig, ebenso die Messung ihrer verderbten Fähigkeiten. Verfahrt mit der Hexe, wie es das Gesetz des Imperiums und des Adeptus Ministorum vorschreibt."

"Gut! Hiermit wird Gavri Pilgerstochter zu zwanzig schweren Hieben mit der Geißel und dem Tod durch das Feuer verurteilt! Protokoll Stopp! Hexe! Mögest du hier wie auch in der Hölle brennen! Vollstreckt das Urteil! Verbrennt die Hexe!"

"Nein!" wimmerte Gavri mit letzter Kraft verzweifelt.

bearbeitet von Nakago
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Atemberaubend. Mehr lässt sich dazu nicht sagen.

Weiter. Das kann nicht das Ende sein.

"Ich soll die weitere Existenz dieses Planeten gegen die Leben deren abwägen, die ihn verteidigen? Idiotie! Befehlt ihnen den Vorstoß. Ihnen allen."

"I asked my broker the other day in what to invest nowadays, he answered: Canned food and ammo!"

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Öhm... Mehr? Bitte?

Lass dein durchlauchtes Publikum doch nicht durch Verzögerungen im Lesefluss leiden ;)

Oder, anders gesagt: Ich habe in letzter Zeit kein Buch gelesen, welches mich so gefesselt hat wie die ersten paar Abschnitte dieser Geschichten.

Den Test der Zeit habe ich verschlungen, an Reckers nicht ganz so kleinem Tagebuch muss ich irgendwie vorbeigeschliddert sein.

Aber weder der Test der Zeit, noch andere Fanfiktion noch, wie gesagt, irgend ein Buch in letzter Zeit kommen an das hier ran.

Mach bitte weiter, und zwar schnell! :ok:

Bewundernd,

:baum:

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Wow! So langsam werde ich bei soviel Lob richtig Rot! Ich hoffe mal, dass ich das hohe Niveau halten kann und das die Geschichte auch dann noch gefällt, wenn die Auflösung kommt.

Ich könnte eine höhere Frequenz anstreben, da ich einen recht hohen Vorlauf habe. Aber ich lasse meine Geschichten inzwischen gerne einige Wochen ruhen, bevor ich sie mir ein weiteres mal durchlese und so gewisse Schnitzer noch ausbügeln kann. Der größte Fehler imho ist, etwas zu schreiben und dann gleich zu veröffentlichen. Erst mit der richtigen Distanz kann man erkennen, ob das Geschriebene wirklich so gut ist, wie man zuerst gedacht hat. Und man kann so noch neue Ideen einbringen. An der einen oder anderen Szene habe ich Wochenlang gefeilt, bis ich richtig damit zufrieden war. Inzwischen habe ich zwar Gestern das vierte Buch angefangen, aber bin noch nicht wirklich mit allen Aspekten meines Werkes zufrieden.

-

Gavri roch das Promethium und schrie auf. Weg! Nur weg! Sie stolperte, kippte orientierungslos nach hinten um. Panisch versuchte sie sich irgendwo festzuhalten. Fahrig griff sie nach einem Vorhang, riss ihn aber nur aus der Halterung. Klatschnass und nackt landete das Mädchen auf ihrem Hintern und schaute sich erstaunt um. Sie befand sich in einer kleinen leeren Kabine, welche das Schiff für besser begüterte Pilger oder höhere Ränge der Ekklesiarchie bereitstellte. Vor ihr war eine Nasszelle und aus dem Duschkopf rauschte warmes sauberes Wasser. Grenzenlos verwirrt rappelte sie sich auf. Nur der intensive Geruch nach Promethium erinnerte das Mädchen an das Geschehene. Es wirkte alles so unwirklich. Eigentlich müsste sie brennen! Was war passiert? Wie war sie entkommen? Wie war sie hierher gekommen?

Sie versuchte sich daran zu erinnern, aber wie immer, wenn sie Zeit verlor, war da nichts, außer ihre letzte Erinnerung, wie sie zum Tode durch Verbrennen verurteilt worden war, dazwischen klaffte die übliche Lücke den Nichterinnerns. Frustriert schlug Gavri mit der Faust auf den Boden. Erst jetzt realisierte das Mädchen, dass sie keine Schmerzen mehr hatte, was sie von ihrem Körper sehen konnte, schien unverletzt zu sein. Vorsichtig tastete sie ihren Rücken ab, der von der Geisel in Fetzen geschlagen worden war. Nur glatte Haut konnte sie erfühlen. In der Kabine gab es einen großen Spiegel an einer der Schrankwände, in dem Gavri sich verwirrt betrachtete. Dort wo das Mädchen glaubte, sich verletzt zuhaben, war nur makellose Haut, sie drehte sich vorsichtig um und versuchte einen Blick auf ihren Rücken zu erhaschen. Der Anblick ihres Rücken lies das Mädchen erschreckt aufkreischen. Panisch taumelte Gavri zurück, bis sie in eine Ecke des Raumes stieß. Das Mädchen schlug schluchzend die Hände vors Gesicht und rutschte kraftlos zu Boden.

"Was passiert nur mit mir? Was passiert nur mit mir? Was passiert nur mit mir?" Die Lautstärke steigerte sich mit jedem Satz, bis sie schrie. Sie schrie, bis sich ihre Stimme überschlug und nur noch ein anhaltendes Kreischen zu hören war. Aber niemand antwortete ihr, niemand kam zu ihr. War sie wirklich eine Hexe? War sie besessen von einem der unbeschreiblichen Wesen, dessen Existenz alleine schon zu wissen ein todeswürdiges Verbrechen war? War sie wirklich eine Psionikerin? Oder war sie einfach nur verrückt? Bildete sie sich dass alles vielleicht nur ein? Sie wusste es nicht! Sie wusste es einfach nicht. Gavri weinte, bis sie keine Tränen mehr zu glauben hatte.

Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis sie den Mut hatte, sich ein weiteres Mal vor dem Spiegel zu stellen. Sie sah eine durchtrainierte junge Frau mit einem flachen Bauch und Körper einer Athletin, deren Brüste für ihren Geschmack immer noch viel zu mickrig und Kleinmädchenhaft waren. Ihre Scham war mit einem dichten Busch aus hellem Haar bedeckt. Geblutet hatte sie immer noch nicht, obwohl alle anderen Mädchen sich in ihrem Alter damit schon herumschlugen. Schwester Gerechter Zorn hatte ihr erklärt, dass Mädchen, die sehr viel Sport trieben, später bluteten als solche, die wenig in dieser Beziehung taten. Dann drehte die junge Frau sich um und blickte ein weiteres mal auf ihren Rücken. Makellos wäre wohl die richtige Beschreibung. Kein Leberfleck, keine Narbe, keine eingebrannten Buchstaben waren zu sehen, mit denen sie vor sechs Jahren gebrandmarkt worden war, zur Feier ihres achten Geburtstages. Nur kurz ertrug sie den Anblick der Makellosigkeit. Dann schloss Gavri die Augen, atmete mehrmals tief durch und öffnete sie wieder. Der Rücken war immer noch der Gleiche. Makellos.

Und so langsam dämmerte ihr, dass, egal was passiert war, ihr Rücken das kleinste ihrer Probleme war. Wahrscheinlich durchsuchte man schon das Schiff nach ihr. Und nach ihren Freunden. Sie musste sie warnen, sie musste irgendetwas tun! Die Schränke der Kabine waren leer, die Koje hatte zwar eine Matratze, aber kein Laken. Blieb als einzige Alternative der Duschvorhang, mit dem sie ihre Blößen bedeckte. Als nächstes drehte Gavri das Wasser ab und lauschte. Sie hörte das leise Wummern der Maschinen, die man nur hören konnte, wenn alles ganz still war, spürte die üblichen Vibrationen des Schiffes unter ihren Fußsohlen. Alles schien normal zu sein. Mehrmals atmete Gavri tief durch, versuchte ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden, die Ruhe durch sich strömen zu lassen. Normalerwiese müsste sie längst verbrannt sein, aber sie lebte noch, auch wenn sie sich das nicht wirklich rational erklären konnte. Aber jetzt galt es erst mal die anderen zu warnen, alles andere hatte zu warten.

Es war Wahnsinn, über die Gänge zu laufen, aber die hatte Gavri noch nie gebraucht. Das Lüftungsgitter in der Kabine war zu klein, aber der Schacht über den Gang müsste sie aufnehmen können. Leise öffnete sie die Türe und lugte vorsichtig nach links und rechts. Die Luft war rein, kein Suchtrupp, kein Pilger, kein Matrose und kein Angehöriger der Ekklesiarchie war zu sehen. Gavri wertete das mal als gutes Zeichen.

Vermutlich befand sie sich noch im Bereich des Oberdecks im Teil der Ekklesiarchie, wahrscheinlich die siebte für Normalsterbliche abgeschottete Ebene, wo sich die Kabinen der geistlichen und administrativen Führung befanden. In diesem Deck des Schiffes war sie noch nie gewesen, jedenfalls außerhalb eines Lüftungsschachtes. Ein dicker roter Teppich bedeckte den Boden. Die Wände waren mit religiösen Reliefs verziert. Aber sie hatte nur Augen für das große Gitter der Lüftung an der Decke. Gavri stellte sich auf die Zehenspitzen und erreichte es gerade so, wenn sie kraftvoll hoch sprang. Es gelang ihr mit einigen komisch anmutenden Schlägen das Gitter soweit hochzudrücken, dass sie den Rand des Schachtes zu fassen bekam und sich hinein winden konnte. Das war jetzt vertrautes Gelände. Das Mädchen drückte das Gitter zurück in die Halterung, überlegte sich im Geist die schnellste Route, die zu dem Trainingsraum führte, wo ihre Schützlinge noch üben mussten, wenn man sie nicht schon längst verhaftet hatte, und nahm diesen Weg. Auf dem Weg dorthin passierte sie die Wäscherei des Klosters und da der Raum leer war, borgte sie sich einen Trainingsanzug einer Nonne, der ihr zwar etwas zu weit war, aber sie hatte nicht den Nerv, nach einer passenden Größe zu suchen. Zurück im Schacht versteckte Gavri dort den Duschvorhang und krabbelte weiter.

Nach etwa fünfzehn Minuten kam sie in dem Bereich an, wo tatsächlich das Training ungestört vonstattenging. Über einen Nebenraum, wo weitere Übungswaffen und Hilfsmittel gelagert wurden, drang sie in den Bereich ein. Sie öffnete vorsichtig die Türe und sah Schwester Gerechter Zorn in der Trainingshalle, wo sie immer noch die Fortgeschrittenenklasse unterrichtete. Sie winkte sie vorsichtig heran, konnte aber nicht vermeiden, von anderen gesehen zu werden. "Ich muss mit dir reden!" Die Nonne im Trainingsanzug zog fragend eine Augenbraue nach oben und musterte leicht belustigt ihren Aufzug. "Das nicht witzig! Unser aller Leben ist Gefahr!"

"Also was hat dieser Aufzug zu bedeuten? Dieser Trainingsanzug einer geweihten Schwester gehört doch wohl offensichtlich nicht dir?"

"Wir sind aufgeflogen. Zuchtmeister Weißkopf weiß alles! Von unseren Versammlungen, wie viele wir sind, wer wir sind. In dem Augenblick sind wahrscheinlich Sicherheitskräfte des Schiffes unterwegs, um dich zu verhaften. Um alle zu verhaften! Sie haben eine Liste mit Zweihundertsiebenundneunzig Namen! Mich haben sie schon verhaftet!"

"So so? Und warum bist du dann hier?"

"Weil ich fliehen konnte! Ich weiß zwar nicht genau wie, aber wir müssen hier weg, die anderen warnen und dann uns irgendetwas überlegen, wie wir aus der Sache raus kommen. Oh Verdammt! Das ist alles meine Schuld! Hätte ich doch nie damit angefangen!" Tränen rannen wieder über ihre Wangen und sie schluchzte laut.

"Beruhige dich erst mal, atme tief durch. Lasse die Ruhe durch dich strömen."

"Ich habe das Gefühl, wahnsinnig zu werden. Verstehst du denn nicht? Sie werden uns alle holen und wegen Ketzerei verbrennen! Zuchtmeister Weißkopf hat eine Kamera im Lagerraum installiert gehabt, er weiß von jedem den Namen! Und Kapitän Le Grange weiß das auch, und viele der Sicherheitsleute. Da bin ich sicher. Die werden uns alle umbringen! Verbrennen bei lebendigen Leib!"

"Psst! Du wirst schon dafür gesorgt haben, dass niemand etwas passieren kann. Also atme tief durch und beruhige dich endlich! Es ist sicherlich hart, was du hast durchmachen müssen, aber hysterisch zu werden ist in dieser Situation nicht gerade hilfreich."

"Was meinst du damit, ich hätte dafür gesorgt? Wie kannst du nur so ruhig bleiben? Und ich bin überhaupt nicht hysterisch!", kreischte Gavri laut.

"Wenn das nicht der Fall wäre, würden die Glocken schon läuten, Greifertrupps aus dem Dunstkreis des Zuchtmeisters wären schon hier. Also wirst du nicht nur geflohen sein, sondern auch alles unternommen haben, dass deine Flucht nicht auffällt."

"Ich habe doch keine Zauberkräfte, um so was zu bewerkstelligen, oder etwa doch?" Letztendlich war dies die einzige logische Erklärung, da wohl niemand anderes für ihre Befreiung gesorgt zu haben schien.

In diesem Moment wummerte es an der Türe und Gavri schrie erschreckt auf. Die Türe ging auf, bevor sie reagieren konnten und Jadon und Saphira kamen herein gestürmt.

"Was macht ihr hier drin?", fragte Jadon neugierig.

"Hohl die anderen Kinder, wir müssen hier weg!"

"Nein, kommt herein, Gavri ist gerade etwas durcheinander", wiegelte Schwester Gerechter Zorn ab.

"Gavri, du hast ja geweint! Was ist den los?" Saphira kam zu ihr und drückte sie fest an sich. Normalerweise war es ja Gavri, welche Saphira tröstete. Es hatte etwas Rührendes an sich und sie streichelte zärtlich über den Kopf des Kindes.

"Ich habe das Gefühl verrückt zu werden!" Gavri hatte eigentlich etwas ganz Anderes sagen wollen, wie, "mach dir keine Sorgen, mir geht es doch gut." Aber die Wahrheit drängte sich einfach nach oben.

"Keine Angst, dass ist nur.." In dem Moment hielt Jadon ihr den Mund zu.

"Saphira! Die Lichtbringerin hat doch verboten, Autsch!" Saphira hatte dem älteren Jungen so kräftig in den Finger gebissen, dass er blutete.

"Du bist doch so ein Idiot! Jetzt hast du Dumpfbacke es verraten! Ich hätte doch was ganz was anderes gesagt! Ich bin nämlich nicht so blöd wie du!"

"Ups! Tschuldigung!" Jadon grinste idiotisch und lief rot an.

"Lichtbringerin? Was hat das zu bedeuten? Von was redet ihr da nur? Was wisst ihr? Los sagt schon!"

"Gavri, nun dein anderes Ich hat uns strickte Anweisungen gegeben, dir nichts von deinen Aktivitäten zu verraten, wenn sie nicht du bist. Aber da Jadon seinen Mund nicht halten konnte, darüber werden wir noch ein Wort reden, junger Mann, wird es wohl das Beste sein, dir die Wahrheit zu sagen. In dieser Situation ist es wohl auch angebracht. Dein anderes Ich nennen wir die Lichtbringerin. Jedenfalls sprechen wir dich so an. Manche nennen dich auch die Prophetin, die Gesegnete, die Erlösung bringende, die Wahrheitssprechende. Aber Lichtbringerin war die Bezeichnung, welche dein anderes Ich wollte. Ich weiß, dass du, als Gavri, in der Zeit davon nichts mitbekommst, was sie uns sagt und tut. Anfangs war es schon etwas unheimlich, was dein anderes Ich alles weiß und kann, aber ich bin von ganzem Herzen überzeugt, dass du und sie uns nichts Böses will."

"Ich bin also besessen?", hauchte Gavri. "Ich bin also doch eine Hexe! Eine verdammt gefährliche obendrein, wie es aussieht. Du als Nonne müsstest mich doch vernichten? Warum lebe ich noch?"

"Ich kenne dich jetzt schon fast dein ganzes Leben lang. Und ich muss sagen, du bist der außergewöhnlichste Mensch, der mir je untergekommen ist. Dein Lebensmut, deine Frömmigkeit, deine Hilfsbereitschaft, dein Mut fand ich schon immer sehr inspirierend. Du warst eine aufgeweckte und interessierte Schülerin mit Talent. Bis zu dem Tag, wo du verschwunden bist.

Ich habe geweint, als die Totenmesse um dich gelesen wurde, weil dieses Schiff etwas verloren hatte, was ich als unersetzlich fand. Und dann bist du wieder aufgetaucht. Du warst verändert, diese Tage, wo du verschwunden warst, haben dich wahrlich zu etwas Anderem gemacht. Warst du vorher nur eine gute Schülerin, warst du danach eine überragende. Denn du lernst nun nicht nur, du hinterfragst, suchst weiterführende Lösungen und kommst zu neuen Ergebnissen.

Das ist etwas, was im Imperium nicht erwünscht ist: ein freier Geist. Ein freier Geist ist wie eine unbewachte Festung mit offenem Tor, sagen sie. Aber wenn alte Wege nur in Sackgassen führen, braucht es frischen Wind, neue Wege, neue Ideen. Ich sah etwas in dir, was mir schon vor lange Zeit heraus geprügelt worden war.

Auf meiner Heimatwelt gehörte ich zur Oberschicht, der Gouverneur war sogar mit mir sehr entfernt verwandt. Ich lebte in einem goldenen Käfig, wo Langeweile oft in Grausamkeit und Dekadenz umschlägt. Ich hatte zu funktionieren, hübsch auszusehen und sonst das zu tun, was man mir sagte. Und meine Mutter sorgte mit sehr strenger Hand dafür, dass mir alle Flausen ausgetrieben wurden. Oh, sie war dabei sehr erfinderisch, eigentlich schon richtig sadistisch, da könnte manch Inquisitor sicherlich noch was lernen. Dann sollte ich heiraten, eine Vernunftheirat, um ein politisches Bündnis zu schließen. Mein Verlobter war ein ungehobelter Fettsack, der vier Zentner wog, wenn er gerade Diät hielt und dreimal so alt war wie ich. Der sich jedem legalen und illegalen Laster hingab. Letztendlich hätte ich wahrscheinlich nur einen goldenen Käfig gegen einen anderen Käfig getauscht. Hübsch aussehen, funktionieren und repräsentieren. Aber ich wollte nicht, ich begehrte auf. Diesmal nicht!

Mein Vater stellte mich vor die Wahl, Heirat oder Kloster. Ich tauschte den goldenen Käfig gegen einen eisernen. Glauben, Beten und Funktionieren. Ich meldete mich sofort, als dem Kloster angeboten wurde, ein Kontingent an Nonnen für eine Pilgerreise als kämpfende Begleiter zu stellen. Nur raus, von einem Käfig in den nächsten. Ich war am Verzweifeln, verzagte, dachte nur noch an den Tod, nicht an Erlösung. Doch dann kamst du, damals warst du sechs Jahre alt. Ein kleines lebensfrohes Ding mit einer breiten Zahnlücke. Wo du warst, war Fröhlichkeit, Leichtigkeit. Dein Glauben hatte eine Tiefe, den meiner nie erreicht hatte. Es machte Spaß, dich zu unterrichten, dir die Grundlagen der Selbstverteidigung beizubringen. Dich reden zu hören, wie du für andere eintratst. Wie du den Glauben lebtest, den andere nur nachäffen, ohne den Sinn darin zu verstehen, weil er inzwischen so verdreht wurde, dass vieles keinen Sinn mehr macht."

"Und diesen Glauben habe ich inzwischen verloren. Und deswegen ist mein Leben verwirkt!"

"Ja, dein Glaube hat sich gewandelt, der Imperator ist ein Heiliger, ein großartiger Mensch, der Unvorstellbares bewirkt hat, aber eben nur ein Mensch, dessen Seele immer noch ihren ewigen Dienst für die Menschheit leistet. Aber ein wahrer Gott existiert im Licht und du bist seine Prophetin."

"Du bist sicher, dass ich nicht nur einfach verrückt bin? Das in der Gruft mir nicht einfach zu oft den Kopf gestoßen habe?"

"Nein, verrückt bist du nicht. Aber du hast offensichtlich etwas aus der Gruft mitgebracht."

"Du meinst die ganzen Sachen?"

"Nein, etwas was in dir ist."

"Also bin ich doch eine besessene Hexe!" Gavri seufzte schwer. Und sie konnte froh sein, dass dieses Ding in ihr, nur ihre vernarbte Haut mit makelloser Haut ersetzte. Es gab wilde Gerüchte, was Dämonen mit einem anstellen konnten. War ein Dämon in ihr? Würde sie zur Vernichtung dieses Schiffes werden? Beunruhigende Visionen durchzuckten sie.

"Ich würde dich eher als erleuchtete Heilige bezeichnen."

"Wer hat schon von einer Heiligen gehört, die von ketzerische Reden hält, alles in Frage stellt und von einem Dämon besetzt ist?"

"Kein Dämon, etwas anderes, etwas wunderbar Schönes!"

In dem Moment setze das Geläut der Glocken ein und die Lautsprecher des Intercoms knackten. Alle hoben etwas überrascht die Köpfe und lauschten der Durchsage von Pontifex Astral Nadab.

"Der Imperator sei gepriesen und möge er uns segnen! Liebe Gemeinde der "Gesegnete Erlösung der wahren Gläubigen", liebe Pilger, Brüder und Schwestern, Matrosen, geschätzte Passagiere. Ich habe eine äußerst traurige Botschaft zu verkünden. Ich habe gerade erfahren, dass der oberste Zuchtmeister dieses Schiffes, mein zweiter Stellvertreter und geschätzter Bruder im einzig wahren Glauben, Zuchtmeister Weißkopf von uns gegangen ist. Er starb an einem Herzinfarkt, als er sich gerade ereiferte. Mögen wir ihn stets als strengen, aber gerechten Lehrer und Führer in Erinnerung behalten. Seine Geisel sorgte nun fast ein Jahrzehnt für Gerechtigkeit und Strafe auf diesem Schiff. Unzählige wurden unter seiner schwieligen Hand zu besseren Menschen geformt. Sein Leichnam wird in der Kathedrale aufgebahrt werden und alle lieben Gläubigen erhalten die Gelegenheit, ihrem geschätzten und verehrten Zuchtmeister die letzte Ehre zu erweisen. Die Abendmesse wird um eine Stunde vorverlegt und um die Totenmesse erweitert. Ich bitte um vollständige Teilnahme. Möge der Imperator seinen treuen Diener freudig begrüßen und ihm eine Aufgabe zuweisen, die seinen irdischen Taten und Talenten zu Gute kommt. Und nun wollen wir für eine Minute schweigen und still gedenken. So sei es!"

Gavri versuchte zu ergründen, was diese Botschaft zu bedeuten hatte. Hatte sie den Zuchtmeister bei ihrer Flucht getötet? Aber warum sagte dann der Pontifex Astral Nadab, dass Zuchtmeister Weißkopf an einem Herzinfarkt gestorben war? Das war wirklich seltsam. War sie oder ihr anderes Ich, es fiel Gavri immer noch sehr schwer, diesen Umstand zu akzeptieren, in der Lage, einen Menschen zu töten? Ohne dass es auffiel? Man sagte Hexen viel nach. Manches klang zu fantastisch, um wahr zu sein, aber angeblich sollten manche Hexen in der Lage sein, einen Menschen mit einem einzigen Gedanken zu vernichten, auf die unterschiedlichste, oft äußerst schmerzhafte Art und Weise. Jemanden durch eine Herzinfarkt zu töten, hörte sich noch vergleichsweise milde an. War sie oder besser gesagt ihr anderes Ich zu einem Mord an einem Menschen fähig? So wie es aussah ja. Aber sie fühlte sich nicht besonders schuldig. Gavri dachte mit Grauen an das, was der Zuchtmeister ihr alles antun wollte, wenn er die Zeit dafür gehabt hätte. Sollte sie sich darüber Sorgen machen? Wohl ja, aber im Moment hatte sie noch viele andere Probleme zu bewältigen.

"Scheint so, als hätte ich wirklich dafür gesorgt, dass nichts weiter passieren kann", meinte Gavri mit einer gewissen Bitterkeit in der Stimme. Die ganzen Ereignisse zu verarbeiten würde Zeit brauchen.

"Wie ich schon sagte, dein anderes Ich wird schon dafür gesorgt haben und das hat es offensichtlich auch."

"Und jetzt? Was soll ich nur tun? Was kann ich tun?"

"Nun", weiter kam Gerechter Zorn nicht, da das Schiff inne zu halten schien, dann lief eine schwere Erschütterung durch das Schiff, dann in schneller Folge mehrere kleine Stöße und sie meinte eine gedämpfte Explosion zu vernehmen.

"Was war das gewesen?" Gavri schaute fragend die Nonne an.

"Ich habe keine Ahnung, vielleicht ein kleiner Meteortreffer?" Ein weitere spürbare Erschütterung lief durch das Schiff.

"Vielleicht gar ein Feld?"

"Verstümmeln! Vernichten! Verbrennen! Vertilgen!", schrie eine raue heisere, ihr total unbekannte Stimme durch das Schiffscom. "Zerhacken! Zerstückeln! Zerfetzen! Zermalmen!"

"Was war das denn jetzt?", fragte Gavri erstaunt und die Glocken der Kathedrale läuteten Sturm.

bearbeitet von Nakago
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Na, das wird ja immer spannender..

Dass sich Gavri wieder mal nicht erinnern kann, wie sie entkommen ist, dachte ich mir schon.;) Der Teil wirft mal wieder mehr Fragen auf, als er beantwortet... wer hat den Zuchtmeister auf dem Gewissen, was ist mit dem Kapitän und wieso sind die Wunden wieder geheilt?

Schön übrigens, dass auch die Nebencharaktere (Schwester Gerechter Zorn) etwas Hintergrund bekommen, das trägt viel zur Atmosphäre bei.

Und enden tut der Teil ja auch mal wieder in einem schönen Cliffhanger - jetzt greifen auch noch die Chaoten an? Das geistige Niveau der Kampfschreie lässt außer Orks jedenfalls kaum andere Kandidaten zu, und die würden sich anders ausdrücken.:D Bin mal sehr gespannt, was das nun wieder gibt.

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Und weiter geht es mit dem nächsten Teil. Noch mehr Fragen, noch weniger Antworten. ;D Aber jetzt sind wir so in der Mitte von Buch I und das Ende kommt schneller als man denkt.

Kapitel IV

Position:

Imperium

Segmentum Pacificus

Pilgerschiff "Gesegnete Erlösung der wahren Gläubigen"

Zeit: 2 246 996.M41

Person: Gavri Pilgerstochter

"Achtung, Achtung! Hier spricht Kapitän Le Grange! Wir wurden getroffen, dies ist keine Übung. Alle Mannschaftsmitglieder auf ihre Kampfstationen. Löschtrupps in den Maschinenraum. Bereitmachen um Enterversuch abzuwehren. Kampfgruppen der Pilger auf ihre Positionen, die Waffenkammern werden geöffnet. Alle unbewaffneten und nicht kämpfenden Zivilisten in die Kathedrale. Ich wiederhole, alle nicht kämpfenden Zivilisten in die Kathedrale! Dies ist keine Übung! Möge der Gottimperator uns allen gnädig sein!" Selbst durch die Verzerrung des Lautsprechers war dies ganz eindeutig die Stimme des Kapitäns.

"Verdammt!", hauchte Gavri, wegen der Botschaft, nicht weil der Kapitän offensichtlich noch am Leben war. Ihr anderes Ich schien ihn verschont zu haben, was die Frage aufwarf, warum er nichts gegen sie unternommen hatte. Aber so eben waren ihre Probleme durch ein weiteres, noch viel größeres angewachsen. Ihre Gedanken überschlugen sich. Was tun? Was konnte sie überhaupt tun? Gavri dachte an die seltsame Ausrüstung, welche sie aus der Gruft mitgebracht hatte. Wahrscheinlich war es durchaus sinnvoll sie zu holen und auch einzusetzen. Aber erst mal musste sie sich um ihre kleinen Schutzbefohlenen kümmern, sofort!

"Ich hole die Kinder! Kommst du mit?"

"Nein, ich muss zu meinen Schwestern, dort ist mein Platz in diesem Kampf. Möge das Licht uns allen gnädig sein." Die beiden Frauen umarmten sich innig. Ihre beiden Schutzbefohlenen drängten sich an sie. Saphira liefen Tränen über die Wangen.

"Psst! Nicht weinen. Ihr müsst jetzt tapfer und den anderen ein Vorbild sein!" Das junge Mädchen schniefte und wischte sich die Tränen ab.

Gavri nahm die beiden Waisenkinder an die Hand und lief mit ihnen in den Trainingsraum. "Gruppe D 4 B 4 sofort zu mir!" Ihre Kleinen lösten sich aus den verwirrt wirkenden Trainingsgruppen und versammelten sich brav um Gavri.

"Keine Angst, ich werde euch beschützen. Verliert nicht die Hoffnung, alles wird gut werden. Und jetzt Aufstellung! Nehmt die Hand eures Bruders oder Schwester und achtet auf ihn. Keine Panik, wir tun jetzt genau das, was wir immer geübt haben!" Die Kinder fassten sich an den Händen und sie lief als letzte, darauf achtend, dass niemand zurückblieb. Zum Glück war es vom Hauptdeck nicht weit bis zur Kathedrale St. Quaglia und sie kamen noch gut durch. Erst hinter ihnen brach sich der Mob des D Decks seine Bahn wie eine Horde durchgehender Groxe nach oben. Ohne Probleme erreichten sie einen guten Standort direkt beim Altar. Normalerweise wäre ihr Platz bei ihnen gewesen, aber sie spürte, dass dies heute nicht reichen würde.

"So, bleibt hier! Haltet euch fest, bleibt genau hier sitzen! Jadon, du bist der Älteste, hüte deine Brüder und Schwestern. Und jeder von euch unterstützt ihn dabei. Seid tapfer, seid wohlgemut, denn ich werde euch beschützen." Jadon nickte tapfer, aber seine Knöchel waren verkrampft, aber keiner seiner Nachbarn beschwerte sich.

"Warum verlässt du uns?" Saphira sah sie mit bebender Lippe an.

"Weil ich etwas holen muss, aber ich komme wieder. Ich werde euch mit all meiner Kraft, all meinem Mut und all meiner Liebe beschützen! Harrt hier aus und nichts wird euch passieren! So sei es!"

"So sei es!" Wiederholten ihre Schutzbefohlenen im Chor.

In dem Moment knackten die Lautsprecher des Intercoms ein weiteres Mal. Eine dröhnende Stimme halte durch die heilige St. Quaglia Kathedrale. "Hier spricht Prinz Eunice, Fürst der Geißel der Galaxis, Gebieter der dritten Kompanie der World Eaters. Fürchtet mich, denn ich bin euer Tod!" Die Stimme lachte laut auf, die Lache hatte etwas wahnsinniges an sich. "Eigentlich habe ich mir eine nette kleine Ansprache überlegt, wie ihr mit der Erfüllung einer kleinen Forderung euer wertloses Leben behalten könnt. Aber wir wissen doch alle, dass Khorne nach Blut und Schädel verlangt." Wieder unterbrach sich der Sprecher mit seinem höchst unangenehmen Lachen, als ob das alles unglaublich Lustig wäre.

"Und falls ihr kleinen unbedeutenden Würmer diesen herrlichen Namen des obersten Gottes des allmächtigen Chaos nicht kennt, so lasst euch sagen, dass Khorne der Gott des Krieges, des hasserfüllten Tötens, der Zerstörung und der Vernichtung allen Schwachen ist und seine Währung ist Blut, sein Tribut sind Schädel! Und wer bin ich schon, ihm diesen kleinen bescheidenen Wunsch nach eurem Blut und euren Schädeln abzuschlagen? So sage ich euch, lasst alle Hoffnung fahren, bereitet euch vor, zu Ehren Khornes euren Kopf zu verlieren oder in den Brutgruben meines Schiffes zu enden. Blut für den Blutgott, Schädel für seinen Thron!" Die Stimme lachte ein letztes mal gehässig auf und das Intercom knackte.

Khorne? Der Name sagte ihr nicht, aber das es einen blasphemischen Blutdämon gab, war ihr bekannt. Ein geläufiger Schlachtruf von Chaoskultisten war "Blut für den Blutgott" und manch Zelot hatte schon solch blasphemische Kultisten ihrer einzig gerechten Strafe durch das Feuer zugeführt. Und die entsprechenden Geschichten machten geflüstert ihre Runden durch das D Deck, wo viele Zeloten lebten. Der Name World Eaters verhieß nichts Gutes. Der Name Prinz Eunice war ihr vollständig neu. Von dem hatte sie noch nie was gehört.

Währenddessen hatte Gavri die Kathedrale über eine kleine Treppe verlassen, die in den Gruftbereich des Schiffes führte und eigentlich eine Sackgasse war. Dieser Weg hatte den Vorteil, dass er nicht von hereinströmenden Pilgern verstopft war. Gegen den Strom laufen zu wollen war im Moment unmöglich. Aber hier gab es direkt über einen Sarkophag ein breites Lüftungsgitter, dass sie dadurch gut erreichen und aufdrücken konnte. Dann meldete sich der Pontifex Astral wieder.

"Liebe Gemeinde! Verzagt nicht durch diese bösen Worte dieses blasphemischen Wesen. Der Gottimperator zu Terra auf seinem goldenen Thron hält beschützend seine Hände über uns. Sein Licht wird uns auch in dieser Finsternis leuchten! Für viele möge sich heute das Martyrium und der Heldentod für den Gottimperator erfüllen. Ein guter Tod, sage ich. Kämpft, zeigt diesen blasphemischen Ketzern und niederträchtigen Verrätern, was es heißt, einen wahren Gläubigen herauszufordern. Verstopfen wir mit ihren Leichen die Gänge. Lasst es ihr Blut sein, welches vergossen wird. Wahrer Glaube an den Gottimperator ist unüberwindlich! Seid standhaft, kämpft um jeden Meter und wagt es ja nicht, ohne mindestens einen von ihnen getötet zu haben, zu sterben!"

Während der Ansprache kroch Gavri, so schnell sie konnte, zu dem unzugänglichen Raum, wo sie ihre Ausrüstung versteckt hatte, die sie aus der Gruft mitgenommen hatte. Ab und zu hatte sie das Datablock benutzt, um verschiedene Dinge nachzulesen, welche sie beschäftigt hatten. Ihre übrige Ausrüstung hatte sie seit jenem Tag nicht mehr angerührt. Aber sie spürte, dass sie heute alles brauchen würde, um diesen Tag zu überleben. Die Ausrüstung lag noch genau so da, wie sie diese hatte liegen lassen. Sie schlüpfte in die blaue Uniform und stellte fest, dass sie nun perfekt wie eine zweite Haut passte. Die Stiefel saßen wie angegossen. Die Handschuhe schienen gar nicht vorhanden zu sein, so glatt lagen sie an. Das Mädchen halfterte die Pistole, hängte das Schwert über die Schulter und schob das Datablock in ein dafür vorgesehenes Futteral am Bein. Die Ersatzmagazine steckte sie in dafür vorgesehene Plätze neben den Holster. Gavri legte das Stirnband an und mit ihren Gedanken erweckte die Funktionen des Anzuges und ihrer Ausrüstung zum Leben. Alle Systeme waren in Ordnung, was gut war, da sie keine Ahnung hatte, wie sie das Ganze hätte reparieren sollen. Sie kletterte zurück in den Schacht und verließ ihn an der nächstmöglichen Stelle.

Ihr Herz hämmerte bis zum Hals, sie hatte das Gefühl, ganz dringend Wasser lassen zu müssen, während ihre Kehle wie ausgedörrt war. Bevor sie überhaupt verstand, was sie tat, war sie an ein Datenterminal getreten und führte einen Stecker aus ihrem Datablock in eine Buchse hinein. Sofort standen ihr die internen Informationssysteme des Schiffes zur Verfügung. Gavri sah, was die "Gesegnete Erlösung der wahren Gläubigen" angriff. Die Datenbanken ihres Datablocks identifizierten das Schiff als einen Berserker Chaoskreuzer mit dem Namen "Geißel der Galaxis", was nicht wirklich überraschend war, da der Name mit der Intercomdurchsage ja herausposaunt worden war. Ein Kreuzer schien ein verdammt großes Schiff zu sein, etwa zehnmal so lang wie ihr Pilgerschiff. Dieses Schiff stand im Dienste der Verräterlegion der World Eaters, welche dem Blutgott Khorne dienten. Unzählige fürchterliche Verbrechen wurde dem Schiff oder besser gesagt der Besatzung unter dem durchaus berüchtigten Prinz Eunice zugeordnet, der immer dafür sorgte, dass man ihm ganz genau diese furchtbaren Verbrechen zuordnen konnte, indem er unzählige kopflose Körper zu Wällen aufschichtete, die seinen Namen bildeten, wenn man von oben auf die Leichenanhäufungen sah. Hunderte von Planeten hatte er mit seinen Horden überfallen, Städte und Makropolen in Schutt und Asche gelegt, massenhaft Menschen seinem dunklen verdorbenen Gott Khorne geopfert und es immer wieder geschafft, seiner gerechten Strafe zu entkommen. Mehrere Dutzend Berserker schienen ständig auf dem Schiff stationiert zu sein.

Gavri fragte sich, woher das Datablock diese sicherlich geheimen Informationen kannte. Manches sagte ihr gar nichts, sie schlug die Begriffe Verräterlegion, Prinz Eunice, Khorne und World Eaters nach. Einige der Dateien trugen Siegel eines gewissen Ordo Mallus oder Ordo Hereticus. Was war das jetzt schon wieder? Anscheinend waren das Untergruppen der Inquisition, wie ihr Datablock wusste. Aber die Nähe des Schiffes gemahnte sie anderer Probleme, nämlich die des Überlebens, auch wenn die gerade durchgelesenen Informationen ihr nachdrücklich klar machten, dass diese Möglichkeit sich in einem Wahrscheinlichkeitsbereich von annähernd Null befand.

Ein Berserker Chaoskreuzer war für seine überragende Feuerkraft gefürchtet und es wäre ihm ein leichtes, das ganze Pilgerschiff im Bruchteil einer Sekunde zu vernichten. Aber der ungleich viel größere Chaoskreuzer kam nur gemächlich näher. Auf dem Bug war eine überaus obszöne Figur eines lasziv daliegenden weiblichen Engels angebracht, der sich mit dem Griff seiner Geißel selbst befriedigte. Dieses entwürdigende pornografische Darstellung eines Engels machte Gavri für einen kurzen Augenblick richtig zornig, auch wenn sie nicht genau wusste, warum. Wobei sie von einem Khorneschiff auch eine etwas andere Gallionsfigur wie einen Schädel oder so etwas in der Art erwartet hätte. Hangartore öffneten sich auf der Bauchseite des Schiffes und ein Schwarm von Enterschiffen der Tarantulaklasse, wie ihr Datablock ihr verriet, kam einem Insektenschwarm gleich auf die "Gesegnete Erlösung der wahren Gläubigen" zugeflogen.

"Achtung! Hier spricht Kapitän Le Grange! Enterboote nehmen Kurs auf uns! Alle Notfallschotts schließen! Riegelt die Kathedrale ab. Wer sich von den Zivilisten noch draußen befindet, versteckt euch, betet zum Imperator! Alle Truppen auf ihre Position! Wir werden gleich geentert werden! Möge der Gottimperator uns gnädig sein!"

Der Schwarm aus Tarantula Landungsbooten hatte sie inzwischen umzingelt und begann mit dem Andockmanövern. Gavri starrte auf die Daten, welches ihr das Datablock überspielte. Nur halfen ihr diese ganzen technischen Spezifikationen nicht weiter. Was sollte sie tun? Wie konnte sie das hier überleben? Es war offensichtlich, dass die Chaoten Gefangene machen wollten. Oder sie im Nahkampf zerfetzen wollten. Oder vielleicht auch beides. Nach der Aussage von Prinz Eunice schien er ja etwas zu wollen und das holte er sich jetzt wohl. Was auch immer das sein mochte. Vielleicht hatte einer der betuchten Passagiere etwas dabei, was eine solchen Aufwand rechtfertigte. Aber mehr als Vermutungen anstellen konnte sie leider nicht.

Der Pontifex Astral begann nun ununterbrochen zu predigen, beschwor den Willen zum Kämpfen und die Bereitschaft für das Martyrium. Es galt zu töten, um zu überleben. Kampf um jeden Meter, um jeden Preis, bis zum letzten Mann, Frau und Kind. Schon nach weniger als einer Minute ging ihr das Geschwätz ziemlich auf die Nerven, da es letztendlich nur hohle, vor Hass triefende Worte waren.

Ungewohnte Vibrationen kamen auf, die Enterboote hatten angedockt. Sie wusste, dass Entermannschaften dann am verwundbarsten waren, wenn sie sich durch die aufgeschweißte oder aufgesprengte Außenhülle in das Schiff stürmten. Manchmal konnte man diese Löcher mit den Leichen der Angreifer verstopfen, sagte ihr wenigsten die Datentafel. Prima, das sah nach einem Plan aus. Das Mädchen überlegte kurz, ob sie nicht lieber sofort in die Kathedrale fliehen sollte, zu ihren zwölf Schutzbefohlenen, entschied sich dann aber erst einmal dagegen, da nach ihren Daten die Landungsboote ausschließlich im Bereich des Unterdecks andockten und sich einen Weg ins Schiffinnere hinein schweißten oder sprengten. Außerdem waren jetzt wahrscheinlich schon alle Zugänge zur Kathedrale von Innen verriegelt und verbarrikadiert.

Sie lief zur Backbordseite und traf auf eine bunt gewürfelte Truppe aus Matrosen und Pilgern, die mit einer wilden Mischung aus Pilgerstäben, Schraubenschlüsseln, Eisenrohren, Hydraulikschläuchen, Schrotflinten, einem Maschinengewehr, einem richtigen Flammenwerfer und einem Haufen Auto- und Laserpistolen bewaffnet waren. Ein Demagoge der Zeloten hielt sogar einen Eviscreator in den Händen. Ein Eviscreator war ein mit einem wild knatternden und stinkenden Abgaswolken ausstoßenden Verbrennungsmotor angetriebenes zweihändiges Kettenschwert, dass selbst massive Panzerplatten durchschneiden konnte.

"Verschwinde, Püppchen, adliges Gesocks hat hier nichts verloren!" Einer der Pilger, der offenbar das Gelübde abgelegt hatte, sich erst wieder auf Terra zu waschen, spuckte ihr seinen braunen Speichel vor die Füße. Durch ihre Kleidung, die einer Uniform ähnelte, welche Freihändler gerne trugen, erkannte er sie nicht als seinesgleichen. Nun gut, sah so aus, als ob die selber klar kämen und sie lief weiter. Etwas weiter entfernt konnte Gavri Explosionen, Schüsse und Schreie hören. Die ersten Truppen waren ins Schiff gebrochen, der Kampf hatte begonnen. Gavri lief in die Richtung, aus der die Geräusche kamen. Eigentlich wäre es klüger gewesen, davon wegzulaufen. Was wollte sie eigentlich mit der Laserpistole ausrichten? Oder mit dem Schwert? Sie war inzwischen eine gute Schützin mit der Trainingspistole und die beste Schülerin von Gerechter Zorn, aber reichte das aus, um sich diesen Kreaturen zu stellen? Wäre es nicht viel sicherer, sich ein Versteck zu suchen? Der Raum, der nur durch die Schächte erreichbar war, da wäre sie sicher, da würden sie die nicht finden können.

Unentschlossen blieb sie stehen, starrte auf ein erreichbares Lüftungsgitter. Sie war hier in den unteren Decks, welche Werkstätten, Hydroaufbereitungsanlagen, Algentanks, Lagerräume und Räume mit Maschinen, deren genauen Zweck sie nicht kannte, enthielten. Ein wahres Labyrinth aus Räumen, Gängen, Maschinen, Rohren und Tanks. Wenn sie jetzt nur an sich dachte, würde sie vielleicht überleben. Wäre es nicht viel klüger gewesen, ihre Kinder dort hinein zu schaffen und einfach auszuharren, bis der Spuk vorbei war? Aber selbst wenn sie überlebten und die Khornekultisten letztendlich nicht das Schiff sprengten, wie sollte es dann weitergehen? Sie konnte kein Schiff steuern, geschweige den reparieren. Irgendwo in Nirgendwo wären sie gestrandet, mit zehntausenden Leichen würden sie das Schiff teilen müssen. Nein, dass war keine Alternative.

Heute war irgendwie nicht ihr Glückstag. Zuerst das entsetzliche Erlebnis in dem Büro des Zuchtmeisters, inklusive Begrabschens ihrer intimsten Zonen, dann die schmerzhafte Auspeitschung mit der Geißel und das beinahe Verbrennen am lebendigen Leib. Anschließend die Bestätigung, dass sie seit zwei Jahren besessen war und Gerechter Zorn, die immerhin für sie so etwas wie eine Ersatzmutter war, darüber Bescheid gewusst und nichts zu ihr gesagt hatte. Aber auf der anderen Seite hätte sie der Nonne wahrscheinlich nicht geglaubt und sie nur für total verrückt gehalten. Und jetzt das hier. So langsam wurde ihr das alles zu viel und am liebsten hätte sie sich in eine Ecke verkrochen und so lange geheult, bis sie keine Tränen mehr hatte. Aber nicht mal so etwas Profanes wurde ihr heute gegönnt.

Gavri hörte das Getrampel schwerer Schritte vor sich, einige trugen schwere Stiefel, andere waren wohl barfuß. Es waren nicht viele, aber mehr als genug um ein einzelnes Mädchen zu töten. Sie warf dem Gitter zum Lüftungsschacht einen letzten resignierenden Blick zu, straffte sich und nahm dann hinter einem Rohr Deckung. Es galt heute, tapfer zu sein. Früher hätte sie aus ihrem Glauben an den Gottimperator Kraft und Stärke bezogen. Aber diesen Glauben hatte sie verloren. Aber sie fühlte, dass es im Universum eine weit mächtigere Macht gab. Anstatt eine einstudierte Litanei oder Psalm herunter zu leiern, betete sie ganz frei aus ganzem Herzen. "Gott im Licht, gib mir die Kraft, die Stärke, den Mut, die Tapferkeit und Klugheit, dass ich mein Wort gegenüber meinen kleinen Schutzbefohlenen halten kann. Ich weiß, sie sind manchmal kleine zänkische Teufelchen, aber sie sind meine Familie. Die, welche ich am meisten liebe. Lass sie mich erfolgreich vor dem Bösen beschützen. Bitte!"

Das Mädchen zog die uralte Laserpistole aus dem Halfter und Runen mit der Zustandsanzeige leuchteten auf ihrem Helmdisplay auf. Die ersten Gegner kamen in ihr Blickfeld, es waren fünf Männer, die deutliche Mutationen aufwiesen. Ihre gebeugten bloßen Oberkörper, die mit Khorne-Runen gebrandmarkt waren, quollen über vor Muskeln und waren mit einer zähen lederartigen Haut voller Narben bedeckt. Ihre grotesk deformierten Köpfe waren mit unzähligen rituellen Narben verunstaltet und mit einem Gebiss ausgestattet, das eher zu einem Raubtier gepasst hätte. Zwei hatten teilweise Tentakeln statt Arme, einer nur ein riesiges Auge in der Stirn, ein anderer dafür gleich vier Augen mit Stielen. Sorgfältig zielte Gavri, als wäre sie auf dem Schießstand und schoss dem ersten in die vernarbte Brust. Es gab einen scharfen peitschenschlagartigen Knall, als die Waffe sich mit einem kurzen blauen Lichtblitz entlud. Auf Höhe des Herzen traf das Mädchen ihn und er brach kraftlos tot zusammen. Sie war überrascht, wie leicht ihr das gefallen war, ein Leben auszulöschen. Und sie wusste, dass es nicht das erste war, dass sie genommen hatte und noch unzählige darauf warteten, von ihrer Hand zu sterben. So war es vorbestimmt! Sie hatte keine Ahnung, woher sie dieses Wissen hatte, aber es war da. War das ihr Passagier, der ihre dieses Wissen einflößte?

Die restlichen Vier stürmten, gutturale Laute schreiend, auf sie zu, ihre primitiven, gezackten, vor Blut triefenden Schwerter und Äxte wild hin und her schwingend. Ihre Angst war verschwunden und der Gewissheit gewichen, dass diese Kreaturen nicht ihr Tod sein würden. Mit ruhiger Hand erschoss sie einen nach dem anderen, wobei sie beim letzten zurückweichen musste, um nicht im letzten Moment noch in zwei Teile gespalten zu werden. Zu ihrem Glück waren diese Dinger schon zu degeneriert gewesen, um Distanzwaffen zu benutzen. Fünf weniger. Laut ihrem Datablock konnte so ein Chaoskreuzer durchaus eine Besatzung von zwanzigtausend Mann allein an Kampftruppen haben.

Ein weiterer Trupp kam um die Ecke, Männer mit harten Gesichtern, auf der Stirn die Khornerune eingebrannt. Sie trugen rot eingefärbte Uniformen und Gavri wusste instinktiv, dass sie menschliche Verräter vor sich hatte, die erst kürzlich zum Chaos übergelaufen waren. Und die hatten Repetierschrotflinten mit aufgesetzten Bajonetten in den Händen. "Schild!", dachte Gavri und an ihrem Arm baute sich tatsächlich eine Fläche aus Energie auf. Bevor sie überhaupt wusste, was sie tat, hatte sie die Fläche schräg vor sich hin gestellt und war dahinter in die Hocke gegangen, während etwa ein halbes Dutzend Schrotgarben auf sie einprasselten. Sie hob danach kurz den Schild, erschoss innerhalb eines Augenblick zwei Verräter und lies die nächste Salve über sich ergehen. Aber diese Männer waren klüger als ihre Vorgänger, sie sprangen nun in Deckung und einige von ihnen rannten in einen Gang hinein, von dem sie annehmen konnten, dass sie so umgehen konnte und sie von zwei Seiten in die Zange nehmen konnten. Einen weiteren konnte Gavri erschießen, als der sich zu weit aus der Deckung wagte, dann kam ihr ein eiförmiger Körper entgegengeflogen, der hinter ihr auf dem Boden kullerte. Sie hatte genug Kriegsfilme gesehen, um diesen Körper als eine scharfgemachte Handgranate zu identifizieren.

"Verdammt! Feld!" Sie katapultierte sich aus der Hocke hoch, rannte auf den Feind zu und erschoss dabei zwei gerade so sichtbar werdende Gegner in ihrer Deckung, während eine Garbe aus großen Schrotkugeln am Energiefeld abprallte. Dann ging die Granate hinter ihr hoch, aber sie war schon zu weit weg, um wirklich gefährdet zu sein. Dafür war sie jetzt direkt unter einem halben Dutzend Chaosanhänger. Etwas in ihr übernahm das Steuer, lies sie immer in Bewegung bleiben, dem Gegner immer einen Schritt voraus. Die Kultisten brüllten etwas in ihren seltsamen Dialekt, der mit Niedergotisch durchsetzt war. Die wenigen Worte die sie verstehen konnte waren Hexe und immer wieder gefunden.

Sie hatte mal in einem Film einer dieser unglaublich seltenen Spielkonsolen gesehen, die reiche Kinder hatten. Dort gab es die Möglichkeit, dass der Maschinengeist die eigentliche Spielerfigur steuerte. Und so kam es ihr auch vor, dass sie nur Zuschauer war, während etwas in ihr die Regie übernommen hatte. Da sie jetzt im Nahkampf war, wechselte sie die Pistole in die linke Hand und zog ihr Schwert mit der Rechten. Sie erschoss einen links von ihr stehenden Verräter, streckte mit dem Schwert einen sich rechts befindenden nieder und trat einen der Chaosanhänger so hart in den Bauch, dass er trotz seines Muskelpakets wimmernd wie ein kleines Kind zusammenklappte, während der Mann mit großer Wucht von ihr weggeschleudert wurde und weitere Renegaten umwarf. Dann war ein weiteres Dutzend Entertruppen heran und der Tanz begann.

bearbeitet von Nakago
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